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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Väterlichen Freundes behandelte. Nassau nannte sich im Vollgefühl seiner
reformatorischen Thätigkeit "den kleinen Musterstaat".

Das ging denn gut, bis zum karlsbader Kongreß, der einen giftigen
Mehlthau warf auf die frischen Saaten, welche in den deutschen Mittel- und
Kleinstaaten zu sprossen begannen. Der Minister von Marschall, ein Akoluth
Metternichs, faßte das Ländchen mit knöcherner Faust, welcher selbst der Sammet-
Handschuh fehlte, den sein genannter Herr und Meister zu tragen pflegte. Die
Preßfreiheit wurde vernichtet. Wenzels Rheinische Blätter mußten eingehen.
Die landständische Verfassung, eingeführt durch ein octroyirtes "Constitutions-
edict" von 1814, konnte sich nicht entwickeln. Die Reformen stockten. Was
die frühere Neformperiode von feudalen Trümmern aus Versehen hatte liegen
lassen, das wurde nun von der jetzigen Reactionsperiode wie ein Heiligthum
conservirt. Alles wurde auf den Kopf gestellt.

Dazu kam ein unseliger häßlicher Streit über Mein und Dein zwischen
dem Fürsten und dem Lande, welche über das Eigenthum und die Nutzungen
der Domanial- und Kammergüter unter einander stritten, -- ein Streit, der,
angefacht von der seit 1820 entstandenen Kamarilla, das Herz des damaligen
Fürsten, des persönlich hochbegabten Herzogs Wilhelm, vergiftete und ihm das
Land entfremdete. Letzteres zahlte die von den Ständen verweigerten, aber
gleichwohl von der Regierung eingeforderten Steuern nicht und konnte nur durch
sehr bedenkliche Mittel, deren böse Nachwirkungen noch heute -- nach mehr
als dreißig Jahren -- bemerklich sind, wieder unterworfen werden. Durch
Mittel ähnlicher Art wurde der Domänenstreit zu Gunsten der Dynastie beendigt.
Den Präsidenten der zweiten Kammer, Geheimrath Herber, bekannt durch sein
Buch: "Das Rechtsverhältniß der Domänen im Herzogthum Nassau" (Frankfurt,
1831), verurtheilte man wegen einer Aeußerung, die man heutzutage in der
officiellen "Nassauischen Landeszeitung", wenn sie in der Kammer gefallen wäre,
ohne alles Bedenken abdrucken würde, zu einer Correctionshausstrafe, der er
nur dadurch entging, daß er starb.

Die Kapacitäten der Regierung gingen ab oder fielen in Ungnade, wie
namentlich der mit Recht gefeierte Regierungspräsident von Jbell. Dem viel¬
erfahrener und geschäftskundigen Herzog Wilhelm folgte 1839 sein Sohn, der
jetzige Herzog Adolph, als junger Mann von zweiundzwanzig Jahren auf den
Thron. An die Spitze der Regierung war schon vorher Dr. Möller getreten,
der von seinem Vorgänger, von Jbell, den Geschmack an der Vollgewalt, aber
nicht das Wohlwollen und den Geist geerbt hatte, der jenen beseelte. Der
witzige Herzog Wilhelm nannte Möller seinen "Koirw seribax".

Die Bureaukratie erstarrte allmälig und lag auf dem Lande wie ein Alp.
Sie hinderte jede sittliche, geistige, wissenschaftliche, wirthschaftliche Regung.
Trotz der enorm reichen natürlichen Hilfsmitte! des Landes verarmte die Be-


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Väterlichen Freundes behandelte. Nassau nannte sich im Vollgefühl seiner
reformatorischen Thätigkeit „den kleinen Musterstaat".

Das ging denn gut, bis zum karlsbader Kongreß, der einen giftigen
Mehlthau warf auf die frischen Saaten, welche in den deutschen Mittel- und
Kleinstaaten zu sprossen begannen. Der Minister von Marschall, ein Akoluth
Metternichs, faßte das Ländchen mit knöcherner Faust, welcher selbst der Sammet-
Handschuh fehlte, den sein genannter Herr und Meister zu tragen pflegte. Die
Preßfreiheit wurde vernichtet. Wenzels Rheinische Blätter mußten eingehen.
Die landständische Verfassung, eingeführt durch ein octroyirtes „Constitutions-
edict" von 1814, konnte sich nicht entwickeln. Die Reformen stockten. Was
die frühere Neformperiode von feudalen Trümmern aus Versehen hatte liegen
lassen, das wurde nun von der jetzigen Reactionsperiode wie ein Heiligthum
conservirt. Alles wurde auf den Kopf gestellt.

Dazu kam ein unseliger häßlicher Streit über Mein und Dein zwischen
dem Fürsten und dem Lande, welche über das Eigenthum und die Nutzungen
der Domanial- und Kammergüter unter einander stritten, — ein Streit, der,
angefacht von der seit 1820 entstandenen Kamarilla, das Herz des damaligen
Fürsten, des persönlich hochbegabten Herzogs Wilhelm, vergiftete und ihm das
Land entfremdete. Letzteres zahlte die von den Ständen verweigerten, aber
gleichwohl von der Regierung eingeforderten Steuern nicht und konnte nur durch
sehr bedenkliche Mittel, deren böse Nachwirkungen noch heute — nach mehr
als dreißig Jahren — bemerklich sind, wieder unterworfen werden. Durch
Mittel ähnlicher Art wurde der Domänenstreit zu Gunsten der Dynastie beendigt.
Den Präsidenten der zweiten Kammer, Geheimrath Herber, bekannt durch sein
Buch: „Das Rechtsverhältniß der Domänen im Herzogthum Nassau" (Frankfurt,
1831), verurtheilte man wegen einer Aeußerung, die man heutzutage in der
officiellen „Nassauischen Landeszeitung", wenn sie in der Kammer gefallen wäre,
ohne alles Bedenken abdrucken würde, zu einer Correctionshausstrafe, der er
nur dadurch entging, daß er starb.

Die Kapacitäten der Regierung gingen ab oder fielen in Ungnade, wie
namentlich der mit Recht gefeierte Regierungspräsident von Jbell. Dem viel¬
erfahrener und geschäftskundigen Herzog Wilhelm folgte 1839 sein Sohn, der
jetzige Herzog Adolph, als junger Mann von zweiundzwanzig Jahren auf den
Thron. An die Spitze der Regierung war schon vorher Dr. Möller getreten,
der von seinem Vorgänger, von Jbell, den Geschmack an der Vollgewalt, aber
nicht das Wohlwollen und den Geist geerbt hatte, der jenen beseelte. Der
witzige Herzog Wilhelm nannte Möller seinen „Koirw seribax".

Die Bureaukratie erstarrte allmälig und lag auf dem Lande wie ein Alp.
Sie hinderte jede sittliche, geistige, wissenschaftliche, wirthschaftliche Regung.
Trotz der enorm reichen natürlichen Hilfsmitte! des Landes verarmte die Be-


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[0391] Väterlichen Freundes behandelte. Nassau nannte sich im Vollgefühl seiner reformatorischen Thätigkeit „den kleinen Musterstaat". Das ging denn gut, bis zum karlsbader Kongreß, der einen giftigen Mehlthau warf auf die frischen Saaten, welche in den deutschen Mittel- und Kleinstaaten zu sprossen begannen. Der Minister von Marschall, ein Akoluth Metternichs, faßte das Ländchen mit knöcherner Faust, welcher selbst der Sammet- Handschuh fehlte, den sein genannter Herr und Meister zu tragen pflegte. Die Preßfreiheit wurde vernichtet. Wenzels Rheinische Blätter mußten eingehen. Die landständische Verfassung, eingeführt durch ein octroyirtes „Constitutions- edict" von 1814, konnte sich nicht entwickeln. Die Reformen stockten. Was die frühere Neformperiode von feudalen Trümmern aus Versehen hatte liegen lassen, das wurde nun von der jetzigen Reactionsperiode wie ein Heiligthum conservirt. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Dazu kam ein unseliger häßlicher Streit über Mein und Dein zwischen dem Fürsten und dem Lande, welche über das Eigenthum und die Nutzungen der Domanial- und Kammergüter unter einander stritten, — ein Streit, der, angefacht von der seit 1820 entstandenen Kamarilla, das Herz des damaligen Fürsten, des persönlich hochbegabten Herzogs Wilhelm, vergiftete und ihm das Land entfremdete. Letzteres zahlte die von den Ständen verweigerten, aber gleichwohl von der Regierung eingeforderten Steuern nicht und konnte nur durch sehr bedenkliche Mittel, deren böse Nachwirkungen noch heute — nach mehr als dreißig Jahren — bemerklich sind, wieder unterworfen werden. Durch Mittel ähnlicher Art wurde der Domänenstreit zu Gunsten der Dynastie beendigt. Den Präsidenten der zweiten Kammer, Geheimrath Herber, bekannt durch sein Buch: „Das Rechtsverhältniß der Domänen im Herzogthum Nassau" (Frankfurt, 1831), verurtheilte man wegen einer Aeußerung, die man heutzutage in der officiellen „Nassauischen Landeszeitung", wenn sie in der Kammer gefallen wäre, ohne alles Bedenken abdrucken würde, zu einer Correctionshausstrafe, der er nur dadurch entging, daß er starb. Die Kapacitäten der Regierung gingen ab oder fielen in Ungnade, wie namentlich der mit Recht gefeierte Regierungspräsident von Jbell. Dem viel¬ erfahrener und geschäftskundigen Herzog Wilhelm folgte 1839 sein Sohn, der jetzige Herzog Adolph, als junger Mann von zweiundzwanzig Jahren auf den Thron. An die Spitze der Regierung war schon vorher Dr. Möller getreten, der von seinem Vorgänger, von Jbell, den Geschmack an der Vollgewalt, aber nicht das Wohlwollen und den Geist geerbt hatte, der jenen beseelte. Der witzige Herzog Wilhelm nannte Möller seinen „Koirw seribax". Die Bureaukratie erstarrte allmälig und lag auf dem Lande wie ein Alp. Sie hinderte jede sittliche, geistige, wissenschaftliche, wirthschaftliche Regung. Trotz der enorm reichen natürlichen Hilfsmitte! des Landes verarmte die Be- 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/391>, abgerufen am 28.07.2024.