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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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geordneten zur zweiten Kammer. Fallen die Wahlen zur zweiten Kammer liberal
aus. so ist es auch bei denen zur ersten der Fall. Letztere waren 1852 ebenfalls
theils gouvernemental. theils klerikal.

Mit diesen auf Grund der Octroyirung so zusammengesetzten beiden Kammern
begann die Negierung, an deren Spitze in der Zwischenzeit der frühere hessische
Cavalleriegeneral Prinz August von Sayn-Wittgenstein-Berleburg getreten war,
mit Grävell und Jochmus Reichsminister -- jetzt beinahe achtzig Jahre alt
und nur dem Namen nach noch Minister ---, mit zäher Ausdauer das
Werk der Restauration. Die hin und wieder in die Verwaltung einge¬
drungenen und bereits festgewurzelten Elemente der Selbstverwaltung wurden
wieder ausgerissen, die große büreaukratische Maschinerie wurde sorgfältig
wieder zusammengesetzt und ausgebessert. Man konnte Wohl ihre Räder wieder
in einander fügen, aber es gelang nicht, ihr den Geist einzuhauchen, der sie 1806
bis 1819 beseelt hatte. Die freie Gemeindeverwaltung wurde, unter eifriger
Mitwirkung der Landtagsbürgermeister, welchen man lebenslängliche Amtsdauer
gab, wieder abgeschafft, Justiz und Verwaltung, seit 1848 getrennt, von
neuem zusammengeworfen, so daß der "Amtmann" Ankläger, Verwaltung,
Polizei, Partei, Untersuchungsrichter und urtheilender Richter -- alles in
einer Person ist. Man versuchte auch das Zehntablösungsgesetz und das
Jagdgesetz von 1848 rückgängig zu machen, allein hier, in materiellen Fragen,
stieß man selbst bei diesem Landtage auf Widerstand. Den Angriff gegen die
Zehntablösung ließ man fallen. Den Gesetzentwurf aber, der die abgeschafften
Feudaljagden einfach wiederherstellte, octroyirte man, nachdem er in der zweiten
Kammer durchgefallen war. Die verantwortlichen Ministerialchefs und deren
Departements wurden beseitigt und der "dirigirende Haus- und Staatsminister"
wieder hergestellt. Der Prinz Wittgenstein wurde, was in den dreißiger Jahren
der Minister von Marschall gewesen. Die alte Büreaukratie erhob sich wieder.
Die Besoldungen der Civilbeamten stiegen allmälig bis über eine Million
Gulden, der Militäretat erreichte die Höhe von beinahe einer Million Gulden,
während das Land nur 430,000 Einwohner zählte. Die Preßfreiheit und das
Vereinsrecht wurden, unter Berufung auf Bundcsbeschlüsse, abgeschafft. So
regierte man fort, bis ein Angriff erfolgte von einer Seite, mit der man bis¬
her in fester Eintracht zum Zwecke der Bekämpfung der modernen Cultur und
des Bürgerthums cooperirt hatte.

Die wieder mächtig gewordene Büreaukratie verlangte auch von den Kirchen,
daß sie sich in die 1848 abgeschüttelte Vormundschaft zurückbegeben sollten.
Die evangelische Geistlichkeit (die Gemeinde wurde nicht gefragt, gesetzlich besteht
sie nicht) fügte sich bereitwillig. Der katholische Klerus aber leistete den ent¬
schlossensten Widerstand. So entbrannte der bekannte oberrheinische Kirchenstreit,
der sich in Nassau zuspitzte bis zu einer großen Criminaluntersuchung gegen den


geordneten zur zweiten Kammer. Fallen die Wahlen zur zweiten Kammer liberal
aus. so ist es auch bei denen zur ersten der Fall. Letztere waren 1852 ebenfalls
theils gouvernemental. theils klerikal.

Mit diesen auf Grund der Octroyirung so zusammengesetzten beiden Kammern
begann die Negierung, an deren Spitze in der Zwischenzeit der frühere hessische
Cavalleriegeneral Prinz August von Sayn-Wittgenstein-Berleburg getreten war,
mit Grävell und Jochmus Reichsminister — jetzt beinahe achtzig Jahre alt
und nur dem Namen nach noch Minister -—, mit zäher Ausdauer das
Werk der Restauration. Die hin und wieder in die Verwaltung einge¬
drungenen und bereits festgewurzelten Elemente der Selbstverwaltung wurden
wieder ausgerissen, die große büreaukratische Maschinerie wurde sorgfältig
wieder zusammengesetzt und ausgebessert. Man konnte Wohl ihre Räder wieder
in einander fügen, aber es gelang nicht, ihr den Geist einzuhauchen, der sie 1806
bis 1819 beseelt hatte. Die freie Gemeindeverwaltung wurde, unter eifriger
Mitwirkung der Landtagsbürgermeister, welchen man lebenslängliche Amtsdauer
gab, wieder abgeschafft, Justiz und Verwaltung, seit 1848 getrennt, von
neuem zusammengeworfen, so daß der „Amtmann" Ankläger, Verwaltung,
Polizei, Partei, Untersuchungsrichter und urtheilender Richter — alles in
einer Person ist. Man versuchte auch das Zehntablösungsgesetz und das
Jagdgesetz von 1848 rückgängig zu machen, allein hier, in materiellen Fragen,
stieß man selbst bei diesem Landtage auf Widerstand. Den Angriff gegen die
Zehntablösung ließ man fallen. Den Gesetzentwurf aber, der die abgeschafften
Feudaljagden einfach wiederherstellte, octroyirte man, nachdem er in der zweiten
Kammer durchgefallen war. Die verantwortlichen Ministerialchefs und deren
Departements wurden beseitigt und der „dirigirende Haus- und Staatsminister"
wieder hergestellt. Der Prinz Wittgenstein wurde, was in den dreißiger Jahren
der Minister von Marschall gewesen. Die alte Büreaukratie erhob sich wieder.
Die Besoldungen der Civilbeamten stiegen allmälig bis über eine Million
Gulden, der Militäretat erreichte die Höhe von beinahe einer Million Gulden,
während das Land nur 430,000 Einwohner zählte. Die Preßfreiheit und das
Vereinsrecht wurden, unter Berufung auf Bundcsbeschlüsse, abgeschafft. So
regierte man fort, bis ein Angriff erfolgte von einer Seite, mit der man bis¬
her in fester Eintracht zum Zwecke der Bekämpfung der modernen Cultur und
des Bürgerthums cooperirt hatte.

Die wieder mächtig gewordene Büreaukratie verlangte auch von den Kirchen,
daß sie sich in die 1848 abgeschüttelte Vormundschaft zurückbegeben sollten.
Die evangelische Geistlichkeit (die Gemeinde wurde nicht gefragt, gesetzlich besteht
sie nicht) fügte sich bereitwillig. Der katholische Klerus aber leistete den ent¬
schlossensten Widerstand. So entbrannte der bekannte oberrheinische Kirchenstreit,
der sich in Nassau zuspitzte bis zu einer großen Criminaluntersuchung gegen den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/394>, abgerufen am 28.07.2024.