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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Hessen durch die bekannte Vereinbarung zwischen dem Minister von Dalwigk
und dem Bischof von Ketteler geschehen ist. Die Majorität der zweiten Kammer
hatte sich wiederholt gegen ein Concordat mit dem Papst oder eine Convention
mit dem katholischen Bischof ausgesprochen und verlangt, baß das Verhältniß
zwischen Staat und Kirche nach den Grundsätzen der Gewissensfreiheit und der
Gleichberechtigung aller Religionsgesellschaften im Wege der verfassungsmäßigen
Gesetzgebung geregelt werde. Die Negierung hatte, so lange sie noch aus die
Mitwirkung der Liberalen rechnen mußte, um das Abkommen wegen der Domänen
und das neue Besoldungsgesetz zu Stande zu bringen, gethan, als theile sie
die Auffassung der Majorität. Jetzt, nachdem sie die Schwenkung nach rechts
vollzogen, wählte sie den entgegengesetzten Weg, indem sie durch das mit dem
katholischen Bischof abgeschlossene Quasiconcordat eine Reihe gesetzlicher Vor¬
schriften ohne landständischen Consens außer Wirksamkeit setzte, der katholischen
Kirche die Freiheit gab, die sie der protestantischen Kirche und den übrigen Re¬
ligionsgesellschaften vorenthielt und dadurch zu einem Privilegium machte, und
die Schule, welche bis dahin eine unter staatlicher Verwaltung stehende Com-
munalanstalt war, der Gewalt des Klerus unterwarf.

Dieses Anfangs geheim gehaltene Quasiconcordat regte, als es infolge der
Interpellationen der Stände eingestanden und vorgelegt werden mußte, das Land
lebhast auf. Die Majorität des Landtags reclamirte die Sache zur ständischen
Kompetenz, denn "es seien bestehende Gesetze einseitig geändert". Die Regie¬
rung gab ihren Anträgen keine Folge. Ebenso wenig erfüllte sie auch nur
eines der sonstigen, den Liberalen gegebenen Versprechen.

Da wollte es der Zufall, daß um dieselbe Zeit -- Herbst 1861 --
sich bei der landständischen Prüfung der Rechnungen herausstellte, daß für die
herzogliche Schatulle um einen hohen Kaufpreis Güter in Böhmen gekauft
worden waren, und daß man das Geld unter Umgehung der gesetzlichen Formen
aus der Landesbank entnommen hatte, einem von den Ständen milverwalteten
Creditinstitut, dessen Fonds -- Lanocseigenthum sind. Denn Domäne- und
Landeseigenthum sind in Nassau streng geschieden. Man hatte dieses damals
schon bestehende Schatullendestcit bei der Schlichtung des Domänenstreits im
Jahre vorher verheimlicht. Deshalb und wegen der ministeriellen Schwen¬
kung nach der klerikalen Seite herrschte bei der liberalen Partei eine
gereizte Stimmung. Man verwarf alle Tilgungsvorschläge des Cabinets
und verlangte sofortigen baaren Ersatz. Die gereizte Stimmung theilte sich
nun auch der andern Seite mit; und es fehlte nicht an Personen, welche
sich ein Geschäft daraus machten, dem Herzog die Verhandlungen mit den ge¬
hässigsten Entstellungen zu hinterbringen. Die von den Liberalen gegründete
Zeitung "Rhein-Lahn-Zeitung", welche in der kurzen Zeit ihres Bestehens eine
große Verbreitung erlangt hatte, druckte eine Correspondenz der damals in Frank-


Hessen durch die bekannte Vereinbarung zwischen dem Minister von Dalwigk
und dem Bischof von Ketteler geschehen ist. Die Majorität der zweiten Kammer
hatte sich wiederholt gegen ein Concordat mit dem Papst oder eine Convention
mit dem katholischen Bischof ausgesprochen und verlangt, baß das Verhältniß
zwischen Staat und Kirche nach den Grundsätzen der Gewissensfreiheit und der
Gleichberechtigung aller Religionsgesellschaften im Wege der verfassungsmäßigen
Gesetzgebung geregelt werde. Die Negierung hatte, so lange sie noch aus die
Mitwirkung der Liberalen rechnen mußte, um das Abkommen wegen der Domänen
und das neue Besoldungsgesetz zu Stande zu bringen, gethan, als theile sie
die Auffassung der Majorität. Jetzt, nachdem sie die Schwenkung nach rechts
vollzogen, wählte sie den entgegengesetzten Weg, indem sie durch das mit dem
katholischen Bischof abgeschlossene Quasiconcordat eine Reihe gesetzlicher Vor¬
schriften ohne landständischen Consens außer Wirksamkeit setzte, der katholischen
Kirche die Freiheit gab, die sie der protestantischen Kirche und den übrigen Re¬
ligionsgesellschaften vorenthielt und dadurch zu einem Privilegium machte, und
die Schule, welche bis dahin eine unter staatlicher Verwaltung stehende Com-
munalanstalt war, der Gewalt des Klerus unterwarf.

Dieses Anfangs geheim gehaltene Quasiconcordat regte, als es infolge der
Interpellationen der Stände eingestanden und vorgelegt werden mußte, das Land
lebhast auf. Die Majorität des Landtags reclamirte die Sache zur ständischen
Kompetenz, denn „es seien bestehende Gesetze einseitig geändert". Die Regie¬
rung gab ihren Anträgen keine Folge. Ebenso wenig erfüllte sie auch nur
eines der sonstigen, den Liberalen gegebenen Versprechen.

Da wollte es der Zufall, daß um dieselbe Zeit — Herbst 1861 —
sich bei der landständischen Prüfung der Rechnungen herausstellte, daß für die
herzogliche Schatulle um einen hohen Kaufpreis Güter in Böhmen gekauft
worden waren, und daß man das Geld unter Umgehung der gesetzlichen Formen
aus der Landesbank entnommen hatte, einem von den Ständen milverwalteten
Creditinstitut, dessen Fonds — Lanocseigenthum sind. Denn Domäne- und
Landeseigenthum sind in Nassau streng geschieden. Man hatte dieses damals
schon bestehende Schatullendestcit bei der Schlichtung des Domänenstreits im
Jahre vorher verheimlicht. Deshalb und wegen der ministeriellen Schwen¬
kung nach der klerikalen Seite herrschte bei der liberalen Partei eine
gereizte Stimmung. Man verwarf alle Tilgungsvorschläge des Cabinets
und verlangte sofortigen baaren Ersatz. Die gereizte Stimmung theilte sich
nun auch der andern Seite mit; und es fehlte nicht an Personen, welche
sich ein Geschäft daraus machten, dem Herzog die Verhandlungen mit den ge¬
hässigsten Entstellungen zu hinterbringen. Die von den Liberalen gegründete
Zeitung „Rhein-Lahn-Zeitung", welche in der kurzen Zeit ihres Bestehens eine
große Verbreitung erlangt hatte, druckte eine Correspondenz der damals in Frank-


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[0398] Hessen durch die bekannte Vereinbarung zwischen dem Minister von Dalwigk und dem Bischof von Ketteler geschehen ist. Die Majorität der zweiten Kammer hatte sich wiederholt gegen ein Concordat mit dem Papst oder eine Convention mit dem katholischen Bischof ausgesprochen und verlangt, baß das Verhältniß zwischen Staat und Kirche nach den Grundsätzen der Gewissensfreiheit und der Gleichberechtigung aller Religionsgesellschaften im Wege der verfassungsmäßigen Gesetzgebung geregelt werde. Die Negierung hatte, so lange sie noch aus die Mitwirkung der Liberalen rechnen mußte, um das Abkommen wegen der Domänen und das neue Besoldungsgesetz zu Stande zu bringen, gethan, als theile sie die Auffassung der Majorität. Jetzt, nachdem sie die Schwenkung nach rechts vollzogen, wählte sie den entgegengesetzten Weg, indem sie durch das mit dem katholischen Bischof abgeschlossene Quasiconcordat eine Reihe gesetzlicher Vor¬ schriften ohne landständischen Consens außer Wirksamkeit setzte, der katholischen Kirche die Freiheit gab, die sie der protestantischen Kirche und den übrigen Re¬ ligionsgesellschaften vorenthielt und dadurch zu einem Privilegium machte, und die Schule, welche bis dahin eine unter staatlicher Verwaltung stehende Com- munalanstalt war, der Gewalt des Klerus unterwarf. Dieses Anfangs geheim gehaltene Quasiconcordat regte, als es infolge der Interpellationen der Stände eingestanden und vorgelegt werden mußte, das Land lebhast auf. Die Majorität des Landtags reclamirte die Sache zur ständischen Kompetenz, denn „es seien bestehende Gesetze einseitig geändert". Die Regie¬ rung gab ihren Anträgen keine Folge. Ebenso wenig erfüllte sie auch nur eines der sonstigen, den Liberalen gegebenen Versprechen. Da wollte es der Zufall, daß um dieselbe Zeit — Herbst 1861 — sich bei der landständischen Prüfung der Rechnungen herausstellte, daß für die herzogliche Schatulle um einen hohen Kaufpreis Güter in Böhmen gekauft worden waren, und daß man das Geld unter Umgehung der gesetzlichen Formen aus der Landesbank entnommen hatte, einem von den Ständen milverwalteten Creditinstitut, dessen Fonds — Lanocseigenthum sind. Denn Domäne- und Landeseigenthum sind in Nassau streng geschieden. Man hatte dieses damals schon bestehende Schatullendestcit bei der Schlichtung des Domänenstreits im Jahre vorher verheimlicht. Deshalb und wegen der ministeriellen Schwen¬ kung nach der klerikalen Seite herrschte bei der liberalen Partei eine gereizte Stimmung. Man verwarf alle Tilgungsvorschläge des Cabinets und verlangte sofortigen baaren Ersatz. Die gereizte Stimmung theilte sich nun auch der andern Seite mit; und es fehlte nicht an Personen, welche sich ein Geschäft daraus machten, dem Herzog die Verhandlungen mit den ge¬ hässigsten Entstellungen zu hinterbringen. Die von den Liberalen gegründete Zeitung „Rhein-Lahn-Zeitung", welche in der kurzen Zeit ihres Bestehens eine große Verbreitung erlangt hatte, druckte eine Correspondenz der damals in Frank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/398>, abgerufen am 28.07.2024.