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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Handel und den Export der Hurdy-Gurdys und Tanzmamsells (nach Kalifornien
und Oregon) bekannten, vormals kurtnerschen Landestheilen findet. Diese
Coalition nannte sich "die konservative Partei". Eine materielle Stütze fand
sie an jener Gesellschaft, welche die Spielbanken in Wiesbaden und Bad Ems
betreibt und durch dieses lucrative Geschäft eine Einnahme von jährlich zwei
bis drei Millionen Gulden erzielt. Das früher in diesen Bädern bescheiden und
im Stillen getriebene Hazardspiel wurde nämlich, unter fortwährendem Proteste
der jetzigen liberalen Landtagsmajorität, von der Negierung einer privilegirten
und monopolisirten Actiengesellschaft übertragen, deren Actien sich in Händen
befinden, wo sie -- gelinde ausgedrückt -- nicht hingehören. Infolge dessen
ist das Spiel eine Macht geworden und ein wichtiger Fcictor in unserem Staats¬
leben. Es unterhält nicht nur zahlreiche mobile Colonnen von Demimonde, sondern
hat auch eine Reihe höherer Staatsdiener, namentlich Polizeibeamte, für sich ge¬
wonnen, welche angewiesen sind, die Interessen der Spielgesellschaft zu wahren,
und bekanntlich sind diese durchaus nicht identisch mit den Interessen der bürger¬
lichen Gesellschaft. Die frommen Klerikalen und die frivolen Spielbankactionärc
gingen Hand in Hand und machten die größten Anstrengungen dagegen, daß
die Hauptstadt ihren bewährten Vertreter Dr-. Lang wiederwähle, weil er --
wie sie mit Recht behaupteten -- ein Gegner der Spielbank sei, und weil,
-- wie sie mit Unrecht sagten >-- die Blüthe Wiesbadens der Spielbank zu
verdanken sei. Beiläufig bemerkt, glaubten aber die Wahlmänner von Wies¬
baden weder den "Schwarzen" noch dem "Rouge ot noir" und wählten ihren
Lang aber- und abermals mit Stimmeneinhelligkeit wieder.

Die Wahlperiode des Landtages lief 1863 zu Ende. Vor Jahresschluß
mußten die Neuwahlen stattfinden. Am 1. März 18K3 traten die Liberalen in
der Mitte des Landes, dem alten Bischofssitz Limburg an der Lahn, zu einem
großen Meeting zusammen und stellten nach zweitägiger Beraihung ihre Plattform
auf. Dieses "limburger Programm", welches heute noch die maßgebende Grund¬
lage der Bestrebungen der liberalen Landtagsmajontät bildet, fordert für Deutsch¬
land: Reichsgewalt und Parlament, für Nassau: Befreiung der Volksschule von
dem klerikalen Joch. -- für jede (nicht blos für die katholische) Religions¬
gesellschaft das Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zuordnen, -- Regelung
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nicht durch Concordate und Con¬
ventionen, sondern durch verfassungsmäßig zu erlassende, für Alle gleiche Gesetze,
-- Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung -- Selbstverwaltung der
Gemeinden -- volle wirthschaftliche Freiheit -- Abschaffung der Vielregiererei
und Vielschreiberei in der Staatsverwaltung -- Verminderung der Zahl der
Beamten -- Entlastung des Budgets, namentlich durch Sparsamkeit im Militär¬
haushalt ^- Wiederherstellung verantwortlicher Departementschefs in der Staats¬
verwaltung und Ersetzung des "dirigirenden Haus- und Staatsministers" durch


Handel und den Export der Hurdy-Gurdys und Tanzmamsells (nach Kalifornien
und Oregon) bekannten, vormals kurtnerschen Landestheilen findet. Diese
Coalition nannte sich „die konservative Partei". Eine materielle Stütze fand
sie an jener Gesellschaft, welche die Spielbanken in Wiesbaden und Bad Ems
betreibt und durch dieses lucrative Geschäft eine Einnahme von jährlich zwei
bis drei Millionen Gulden erzielt. Das früher in diesen Bädern bescheiden und
im Stillen getriebene Hazardspiel wurde nämlich, unter fortwährendem Proteste
der jetzigen liberalen Landtagsmajorität, von der Negierung einer privilegirten
und monopolisirten Actiengesellschaft übertragen, deren Actien sich in Händen
befinden, wo sie — gelinde ausgedrückt — nicht hingehören. Infolge dessen
ist das Spiel eine Macht geworden und ein wichtiger Fcictor in unserem Staats¬
leben. Es unterhält nicht nur zahlreiche mobile Colonnen von Demimonde, sondern
hat auch eine Reihe höherer Staatsdiener, namentlich Polizeibeamte, für sich ge¬
wonnen, welche angewiesen sind, die Interessen der Spielgesellschaft zu wahren,
und bekanntlich sind diese durchaus nicht identisch mit den Interessen der bürger¬
lichen Gesellschaft. Die frommen Klerikalen und die frivolen Spielbankactionärc
gingen Hand in Hand und machten die größten Anstrengungen dagegen, daß
die Hauptstadt ihren bewährten Vertreter Dr-. Lang wiederwähle, weil er —
wie sie mit Recht behaupteten — ein Gegner der Spielbank sei, und weil,
— wie sie mit Unrecht sagten >— die Blüthe Wiesbadens der Spielbank zu
verdanken sei. Beiläufig bemerkt, glaubten aber die Wahlmänner von Wies¬
baden weder den „Schwarzen" noch dem „Rouge ot noir" und wählten ihren
Lang aber- und abermals mit Stimmeneinhelligkeit wieder.

Die Wahlperiode des Landtages lief 1863 zu Ende. Vor Jahresschluß
mußten die Neuwahlen stattfinden. Am 1. März 18K3 traten die Liberalen in
der Mitte des Landes, dem alten Bischofssitz Limburg an der Lahn, zu einem
großen Meeting zusammen und stellten nach zweitägiger Beraihung ihre Plattform
auf. Dieses „limburger Programm", welches heute noch die maßgebende Grund¬
lage der Bestrebungen der liberalen Landtagsmajontät bildet, fordert für Deutsch¬
land: Reichsgewalt und Parlament, für Nassau: Befreiung der Volksschule von
dem klerikalen Joch. — für jede (nicht blos für die katholische) Religions¬
gesellschaft das Recht, ihre Angelegenheiten selbständig zuordnen, — Regelung
des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nicht durch Concordate und Con¬
ventionen, sondern durch verfassungsmäßig zu erlassende, für Alle gleiche Gesetze,
— Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung — Selbstverwaltung der
Gemeinden — volle wirthschaftliche Freiheit — Abschaffung der Vielregiererei
und Vielschreiberei in der Staatsverwaltung — Verminderung der Zahl der
Beamten — Entlastung des Budgets, namentlich durch Sparsamkeit im Militär¬
haushalt ^- Wiederherstellung verantwortlicher Departementschefs in der Staats¬
verwaltung und Ersetzung des „dirigirenden Haus- und Staatsministers" durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/401>, abgerufen am 28.07.2024.