Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ein willkommner Gast war. In die Zechstuben der Städtebürger rief er: "Ein
Märtenstrunk, ein pommerscher Trunk! Neun Zug' und beide Backen voll!"
An die Bauernhäuser schrieb er unsaubre Sprüche, wie den folgenden:

Alle Welt diente dem bösen Geist im Fasse in Saus und Braus, soweit
der Beutel reichte und der Wirth borgte, Vornehm und Gering. Weltlied und
Geistlich, Jung und Alt; ja waS schlimmer war, man rühmte sich ihm zu dienen
und es war überall eine Ehre, oft Erforderniß, möglich viel Getränk mann¬
haft hinunterschütten zu können, ohne vom Dämon im Humpen übermeistert
zu werden. Auf den Reichstagen wurde bisweilen die Stimme der Vernunft
laut, aber ohne anderes Ergebniß als einen ohnmächtigen Beschluß. Es wäre
auch gar zu komisch gewesen', wenn die Blinden der Blinden Leiter, wenn
Trunkenbolde wie die sächsischen und die braunschweigischen Fürsten, die pommer-
schen und die schlesischen Herzöge, die zwischen den Verhandlungen selbst des
unsinnigsten Trinkens pflegten, Gesetzgeber der Nation in Sachen der Mäßigkeit
geworden wären. Noch 1548 kam ein derartiger Anlauf vor, und es erging
ein großmächtig aussehendes Reichsgesetz, nach welchem die Obrigkeiten das
übermäßige Trinken und das Zutrinken abstellen und die Ueberfahrer ernstlich
strafen sollten. Aber, wie die Reichspolizeiordnung von 1677 offen eingesteht,
vom Durchdringen mit solchen löblichen Versuchen war nirgends oder doch nur
an wenigen Orten die Rede. Wie es um die Mitte des Jahrhunderts in dieser
Beziehung in Deutschland, vorzüglich in Sachsen, der Mark und Mecklenburg
sowie in den übrigen "alten" oder "großen Trinkländern" des Nordens aussah,
mag uns die oft citirte Flugschrift des Matthäus Fridrich "Wider den Sauf-
teusel" erzählen, die 1652 zu Leipzig herauskam. Es heißt da unter andern

"Es üben solche Laster jetzund nicht allein die Mannspersonen, sondern
auch die Weiber, nicht allein die Alten, sondern auch die jungen Kinder, die
können allbereits einander ein Halbes zutrinken. Die Eltern lehren's auch wohl
ihre Kinder: Nu laß sehen (spricht der Vater zum Söhnlein), was du kannst,
bringe ihm ein Halbes oder Ganzes."

"Und über das Alles hat man solches Lasters des Saufens und der Trunken¬
heit kein Hehl, sondern man kitzelt sich damit, als hätte man gar wohl ge¬
handelt. Ja rühmen's auch herrlich, und saget Einer zu dem Andern: Lieber,
ich wollte, daß du machten bei uns gewesen wärest. Wir waren recht fröhlich,
da ließen-wir das Rädlein herummergehen, es durfte keiner nüchtern davon
kommen. Ich soff sie endlich alle darnieder, oder der fiel auf die Bank, jener
fiel ganz hinunter und blieb liegen. Da solltest du Wunder gesehen haben."


44*

ein willkommner Gast war. In die Zechstuben der Städtebürger rief er: „Ein
Märtenstrunk, ein pommerscher Trunk! Neun Zug' und beide Backen voll!"
An die Bauernhäuser schrieb er unsaubre Sprüche, wie den folgenden:

Alle Welt diente dem bösen Geist im Fasse in Saus und Braus, soweit
der Beutel reichte und der Wirth borgte, Vornehm und Gering. Weltlied und
Geistlich, Jung und Alt; ja waS schlimmer war, man rühmte sich ihm zu dienen
und es war überall eine Ehre, oft Erforderniß, möglich viel Getränk mann¬
haft hinunterschütten zu können, ohne vom Dämon im Humpen übermeistert
zu werden. Auf den Reichstagen wurde bisweilen die Stimme der Vernunft
laut, aber ohne anderes Ergebniß als einen ohnmächtigen Beschluß. Es wäre
auch gar zu komisch gewesen', wenn die Blinden der Blinden Leiter, wenn
Trunkenbolde wie die sächsischen und die braunschweigischen Fürsten, die pommer-
schen und die schlesischen Herzöge, die zwischen den Verhandlungen selbst des
unsinnigsten Trinkens pflegten, Gesetzgeber der Nation in Sachen der Mäßigkeit
geworden wären. Noch 1548 kam ein derartiger Anlauf vor, und es erging
ein großmächtig aussehendes Reichsgesetz, nach welchem die Obrigkeiten das
übermäßige Trinken und das Zutrinken abstellen und die Ueberfahrer ernstlich
strafen sollten. Aber, wie die Reichspolizeiordnung von 1677 offen eingesteht,
vom Durchdringen mit solchen löblichen Versuchen war nirgends oder doch nur
an wenigen Orten die Rede. Wie es um die Mitte des Jahrhunderts in dieser
Beziehung in Deutschland, vorzüglich in Sachsen, der Mark und Mecklenburg
sowie in den übrigen „alten" oder „großen Trinkländern" des Nordens aussah,
mag uns die oft citirte Flugschrift des Matthäus Fridrich „Wider den Sauf-
teusel" erzählen, die 1652 zu Leipzig herauskam. Es heißt da unter andern

„Es üben solche Laster jetzund nicht allein die Mannspersonen, sondern
auch die Weiber, nicht allein die Alten, sondern auch die jungen Kinder, die
können allbereits einander ein Halbes zutrinken. Die Eltern lehren's auch wohl
ihre Kinder: Nu laß sehen (spricht der Vater zum Söhnlein), was du kannst,
bringe ihm ein Halbes oder Ganzes."

„Und über das Alles hat man solches Lasters des Saufens und der Trunken¬
heit kein Hehl, sondern man kitzelt sich damit, als hätte man gar wohl ge¬
handelt. Ja rühmen's auch herrlich, und saget Einer zu dem Andern: Lieber,
ich wollte, daß du machten bei uns gewesen wärest. Wir waren recht fröhlich,
da ließen-wir das Rädlein herummergehen, es durfte keiner nüchtern davon
kommen. Ich soff sie endlich alle darnieder, oder der fiel auf die Bank, jener
fiel ganz hinunter und blieb liegen. Da solltest du Wunder gesehen haben."


44*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285401"/>
          <p xml:id="ID_1119" prev="#ID_1118"> ein willkommner Gast war. In die Zechstuben der Städtebürger rief er: &#x201E;Ein<lb/>
Märtenstrunk, ein pommerscher Trunk! Neun Zug' und beide Backen voll!"<lb/>
An die Bauernhäuser schrieb er unsaubre Sprüche, wie den folgenden:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_15" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1120"> Alle Welt diente dem bösen Geist im Fasse in Saus und Braus, soweit<lb/>
der Beutel reichte und der Wirth borgte, Vornehm und Gering. Weltlied und<lb/>
Geistlich, Jung und Alt; ja waS schlimmer war, man rühmte sich ihm zu dienen<lb/>
und es war überall eine Ehre, oft Erforderniß, möglich viel Getränk mann¬<lb/>
haft hinunterschütten zu können, ohne vom Dämon im Humpen übermeistert<lb/>
zu werden. Auf den Reichstagen wurde bisweilen die Stimme der Vernunft<lb/>
laut, aber ohne anderes Ergebniß als einen ohnmächtigen Beschluß. Es wäre<lb/>
auch gar zu komisch gewesen', wenn die Blinden der Blinden Leiter, wenn<lb/>
Trunkenbolde wie die sächsischen und die braunschweigischen Fürsten, die pommer-<lb/>
schen und die schlesischen Herzöge, die zwischen den Verhandlungen selbst des<lb/>
unsinnigsten Trinkens pflegten, Gesetzgeber der Nation in Sachen der Mäßigkeit<lb/>
geworden wären. Noch 1548 kam ein derartiger Anlauf vor, und es erging<lb/>
ein großmächtig aussehendes Reichsgesetz, nach welchem die Obrigkeiten das<lb/>
übermäßige Trinken und das Zutrinken abstellen und die Ueberfahrer ernstlich<lb/>
strafen sollten. Aber, wie die Reichspolizeiordnung von 1677 offen eingesteht,<lb/>
vom Durchdringen mit solchen löblichen Versuchen war nirgends oder doch nur<lb/>
an wenigen Orten die Rede. Wie es um die Mitte des Jahrhunderts in dieser<lb/>
Beziehung in Deutschland, vorzüglich in Sachsen, der Mark und Mecklenburg<lb/>
sowie in den übrigen &#x201E;alten" oder &#x201E;großen Trinkländern" des Nordens aussah,<lb/>
mag uns die oft citirte Flugschrift des Matthäus Fridrich &#x201E;Wider den Sauf-<lb/>
teusel" erzählen, die 1652 zu Leipzig herauskam. Es heißt da unter andern</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1121"> &#x201E;Es üben solche Laster jetzund nicht allein die Mannspersonen, sondern<lb/>
auch die Weiber, nicht allein die Alten, sondern auch die jungen Kinder, die<lb/>
können allbereits einander ein Halbes zutrinken. Die Eltern lehren's auch wohl<lb/>
ihre Kinder: Nu laß sehen (spricht der Vater zum Söhnlein), was du kannst,<lb/>
bringe ihm ein Halbes oder Ganzes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1122"> &#x201E;Und über das Alles hat man solches Lasters des Saufens und der Trunken¬<lb/>
heit kein Hehl, sondern man kitzelt sich damit, als hätte man gar wohl ge¬<lb/>
handelt. Ja rühmen's auch herrlich, und saget Einer zu dem Andern: Lieber,<lb/>
ich wollte, daß du machten bei uns gewesen wärest. Wir waren recht fröhlich,<lb/>
da ließen-wir das Rädlein herummergehen, es durfte keiner nüchtern davon<lb/>
kommen. Ich soff sie endlich alle darnieder, oder der fiel auf die Bank, jener<lb/>
fiel ganz hinunter und blieb liegen.  Da solltest du Wunder gesehen haben."</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] ein willkommner Gast war. In die Zechstuben der Städtebürger rief er: „Ein Märtenstrunk, ein pommerscher Trunk! Neun Zug' und beide Backen voll!" An die Bauernhäuser schrieb er unsaubre Sprüche, wie den folgenden: Alle Welt diente dem bösen Geist im Fasse in Saus und Braus, soweit der Beutel reichte und der Wirth borgte, Vornehm und Gering. Weltlied und Geistlich, Jung und Alt; ja waS schlimmer war, man rühmte sich ihm zu dienen und es war überall eine Ehre, oft Erforderniß, möglich viel Getränk mann¬ haft hinunterschütten zu können, ohne vom Dämon im Humpen übermeistert zu werden. Auf den Reichstagen wurde bisweilen die Stimme der Vernunft laut, aber ohne anderes Ergebniß als einen ohnmächtigen Beschluß. Es wäre auch gar zu komisch gewesen', wenn die Blinden der Blinden Leiter, wenn Trunkenbolde wie die sächsischen und die braunschweigischen Fürsten, die pommer- schen und die schlesischen Herzöge, die zwischen den Verhandlungen selbst des unsinnigsten Trinkens pflegten, Gesetzgeber der Nation in Sachen der Mäßigkeit geworden wären. Noch 1548 kam ein derartiger Anlauf vor, und es erging ein großmächtig aussehendes Reichsgesetz, nach welchem die Obrigkeiten das übermäßige Trinken und das Zutrinken abstellen und die Ueberfahrer ernstlich strafen sollten. Aber, wie die Reichspolizeiordnung von 1677 offen eingesteht, vom Durchdringen mit solchen löblichen Versuchen war nirgends oder doch nur an wenigen Orten die Rede. Wie es um die Mitte des Jahrhunderts in dieser Beziehung in Deutschland, vorzüglich in Sachsen, der Mark und Mecklenburg sowie in den übrigen „alten" oder „großen Trinkländern" des Nordens aussah, mag uns die oft citirte Flugschrift des Matthäus Fridrich „Wider den Sauf- teusel" erzählen, die 1652 zu Leipzig herauskam. Es heißt da unter andern „Es üben solche Laster jetzund nicht allein die Mannspersonen, sondern auch die Weiber, nicht allein die Alten, sondern auch die jungen Kinder, die können allbereits einander ein Halbes zutrinken. Die Eltern lehren's auch wohl ihre Kinder: Nu laß sehen (spricht der Vater zum Söhnlein), was du kannst, bringe ihm ein Halbes oder Ganzes." „Und über das Alles hat man solches Lasters des Saufens und der Trunken¬ heit kein Hehl, sondern man kitzelt sich damit, als hätte man gar wohl ge¬ handelt. Ja rühmen's auch herrlich, und saget Einer zu dem Andern: Lieber, ich wollte, daß du machten bei uns gewesen wärest. Wir waren recht fröhlich, da ließen-wir das Rädlein herummergehen, es durfte keiner nüchtern davon kommen. Ich soff sie endlich alle darnieder, oder der fiel auf die Bank, jener fiel ganz hinunter und blieb liegen. Da solltest du Wunder gesehen haben." 44*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/373>, abgerufen am 28.07.2024.