Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anfangs noch vertrauten Verkehr mit ihm unterhalten lassen; das Nestitutions-
edikt machte diesen Beziehungen gründlich ein Ende. Jetzt begann er für sein
eignes Hab und Gut zu fürchten, er ermannte sich -- zu nachdrücklichen Vor¬
stellungen; kein Gedanke, daß er eine Verbindung mit Schweden beabsichtigt
hätte, selbst den andern evangelischen Ständen gegenüber bewahrte er ängstlich
seine reservirte Haltung. Der Collegialtag besserte die Lage der evangelischen
Kurfürsten nicht. Ihre Gesandten sollten auf Berufung eines Reichstags zur
Entscheidung über die Fragen der auswärtigen Politik antragen. Sie aber be¬
fanden sich einer an Macht überlegenen, thatkräftigen und rücksichtslosen Majo¬
rität gegenüber in der traurigen Lage einer schwächlichen Minorität, genöthigt,
bei jeder Frage, auf die eS ankam, die Competenz der Versammlung in Abrede
zu stellen. Natürlich verhallten ihre Forderungen als fromme Wünsche in der
Luft, ihre Vertreter sanken im Laufe des Collegialtags mehr und mehr zu der
Rolle unbetheiligter Zuschauer herab: Sie wurden von aller Betheiligung an
Behandlung grade der wichtigsten Fragen ausgeschlossen; mit einem Worte, die
in Regensburg tagende Versammlung wird im Wesentlichen eine Konferenz des
Kaisers mit den Häuptern der Liga.

So vollständig draußen nun auch die sächsischen Gesandten in Regens¬
burg gewesen sind, so haben sie sich doch wenigstens zwei wichtige Actenstücke,
die kaiserliche Replik und den Vorschlag der kaiserlichen Deputirten, zu ver¬
schaffen gewußt: "die einzigen, die wichtigen Verhandlungen mit der Liga be¬
treffenden, welche uns in voller Ausdehnung bekannt sind; im Uebrigen sind
wir ganz auf die äußerst lückenhaften und ungenügenden Notizen bei Hurter
angewiesen, welche grade die Hauptsache unaufgeklärt lassen." Auch sonst ist
das trefflich geordnete dresdner Archiv überraschend reich an Aufschlüssen über
die Zeit, in die der Kurfürstentag von Regensburg fällt. Einen Theil dieses
Schatzes gehoben und auf Grund dieses wie des bereits gedruckten Materials
eine gute, in den wesentlichsten Punkten ganz neue Darstellung jenes wichtigen
Stücks diplomatischer Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gegeben zu haben,
ist das Verdienst Herrn Dr. Heynes, eines Schülers von Droysen, der sich
durch diese Erstlingsschrift in würdiger Weise in die Wissenschaft eingeführt hat.

Auf zwei Punkte, die unter vielen andern der Verfasser in ein ganz neues
Licht gesetzt hat, möge hier noch besonders aufmerksam gemacht werden. Der eine
betrifft das Verhalten der französischen Gesandten in Regensburg, die mit dem
Kaiser einen Frieden abschließen, welchen ihr König dann unter dem Vorwande
nicht ratificirt, daß der Pater Joseph seine Vollmachten überschritten habe.
Herr Heyne hat einleuchtend nachgewiesen, daß der wahre Grund der zwei-
züngigen Handlungsweise nicht, wie meistens angenommen wird, die Krankheit
des Königs, dessen Tod den Sturz Richelieu" herbeigeführt haben würde, sondern


anfangs noch vertrauten Verkehr mit ihm unterhalten lassen; das Nestitutions-
edikt machte diesen Beziehungen gründlich ein Ende. Jetzt begann er für sein
eignes Hab und Gut zu fürchten, er ermannte sich — zu nachdrücklichen Vor¬
stellungen; kein Gedanke, daß er eine Verbindung mit Schweden beabsichtigt
hätte, selbst den andern evangelischen Ständen gegenüber bewahrte er ängstlich
seine reservirte Haltung. Der Collegialtag besserte die Lage der evangelischen
Kurfürsten nicht. Ihre Gesandten sollten auf Berufung eines Reichstags zur
Entscheidung über die Fragen der auswärtigen Politik antragen. Sie aber be¬
fanden sich einer an Macht überlegenen, thatkräftigen und rücksichtslosen Majo¬
rität gegenüber in der traurigen Lage einer schwächlichen Minorität, genöthigt,
bei jeder Frage, auf die eS ankam, die Competenz der Versammlung in Abrede
zu stellen. Natürlich verhallten ihre Forderungen als fromme Wünsche in der
Luft, ihre Vertreter sanken im Laufe des Collegialtags mehr und mehr zu der
Rolle unbetheiligter Zuschauer herab: Sie wurden von aller Betheiligung an
Behandlung grade der wichtigsten Fragen ausgeschlossen; mit einem Worte, die
in Regensburg tagende Versammlung wird im Wesentlichen eine Konferenz des
Kaisers mit den Häuptern der Liga.

So vollständig draußen nun auch die sächsischen Gesandten in Regens¬
burg gewesen sind, so haben sie sich doch wenigstens zwei wichtige Actenstücke,
die kaiserliche Replik und den Vorschlag der kaiserlichen Deputirten, zu ver¬
schaffen gewußt: „die einzigen, die wichtigen Verhandlungen mit der Liga be¬
treffenden, welche uns in voller Ausdehnung bekannt sind; im Uebrigen sind
wir ganz auf die äußerst lückenhaften und ungenügenden Notizen bei Hurter
angewiesen, welche grade die Hauptsache unaufgeklärt lassen." Auch sonst ist
das trefflich geordnete dresdner Archiv überraschend reich an Aufschlüssen über
die Zeit, in die der Kurfürstentag von Regensburg fällt. Einen Theil dieses
Schatzes gehoben und auf Grund dieses wie des bereits gedruckten Materials
eine gute, in den wesentlichsten Punkten ganz neue Darstellung jenes wichtigen
Stücks diplomatischer Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gegeben zu haben,
ist das Verdienst Herrn Dr. Heynes, eines Schülers von Droysen, der sich
durch diese Erstlingsschrift in würdiger Weise in die Wissenschaft eingeführt hat.

Auf zwei Punkte, die unter vielen andern der Verfasser in ein ganz neues
Licht gesetzt hat, möge hier noch besonders aufmerksam gemacht werden. Der eine
betrifft das Verhalten der französischen Gesandten in Regensburg, die mit dem
Kaiser einen Frieden abschließen, welchen ihr König dann unter dem Vorwande
nicht ratificirt, daß der Pater Joseph seine Vollmachten überschritten habe.
Herr Heyne hat einleuchtend nachgewiesen, daß der wahre Grund der zwei-
züngigen Handlungsweise nicht, wie meistens angenommen wird, die Krankheit
des Königs, dessen Tod den Sturz Richelieu« herbeigeführt haben würde, sondern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285411"/>
            <p xml:id="ID_1158" prev="#ID_1157"> anfangs noch vertrauten Verkehr mit ihm unterhalten lassen; das Nestitutions-<lb/>
edikt machte diesen Beziehungen gründlich ein Ende. Jetzt begann er für sein<lb/>
eignes Hab und Gut zu fürchten, er ermannte sich &#x2014; zu nachdrücklichen Vor¬<lb/>
stellungen; kein Gedanke, daß er eine Verbindung mit Schweden beabsichtigt<lb/>
hätte, selbst den andern evangelischen Ständen gegenüber bewahrte er ängstlich<lb/>
seine reservirte Haltung. Der Collegialtag besserte die Lage der evangelischen<lb/>
Kurfürsten nicht. Ihre Gesandten sollten auf Berufung eines Reichstags zur<lb/>
Entscheidung über die Fragen der auswärtigen Politik antragen. Sie aber be¬<lb/>
fanden sich einer an Macht überlegenen, thatkräftigen und rücksichtslosen Majo¬<lb/>
rität gegenüber in der traurigen Lage einer schwächlichen Minorität, genöthigt,<lb/>
bei jeder Frage, auf die eS ankam, die Competenz der Versammlung in Abrede<lb/>
zu stellen. Natürlich verhallten ihre Forderungen als fromme Wünsche in der<lb/>
Luft, ihre Vertreter sanken im Laufe des Collegialtags mehr und mehr zu der<lb/>
Rolle unbetheiligter Zuschauer herab: Sie wurden von aller Betheiligung an<lb/>
Behandlung grade der wichtigsten Fragen ausgeschlossen; mit einem Worte, die<lb/>
in Regensburg tagende Versammlung wird im Wesentlichen eine Konferenz des<lb/>
Kaisers mit den Häuptern der Liga.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1159"> So vollständig draußen nun auch die sächsischen Gesandten in Regens¬<lb/>
burg gewesen sind, so haben sie sich doch wenigstens zwei wichtige Actenstücke,<lb/>
die kaiserliche Replik und den Vorschlag der kaiserlichen Deputirten, zu ver¬<lb/>
schaffen gewußt: &#x201E;die einzigen, die wichtigen Verhandlungen mit der Liga be¬<lb/>
treffenden, welche uns in voller Ausdehnung bekannt sind; im Uebrigen sind<lb/>
wir ganz auf die äußerst lückenhaften und ungenügenden Notizen bei Hurter<lb/>
angewiesen, welche grade die Hauptsache unaufgeklärt lassen." Auch sonst ist<lb/>
das trefflich geordnete dresdner Archiv überraschend reich an Aufschlüssen über<lb/>
die Zeit, in die der Kurfürstentag von Regensburg fällt. Einen Theil dieses<lb/>
Schatzes gehoben und auf Grund dieses wie des bereits gedruckten Materials<lb/>
eine gute, in den wesentlichsten Punkten ganz neue Darstellung jenes wichtigen<lb/>
Stücks diplomatischer Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gegeben zu haben,<lb/>
ist das Verdienst Herrn Dr. Heynes, eines Schülers von Droysen, der sich<lb/>
durch diese Erstlingsschrift in würdiger Weise in die Wissenschaft eingeführt hat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1160" next="#ID_1161"> Auf zwei Punkte, die unter vielen andern der Verfasser in ein ganz neues<lb/>
Licht gesetzt hat, möge hier noch besonders aufmerksam gemacht werden. Der eine<lb/>
betrifft das Verhalten der französischen Gesandten in Regensburg, die mit dem<lb/>
Kaiser einen Frieden abschließen, welchen ihr König dann unter dem Vorwande<lb/>
nicht ratificirt, daß der Pater Joseph seine Vollmachten überschritten habe.<lb/>
Herr Heyne hat einleuchtend nachgewiesen, daß der wahre Grund der zwei-<lb/>
züngigen Handlungsweise nicht, wie meistens angenommen wird, die Krankheit<lb/>
des Königs, dessen Tod den Sturz Richelieu« herbeigeführt haben würde, sondern</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] anfangs noch vertrauten Verkehr mit ihm unterhalten lassen; das Nestitutions- edikt machte diesen Beziehungen gründlich ein Ende. Jetzt begann er für sein eignes Hab und Gut zu fürchten, er ermannte sich — zu nachdrücklichen Vor¬ stellungen; kein Gedanke, daß er eine Verbindung mit Schweden beabsichtigt hätte, selbst den andern evangelischen Ständen gegenüber bewahrte er ängstlich seine reservirte Haltung. Der Collegialtag besserte die Lage der evangelischen Kurfürsten nicht. Ihre Gesandten sollten auf Berufung eines Reichstags zur Entscheidung über die Fragen der auswärtigen Politik antragen. Sie aber be¬ fanden sich einer an Macht überlegenen, thatkräftigen und rücksichtslosen Majo¬ rität gegenüber in der traurigen Lage einer schwächlichen Minorität, genöthigt, bei jeder Frage, auf die eS ankam, die Competenz der Versammlung in Abrede zu stellen. Natürlich verhallten ihre Forderungen als fromme Wünsche in der Luft, ihre Vertreter sanken im Laufe des Collegialtags mehr und mehr zu der Rolle unbetheiligter Zuschauer herab: Sie wurden von aller Betheiligung an Behandlung grade der wichtigsten Fragen ausgeschlossen; mit einem Worte, die in Regensburg tagende Versammlung wird im Wesentlichen eine Konferenz des Kaisers mit den Häuptern der Liga. So vollständig draußen nun auch die sächsischen Gesandten in Regens¬ burg gewesen sind, so haben sie sich doch wenigstens zwei wichtige Actenstücke, die kaiserliche Replik und den Vorschlag der kaiserlichen Deputirten, zu ver¬ schaffen gewußt: „die einzigen, die wichtigen Verhandlungen mit der Liga be¬ treffenden, welche uns in voller Ausdehnung bekannt sind; im Uebrigen sind wir ganz auf die äußerst lückenhaften und ungenügenden Notizen bei Hurter angewiesen, welche grade die Hauptsache unaufgeklärt lassen." Auch sonst ist das trefflich geordnete dresdner Archiv überraschend reich an Aufschlüssen über die Zeit, in die der Kurfürstentag von Regensburg fällt. Einen Theil dieses Schatzes gehoben und auf Grund dieses wie des bereits gedruckten Materials eine gute, in den wesentlichsten Punkten ganz neue Darstellung jenes wichtigen Stücks diplomatischer Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gegeben zu haben, ist das Verdienst Herrn Dr. Heynes, eines Schülers von Droysen, der sich durch diese Erstlingsschrift in würdiger Weise in die Wissenschaft eingeführt hat. Auf zwei Punkte, die unter vielen andern der Verfasser in ein ganz neues Licht gesetzt hat, möge hier noch besonders aufmerksam gemacht werden. Der eine betrifft das Verhalten der französischen Gesandten in Regensburg, die mit dem Kaiser einen Frieden abschließen, welchen ihr König dann unter dem Vorwande nicht ratificirt, daß der Pater Joseph seine Vollmachten überschritten habe. Herr Heyne hat einleuchtend nachgewiesen, daß der wahre Grund der zwei- züngigen Handlungsweise nicht, wie meistens angenommen wird, die Krankheit des Königs, dessen Tod den Sturz Richelieu« herbeigeführt haben würde, sondern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/383>, abgerufen am 01.09.2024.