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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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jener Mäßigkeitsgesellschaft erstand ein "Sauforden", im Gegensat) gegen die
Gesinnung des obigen Liedes, welches sich zwar freut, daß der Rebensaft so
reichlich erschaffen ist, ihn aber stets mit Mäßigkeit genossen haben will, braust
derb, ungestüm und trotzig ein Turnierlied damaliger Bierschwelger durch den
widerdröhnenden Keller:

Auch das Predigen ging mehr in die Luft, als in die Herzen, zumal da
nicht wenige Pfarrherrn neben der Sorge für die Seelen, auch die Sorge für
die Kehlen ihrer Gemeinde sich angelegen sein ließen, oder, um deutlicher zu
reden, in ihrer Pfarre Bier ausschenkten.*) "Es ist leider ganz Deutschland
mit Saufen geplagt," schreibt Luther in seiner Streitschrift "Wider Hans Worst"
im Jahre 1341. "Wir predigen, schreien und predigen dawider, es hilft aber
leider nicht viel. Es ist ein böses altes Herkommen im deutschen Lande, wie
der Römer Cornelius schreibt, hat zugenommen und nimmt noch zu." Und
um dieselbe Zeit ungefähr sagt der Reformator in seiner Auslegung deS
101. Psalms mit einem stark humoristischen Anflug von Resignation: "Es
muß ein jeglich Land seinen eignen Teufel haben" -- "unser deutscher Teufel
wird ein guter Weinschlauch sein und muß sans heißen."

Ein in der That abscheulicher Teufel, der namentlich an den Höfen, be¬
sonders der protestantischen Fürsten, vor allen am wittenberger und dann am
dresdner Hofe eine Menge höchst nothwendiger aber ohnehin nur mäßig vor¬
handener Energie und zeitweise allen Verstand verschlang, aber auch anderswo



*) So wenigstens in Sachsen. Am 14. August 1S49 läßt Kurfürst Moritz aus Torgau
an den Superintendenten Buchner in Oschatz schreiben: "Würdiger, Lieber, Andächtiger, Uns
gelanget an, daß sich der Pfarrer zu Grödcl Bier in der Pfarren auszuschänken und öffent-
liche Tabern zu halten unterstehen solle, welches nicht allein Uns an der Trau?Steuer zu Ab¬
bruch, sondern auch dem Erbkretzschmar daselbst zu Nachtheil gereichen thut, zudem es auch
ärgerlich und nicht im Gebrauch, daß Bier in Pfarren geschänkt und Gäste gesetzt werden
sollen" u, s. w. Am 8. August desselben Jahres schreiben die kurfürstlichen Räthe aus Torgau
an das Conststorium zu Meißen wegen des Pfarrers zu Riesa, der gleichfalls eine Schenke in
seiner Amtswohnung eingerichtet hat und sich auch "sonst in seinem Wandel leichtfertig hält",
und wieder sind den Herren die Tranksteuer und die Gerechtsame des Krctzschmars dabei das
Wichtigste, was beeinträchtigt wird. Noch die Generalartikel vom 1. Januar 1580 bestimmen:
"Es sollen auch die Pfarrer sich aller unehrlichen Handthierungen, wie auch deS Wein- und
Bierschenkens enthalten." Und aus dem Synodaldccrete vom 6. August 1624 ersehen wir, daß
"auf die hohen Feste bei den gemeinen Zechen Getränke (selbstverständlich geistige) in die
Kirchen oder unter den Glockenthurm geschleppt und gcschroten" wurden. Vgl. Archiv für d.
Sachs. Geschichte. Leipzig, Tauchnitz, 1863. 1. Bd. S. 237 und 238.

jener Mäßigkeitsgesellschaft erstand ein „Sauforden", im Gegensat) gegen die
Gesinnung des obigen Liedes, welches sich zwar freut, daß der Rebensaft so
reichlich erschaffen ist, ihn aber stets mit Mäßigkeit genossen haben will, braust
derb, ungestüm und trotzig ein Turnierlied damaliger Bierschwelger durch den
widerdröhnenden Keller:

Auch das Predigen ging mehr in die Luft, als in die Herzen, zumal da
nicht wenige Pfarrherrn neben der Sorge für die Seelen, auch die Sorge für
die Kehlen ihrer Gemeinde sich angelegen sein ließen, oder, um deutlicher zu
reden, in ihrer Pfarre Bier ausschenkten.*) „Es ist leider ganz Deutschland
mit Saufen geplagt," schreibt Luther in seiner Streitschrift „Wider Hans Worst"
im Jahre 1341. „Wir predigen, schreien und predigen dawider, es hilft aber
leider nicht viel. Es ist ein böses altes Herkommen im deutschen Lande, wie
der Römer Cornelius schreibt, hat zugenommen und nimmt noch zu." Und
um dieselbe Zeit ungefähr sagt der Reformator in seiner Auslegung deS
101. Psalms mit einem stark humoristischen Anflug von Resignation: „Es
muß ein jeglich Land seinen eignen Teufel haben" — „unser deutscher Teufel
wird ein guter Weinschlauch sein und muß sans heißen."

Ein in der That abscheulicher Teufel, der namentlich an den Höfen, be¬
sonders der protestantischen Fürsten, vor allen am wittenberger und dann am
dresdner Hofe eine Menge höchst nothwendiger aber ohnehin nur mäßig vor¬
handener Energie und zeitweise allen Verstand verschlang, aber auch anderswo



*) So wenigstens in Sachsen. Am 14. August 1S49 läßt Kurfürst Moritz aus Torgau
an den Superintendenten Buchner in Oschatz schreiben: „Würdiger, Lieber, Andächtiger, Uns
gelanget an, daß sich der Pfarrer zu Grödcl Bier in der Pfarren auszuschänken und öffent-
liche Tabern zu halten unterstehen solle, welches nicht allein Uns an der Trau?Steuer zu Ab¬
bruch, sondern auch dem Erbkretzschmar daselbst zu Nachtheil gereichen thut, zudem es auch
ärgerlich und nicht im Gebrauch, daß Bier in Pfarren geschänkt und Gäste gesetzt werden
sollen" u, s. w. Am 8. August desselben Jahres schreiben die kurfürstlichen Räthe aus Torgau
an das Conststorium zu Meißen wegen des Pfarrers zu Riesa, der gleichfalls eine Schenke in
seiner Amtswohnung eingerichtet hat und sich auch „sonst in seinem Wandel leichtfertig hält",
und wieder sind den Herren die Tranksteuer und die Gerechtsame des Krctzschmars dabei das
Wichtigste, was beeinträchtigt wird. Noch die Generalartikel vom 1. Januar 1580 bestimmen:
„Es sollen auch die Pfarrer sich aller unehrlichen Handthierungen, wie auch deS Wein- und
Bierschenkens enthalten." Und aus dem Synodaldccrete vom 6. August 1624 ersehen wir, daß
„auf die hohen Feste bei den gemeinen Zechen Getränke (selbstverständlich geistige) in die
Kirchen oder unter den Glockenthurm geschleppt und gcschroten" wurden. Vgl. Archiv für d.
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[0372] jener Mäßigkeitsgesellschaft erstand ein „Sauforden", im Gegensat) gegen die Gesinnung des obigen Liedes, welches sich zwar freut, daß der Rebensaft so reichlich erschaffen ist, ihn aber stets mit Mäßigkeit genossen haben will, braust derb, ungestüm und trotzig ein Turnierlied damaliger Bierschwelger durch den widerdröhnenden Keller: Auch das Predigen ging mehr in die Luft, als in die Herzen, zumal da nicht wenige Pfarrherrn neben der Sorge für die Seelen, auch die Sorge für die Kehlen ihrer Gemeinde sich angelegen sein ließen, oder, um deutlicher zu reden, in ihrer Pfarre Bier ausschenkten.*) „Es ist leider ganz Deutschland mit Saufen geplagt," schreibt Luther in seiner Streitschrift „Wider Hans Worst" im Jahre 1341. „Wir predigen, schreien und predigen dawider, es hilft aber leider nicht viel. Es ist ein böses altes Herkommen im deutschen Lande, wie der Römer Cornelius schreibt, hat zugenommen und nimmt noch zu." Und um dieselbe Zeit ungefähr sagt der Reformator in seiner Auslegung deS 101. Psalms mit einem stark humoristischen Anflug von Resignation: „Es muß ein jeglich Land seinen eignen Teufel haben" — „unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß sans heißen." Ein in der That abscheulicher Teufel, der namentlich an den Höfen, be¬ sonders der protestantischen Fürsten, vor allen am wittenberger und dann am dresdner Hofe eine Menge höchst nothwendiger aber ohnehin nur mäßig vor¬ handener Energie und zeitweise allen Verstand verschlang, aber auch anderswo *) So wenigstens in Sachsen. Am 14. August 1S49 läßt Kurfürst Moritz aus Torgau an den Superintendenten Buchner in Oschatz schreiben: „Würdiger, Lieber, Andächtiger, Uns gelanget an, daß sich der Pfarrer zu Grödcl Bier in der Pfarren auszuschänken und öffent- liche Tabern zu halten unterstehen solle, welches nicht allein Uns an der Trau?Steuer zu Ab¬ bruch, sondern auch dem Erbkretzschmar daselbst zu Nachtheil gereichen thut, zudem es auch ärgerlich und nicht im Gebrauch, daß Bier in Pfarren geschänkt und Gäste gesetzt werden sollen" u, s. w. Am 8. August desselben Jahres schreiben die kurfürstlichen Räthe aus Torgau an das Conststorium zu Meißen wegen des Pfarrers zu Riesa, der gleichfalls eine Schenke in seiner Amtswohnung eingerichtet hat und sich auch „sonst in seinem Wandel leichtfertig hält", und wieder sind den Herren die Tranksteuer und die Gerechtsame des Krctzschmars dabei das Wichtigste, was beeinträchtigt wird. Noch die Generalartikel vom 1. Januar 1580 bestimmen: „Es sollen auch die Pfarrer sich aller unehrlichen Handthierungen, wie auch deS Wein- und Bierschenkens enthalten." Und aus dem Synodaldccrete vom 6. August 1624 ersehen wir, daß „auf die hohen Feste bei den gemeinen Zechen Getränke (selbstverständlich geistige) in die Kirchen oder unter den Glockenthurm geschleppt und gcschroten" wurden. Vgl. Archiv für d. Sachs. Geschichte. Leipzig, Tauchnitz, 1863. 1. Bd. S. 237 und 238.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/372>, abgerufen am 28.07.2024.