Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

florirte und dem Studenten das erste Jahr des akademischen Lebens zur Hölle
machte, schon in der hier besprochen Periode zu der krassen Gestalt ausgeartet
ist, in der wir ihn im nächsten Capitel sehen werden, ist nach unsern Quellen
nicht zu sagen. Die Anfänge dazu waren ohne Zweifel schon damals reichlich
vorhanden. Ebenso sicher ist. daß gewisse Zechergesetze, von denen einige sich
bis auf unsre Tage vererbt haben, in dem Jahrhundert der Reformation sich
ausbildeten.

Mächtiges Zechen war eine alte Sitte der Deutschen. Abgesehen von den
Biertusen der taciteischcn Germanen und den Trinkhörnern der eddischen Walhalla,
weisen auf sie schon die Capitularien Karls des Großen hin, welche daS Laster
der Trunkenheit in allen Ständen und nicht an wenigsten unter dem Klerus
verbreitet zeigen. Grafen saßen nach diesen Urkunden betrunken zu Gericht,
Brüderschaften hatten sich gebildet, bei denen das Trinken zu statutarischen Zwang
gediehen war, selbst an heiliger Stätte wurde maßlos gezecht. "Willst du mit
Gottes Hilfe dich nüchtern halten?" fragte später ein sicherlich nicht unbegründeter
Argwohn den deutschen Kaiser vor seiner Krönung in Rom. Schon früh war
der Schenktisch in wohlhabenden Häusern das wichtigste Möbel, spielte der
Becher vom Adel bis zum Bauern herab, bei Käufer und Belehrungen eine
Hauptrolle. Später, nach den Hussitenkriegen, in denen ein großer Theil deS
Volkes verwilderte, und in der Zeit der Landsknechte, welche Dörfer und
Städte mit einer Menge wüster Kriegsgurgeln überschwemmte, wurde der Trunk
gradezu ein Nationallaster. Die humanistische Bewegung warf dann auch auf
diesen dunkeln Fleck im Charakter der Deutschen einen gewissen heitern Glanz,
mit dem die von ihr Berührten recht wohlthuend von dem sonst üblichen Treiben,
dem rein auf Bewältigung großer Quantitäten von Getränk gerichteten Zechen
und dem noch ungeschlachteren Trinken um des Betrunkenwerdens willen ab¬
stechen. Die schönsten und gemüthvollsten Trinklieder der deutschen Volkspoesie
sind Kinder des sechzehnten Jahrhunderts. So vor Allem mehre Nundgesänge.
wie "Nun grüß dich Gott, du edler Saft!" oder "Wir haben ein Schifflein
mit Wein beladen", und so die Lieder "Wo soll ich mich hinkehren, ich dummes
Brüderlein?" und "Wohlauf, wohlauf, gut Gesellen, die heut noch nüchtern sein!"

Andrerseits fehlte eS nicht an Moralisten, die in Predigten und Flug¬
schriften der zu förmlicher Seuche gewordenen, namentlich im Norden Deutsch¬
lands grassirenden Zechsucht ihre Thorheit und Gottlosigkeit zu Gemüth zu
führen suchten. So erschien 1S21 Sebastian Francks Strafrede "Von dem
greulichen Laster der Trunkenheit", so 1523 die kleine Schrift eines Unbekannten
"Vom Zutrinken. Neue Laster und Mißbräuche, die erfolgen aus dem schänd¬
lichen Zutrinken, damit jetzt die ganze teutsche Nation befleckt und verachtet ist"!
so eiferten ferner alte Innungsartikel gegen übermäßigen Genuß von Bier und
Wein, und so hallten die Kanzeln wieder von den kräftigsten Worten gegen das


florirte und dem Studenten das erste Jahr des akademischen Lebens zur Hölle
machte, schon in der hier besprochen Periode zu der krassen Gestalt ausgeartet
ist, in der wir ihn im nächsten Capitel sehen werden, ist nach unsern Quellen
nicht zu sagen. Die Anfänge dazu waren ohne Zweifel schon damals reichlich
vorhanden. Ebenso sicher ist. daß gewisse Zechergesetze, von denen einige sich
bis auf unsre Tage vererbt haben, in dem Jahrhundert der Reformation sich
ausbildeten.

Mächtiges Zechen war eine alte Sitte der Deutschen. Abgesehen von den
Biertusen der taciteischcn Germanen und den Trinkhörnern der eddischen Walhalla,
weisen auf sie schon die Capitularien Karls des Großen hin, welche daS Laster
der Trunkenheit in allen Ständen und nicht an wenigsten unter dem Klerus
verbreitet zeigen. Grafen saßen nach diesen Urkunden betrunken zu Gericht,
Brüderschaften hatten sich gebildet, bei denen das Trinken zu statutarischen Zwang
gediehen war, selbst an heiliger Stätte wurde maßlos gezecht. „Willst du mit
Gottes Hilfe dich nüchtern halten?" fragte später ein sicherlich nicht unbegründeter
Argwohn den deutschen Kaiser vor seiner Krönung in Rom. Schon früh war
der Schenktisch in wohlhabenden Häusern das wichtigste Möbel, spielte der
Becher vom Adel bis zum Bauern herab, bei Käufer und Belehrungen eine
Hauptrolle. Später, nach den Hussitenkriegen, in denen ein großer Theil deS
Volkes verwilderte, und in der Zeit der Landsknechte, welche Dörfer und
Städte mit einer Menge wüster Kriegsgurgeln überschwemmte, wurde der Trunk
gradezu ein Nationallaster. Die humanistische Bewegung warf dann auch auf
diesen dunkeln Fleck im Charakter der Deutschen einen gewissen heitern Glanz,
mit dem die von ihr Berührten recht wohlthuend von dem sonst üblichen Treiben,
dem rein auf Bewältigung großer Quantitäten von Getränk gerichteten Zechen
und dem noch ungeschlachteren Trinken um des Betrunkenwerdens willen ab¬
stechen. Die schönsten und gemüthvollsten Trinklieder der deutschen Volkspoesie
sind Kinder des sechzehnten Jahrhunderts. So vor Allem mehre Nundgesänge.
wie „Nun grüß dich Gott, du edler Saft!" oder „Wir haben ein Schifflein
mit Wein beladen", und so die Lieder „Wo soll ich mich hinkehren, ich dummes
Brüderlein?" und „Wohlauf, wohlauf, gut Gesellen, die heut noch nüchtern sein!"

Andrerseits fehlte eS nicht an Moralisten, die in Predigten und Flug¬
schriften der zu förmlicher Seuche gewordenen, namentlich im Norden Deutsch¬
lands grassirenden Zechsucht ihre Thorheit und Gottlosigkeit zu Gemüth zu
führen suchten. So erschien 1S21 Sebastian Francks Strafrede „Von dem
greulichen Laster der Trunkenheit", so 1523 die kleine Schrift eines Unbekannten
„Vom Zutrinken. Neue Laster und Mißbräuche, die erfolgen aus dem schänd¬
lichen Zutrinken, damit jetzt die ganze teutsche Nation befleckt und verachtet ist"!
so eiferten ferner alte Innungsartikel gegen übermäßigen Genuß von Bier und
Wein, und so hallten die Kanzeln wieder von den kräftigsten Worten gegen das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285398"/>
          <p xml:id="ID_1111" prev="#ID_1110"> florirte und dem Studenten das erste Jahr des akademischen Lebens zur Hölle<lb/>
machte, schon in der hier besprochen Periode zu der krassen Gestalt ausgeartet<lb/>
ist, in der wir ihn im nächsten Capitel sehen werden, ist nach unsern Quellen<lb/>
nicht zu sagen. Die Anfänge dazu waren ohne Zweifel schon damals reichlich<lb/>
vorhanden. Ebenso sicher ist. daß gewisse Zechergesetze, von denen einige sich<lb/>
bis auf unsre Tage vererbt haben, in dem Jahrhundert der Reformation sich<lb/>
ausbildeten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1112"> Mächtiges Zechen war eine alte Sitte der Deutschen. Abgesehen von den<lb/>
Biertusen der taciteischcn Germanen und den Trinkhörnern der eddischen Walhalla,<lb/>
weisen auf sie schon die Capitularien Karls des Großen hin, welche daS Laster<lb/>
der Trunkenheit in allen Ständen und nicht an wenigsten unter dem Klerus<lb/>
verbreitet zeigen. Grafen saßen nach diesen Urkunden betrunken zu Gericht,<lb/>
Brüderschaften hatten sich gebildet, bei denen das Trinken zu statutarischen Zwang<lb/>
gediehen war, selbst an heiliger Stätte wurde maßlos gezecht. &#x201E;Willst du mit<lb/>
Gottes Hilfe dich nüchtern halten?" fragte später ein sicherlich nicht unbegründeter<lb/>
Argwohn den deutschen Kaiser vor seiner Krönung in Rom. Schon früh war<lb/>
der Schenktisch in wohlhabenden Häusern das wichtigste Möbel, spielte der<lb/>
Becher vom Adel bis zum Bauern herab, bei Käufer und Belehrungen eine<lb/>
Hauptrolle. Später, nach den Hussitenkriegen, in denen ein großer Theil deS<lb/>
Volkes verwilderte, und in der Zeit der Landsknechte, welche Dörfer und<lb/>
Städte mit einer Menge wüster Kriegsgurgeln überschwemmte, wurde der Trunk<lb/>
gradezu ein Nationallaster. Die humanistische Bewegung warf dann auch auf<lb/>
diesen dunkeln Fleck im Charakter der Deutschen einen gewissen heitern Glanz,<lb/>
mit dem die von ihr Berührten recht wohlthuend von dem sonst üblichen Treiben,<lb/>
dem rein auf Bewältigung großer Quantitäten von Getränk gerichteten Zechen<lb/>
und dem noch ungeschlachteren Trinken um des Betrunkenwerdens willen ab¬<lb/>
stechen. Die schönsten und gemüthvollsten Trinklieder der deutschen Volkspoesie<lb/>
sind Kinder des sechzehnten Jahrhunderts. So vor Allem mehre Nundgesänge.<lb/>
wie &#x201E;Nun grüß dich Gott, du edler Saft!" oder &#x201E;Wir haben ein Schifflein<lb/>
mit Wein beladen", und so die Lieder &#x201E;Wo soll ich mich hinkehren, ich dummes<lb/>
Brüderlein?" und &#x201E;Wohlauf, wohlauf, gut Gesellen, die heut noch nüchtern sein!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> Andrerseits fehlte eS nicht an Moralisten, die in Predigten und Flug¬<lb/>
schriften der zu förmlicher Seuche gewordenen, namentlich im Norden Deutsch¬<lb/>
lands grassirenden Zechsucht ihre Thorheit und Gottlosigkeit zu Gemüth zu<lb/>
führen suchten. So erschien 1S21 Sebastian Francks Strafrede &#x201E;Von dem<lb/>
greulichen Laster der Trunkenheit", so 1523 die kleine Schrift eines Unbekannten<lb/>
&#x201E;Vom Zutrinken. Neue Laster und Mißbräuche, die erfolgen aus dem schänd¬<lb/>
lichen Zutrinken, damit jetzt die ganze teutsche Nation befleckt und verachtet ist"!<lb/>
so eiferten ferner alte Innungsartikel gegen übermäßigen Genuß von Bier und<lb/>
Wein, und so hallten die Kanzeln wieder von den kräftigsten Worten gegen das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] florirte und dem Studenten das erste Jahr des akademischen Lebens zur Hölle machte, schon in der hier besprochen Periode zu der krassen Gestalt ausgeartet ist, in der wir ihn im nächsten Capitel sehen werden, ist nach unsern Quellen nicht zu sagen. Die Anfänge dazu waren ohne Zweifel schon damals reichlich vorhanden. Ebenso sicher ist. daß gewisse Zechergesetze, von denen einige sich bis auf unsre Tage vererbt haben, in dem Jahrhundert der Reformation sich ausbildeten. Mächtiges Zechen war eine alte Sitte der Deutschen. Abgesehen von den Biertusen der taciteischcn Germanen und den Trinkhörnern der eddischen Walhalla, weisen auf sie schon die Capitularien Karls des Großen hin, welche daS Laster der Trunkenheit in allen Ständen und nicht an wenigsten unter dem Klerus verbreitet zeigen. Grafen saßen nach diesen Urkunden betrunken zu Gericht, Brüderschaften hatten sich gebildet, bei denen das Trinken zu statutarischen Zwang gediehen war, selbst an heiliger Stätte wurde maßlos gezecht. „Willst du mit Gottes Hilfe dich nüchtern halten?" fragte später ein sicherlich nicht unbegründeter Argwohn den deutschen Kaiser vor seiner Krönung in Rom. Schon früh war der Schenktisch in wohlhabenden Häusern das wichtigste Möbel, spielte der Becher vom Adel bis zum Bauern herab, bei Käufer und Belehrungen eine Hauptrolle. Später, nach den Hussitenkriegen, in denen ein großer Theil deS Volkes verwilderte, und in der Zeit der Landsknechte, welche Dörfer und Städte mit einer Menge wüster Kriegsgurgeln überschwemmte, wurde der Trunk gradezu ein Nationallaster. Die humanistische Bewegung warf dann auch auf diesen dunkeln Fleck im Charakter der Deutschen einen gewissen heitern Glanz, mit dem die von ihr Berührten recht wohlthuend von dem sonst üblichen Treiben, dem rein auf Bewältigung großer Quantitäten von Getränk gerichteten Zechen und dem noch ungeschlachteren Trinken um des Betrunkenwerdens willen ab¬ stechen. Die schönsten und gemüthvollsten Trinklieder der deutschen Volkspoesie sind Kinder des sechzehnten Jahrhunderts. So vor Allem mehre Nundgesänge. wie „Nun grüß dich Gott, du edler Saft!" oder „Wir haben ein Schifflein mit Wein beladen", und so die Lieder „Wo soll ich mich hinkehren, ich dummes Brüderlein?" und „Wohlauf, wohlauf, gut Gesellen, die heut noch nüchtern sein!" Andrerseits fehlte eS nicht an Moralisten, die in Predigten und Flug¬ schriften der zu förmlicher Seuche gewordenen, namentlich im Norden Deutsch¬ lands grassirenden Zechsucht ihre Thorheit und Gottlosigkeit zu Gemüth zu führen suchten. So erschien 1S21 Sebastian Francks Strafrede „Von dem greulichen Laster der Trunkenheit", so 1523 die kleine Schrift eines Unbekannten „Vom Zutrinken. Neue Laster und Mißbräuche, die erfolgen aus dem schänd¬ lichen Zutrinken, damit jetzt die ganze teutsche Nation befleckt und verachtet ist"! so eiferten ferner alte Innungsartikel gegen übermäßigen Genuß von Bier und Wein, und so hallten die Kanzeln wieder von den kräftigsten Worten gegen das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/370>, abgerufen am 28.07.2024.