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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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völkerung, weil sie jeder freien Bewegung beraubt war. Die rückschreitende
Metamorphose ritt so schnell wie die Todten. In den Jahren 1843 bis 1847
nagte das Land am Hungertuch.

Da kam die Katastrophe von 1848. Der ganze äußerlich glänzende, inner¬
lich morsche büreaukratische Palast stürzte krachend zusammen, und das Volk,
gutmüthig wie es ist, mühte sich im Schweiße seines Angesichts, die unter den
Trümmern begrabenen Unglücklichen zu retten.

Man g'ing nun mit großem Eifer, allerdings auch mit einigem Ungeschick
und einigen Überstürzungen, die unter den damaligen Umständen begreiflich
waren, an den Neubau. Die Domänen wurden für Staatseigenthum erklärt;
jedoch blieben alle bisher daraus bestrittenen Verpflichtungen -- Wittthum,
Apanagen, Ausstattungen. Hofpensionen u. s. w. -- unangetastet; die Civil-
liste wurde auf 300,000 Gulden jährlich normirt.

Gesellschaft, Bürgerthum, Schule, Gemeinde, Kirche begannen sich von
der Staatsgewalt zu emancipiren. Die letztere acceptirte dies bereitwillig. Und
sie hatte Recht. Denn nur wenn er sich auf das ihm eigenthümliche Thätig¬
keitsfeld beschränkt, kann der Staat seine Kraft concentriren und steigern. Er
wird schwach, sobald er sich in eine lange Kette auslöst, die alles umschlingen will.

Die erste Kammer dankte selbst freiwillig ab. Die nach einem neuen Wahl¬
gesetz gewählte eine Kammer, die Ständeversammlung, reformirte eifrig in
Gesetzgebung und Verwaltung. Alle ihre Reformen trugen den Stempel der
Besonnenheit an der Stirn. Zehnte/l, Zinsen und Gulden wurden beseitigt
durch Ablösung. Die Reluitionssumme wurde höher gegriffen, als selbst in
Preußen und Oestreich. Alle wohlerworbenen Rechte wurden respectirt. Nur
die feudalen Jagdservituten wurden einfach weggefegt, jedoch mit dem Vor¬
behalt, wegen etwaiger Entschädigung demnächst das Geeignete zu verfügen.
In die Verwaltung wurde das Princip des Selfgovernment eingeführt. An
der Spitze der Staatsgeschäfte hatte bisher ein "dirigirender Staats- und Haus¬
minister" gestanden, in dessen Händen sich alle Ressorts vereinigten. An seine
Stelle trat nun ein Collegium, bestehend aus den Chefs der neu creirten De¬
partements der Justiz, des Innern (worunter auch Cultus, Handel, Ackerbau
und öffentliche Arbeiten), der Finanzen und des Kriegs. Im Sturm und Drange
der Zeit kam man 1848 nicht dazu, eine neue Verfassung zu vereinbaren.

Ais nun die Wasser sich wieder verlaufen hatten, Ende 1849, kamen in¬
folge eines von dem Regierungscommissär Bertram gemachten Vorschlags, der
Herzog und die Landstände dahin überein, "das bestehende Staatsrecht zu codi-
ficiren". Die Regierung entwarf eine "Codification". Dieselbe enthielt außer
den Lineamenten des Consiitutionsedicts von 1814, das durch das Wahlgesetz
von 1848 geschaffene Einkammersystem, die seitdem beiderseits als bindend an¬
erkannten constitutionellen Normen und die mittler Weile als Reichsgesetz ver"


völkerung, weil sie jeder freien Bewegung beraubt war. Die rückschreitende
Metamorphose ritt so schnell wie die Todten. In den Jahren 1843 bis 1847
nagte das Land am Hungertuch.

Da kam die Katastrophe von 1848. Der ganze äußerlich glänzende, inner¬
lich morsche büreaukratische Palast stürzte krachend zusammen, und das Volk,
gutmüthig wie es ist, mühte sich im Schweiße seines Angesichts, die unter den
Trümmern begrabenen Unglücklichen zu retten.

Man g'ing nun mit großem Eifer, allerdings auch mit einigem Ungeschick
und einigen Überstürzungen, die unter den damaligen Umständen begreiflich
waren, an den Neubau. Die Domänen wurden für Staatseigenthum erklärt;
jedoch blieben alle bisher daraus bestrittenen Verpflichtungen — Wittthum,
Apanagen, Ausstattungen. Hofpensionen u. s. w. — unangetastet; die Civil-
liste wurde auf 300,000 Gulden jährlich normirt.

Gesellschaft, Bürgerthum, Schule, Gemeinde, Kirche begannen sich von
der Staatsgewalt zu emancipiren. Die letztere acceptirte dies bereitwillig. Und
sie hatte Recht. Denn nur wenn er sich auf das ihm eigenthümliche Thätig¬
keitsfeld beschränkt, kann der Staat seine Kraft concentriren und steigern. Er
wird schwach, sobald er sich in eine lange Kette auslöst, die alles umschlingen will.

Die erste Kammer dankte selbst freiwillig ab. Die nach einem neuen Wahl¬
gesetz gewählte eine Kammer, die Ständeversammlung, reformirte eifrig in
Gesetzgebung und Verwaltung. Alle ihre Reformen trugen den Stempel der
Besonnenheit an der Stirn. Zehnte/l, Zinsen und Gulden wurden beseitigt
durch Ablösung. Die Reluitionssumme wurde höher gegriffen, als selbst in
Preußen und Oestreich. Alle wohlerworbenen Rechte wurden respectirt. Nur
die feudalen Jagdservituten wurden einfach weggefegt, jedoch mit dem Vor¬
behalt, wegen etwaiger Entschädigung demnächst das Geeignete zu verfügen.
In die Verwaltung wurde das Princip des Selfgovernment eingeführt. An
der Spitze der Staatsgeschäfte hatte bisher ein „dirigirender Staats- und Haus¬
minister" gestanden, in dessen Händen sich alle Ressorts vereinigten. An seine
Stelle trat nun ein Collegium, bestehend aus den Chefs der neu creirten De¬
partements der Justiz, des Innern (worunter auch Cultus, Handel, Ackerbau
und öffentliche Arbeiten), der Finanzen und des Kriegs. Im Sturm und Drange
der Zeit kam man 1848 nicht dazu, eine neue Verfassung zu vereinbaren.

Ais nun die Wasser sich wieder verlaufen hatten, Ende 1849, kamen in¬
folge eines von dem Regierungscommissär Bertram gemachten Vorschlags, der
Herzog und die Landstände dahin überein, „das bestehende Staatsrecht zu codi-
ficiren". Die Regierung entwarf eine „Codification". Dieselbe enthielt außer
den Lineamenten des Consiitutionsedicts von 1814, das durch das Wahlgesetz
von 1848 geschaffene Einkammersystem, die seitdem beiderseits als bindend an¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/392>, abgerufen am 28.07.2024.