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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Oft aber auch geht es ihm herzlich schlecht, und weder seine Zauberkünste
noch sein Gesang bringen Erhebliches ein. War er gestern im Glücke leichtsinnig
und hoffärtig, so ist er jetzt ein de- und wehmüthiger armer Teufel. "Mein
nächster Nachbar/ jammert er, "ist der Hunger und der Durst", "dünne Kleider
- und kranke Kost ist mein Ingesinde", "mein Haus, das ist der weite Wald, im
Sommer warm, im Winter kalt". Beginnt es zu schneien und zu frieren, so
sucht er sich mit seinen Liedern einem gutherzigen Schenkwirth oder Bäuerlein
zum Gaste aufzusingen; wird es wieder grün draußen, so fliegt der Vogel, der
sich inzwischen ein Nest hinterm Ofen gebaut, wieder hinaus in die Poesie und
die Freiheit des Lebens unter blauem Himmel.

Später, in der Zeit von Murner und Haus Sachs, nehmen die fahrenden
Scholaster eine gelehrtere und geheimnißvollere Miene an. Sie kündigen sich,
wenn sie in einem Dorfe eintreffen, in den Häusern der Bauern als doppelte
Wissende an. als Meister der sieben freien Künste und als Schüler der Frau
Venus, aus deren Berge sie zu kommen vorgeben, Behauptungen, die insofern
eine gewisse Berechtigung haben, als das, was sie mit sich herumtragen und
womit sie das Volk berücken, Aberglaube ist, den sie durch die zweite und dritte
Hand theils aus der Ueberlieferung des classischen Alterthums, welche die Schule
bewahrt, theils aus dem germanischen Heidenthum, an welches die unterirdische
Göttin im Hörselberg mit dem Greise des Tannhäuserliedes erinnert, erhalten
haben. Alle wollen Adepten der schwarzen Kunst sein, einige behaupten, die¬
selbe in der Teuselsschule zu Salamanca studirt zu haben. Im Uebrigen sind
sie dieselben losen Gesellen, wie ihre Vorgänger, und ebenso häufig Leute, die
in keinerlei Beziehungen zu den eigentlichen Studien stehen, zuweilen aus der
Kutte gesprungene Mönche, mitunter verkleidete Juden. Doch finden sich auch
verlaufene Studenten unter ihnen, denen Lernen und Disciplin nicht gemundet
und die deshalb den Donat und den Petrus Hispanus an den Nagel gehangen
haben, um in den großen Orden der Vaganten einzutreten und sich mit deren
Hokuspokus unter Hinzuthat dessen, was vom Schulbesuch an Wissen übrig
geblieben, fortzuhelfen. Selbst wirkliche Gelehrte, wie der Doctor Gotthard
Mylander von Köln, schlössen sich in gewissem Sinn diesen Fahrenden an und
trieben deren Künste.

Erschien der fahrende Scholast dieser Zeit vor einem Hause, so begann er
zunächst seinen Titel zu nennen und sein Wissen anzupreisen. Er versteht,
Teufel zu bannen und weiß Sprüche gegen Hagelschlag und Wetter sowie gegen
alles Ungeheure, wovon er durch Hermurmeln eines unverständlichen Segens


Brenzbotm II. 186S. 43

Oft aber auch geht es ihm herzlich schlecht, und weder seine Zauberkünste
noch sein Gesang bringen Erhebliches ein. War er gestern im Glücke leichtsinnig
und hoffärtig, so ist er jetzt ein de- und wehmüthiger armer Teufel. „Mein
nächster Nachbar/ jammert er, „ist der Hunger und der Durst", »dünne Kleider
- und kranke Kost ist mein Ingesinde", „mein Haus, das ist der weite Wald, im
Sommer warm, im Winter kalt". Beginnt es zu schneien und zu frieren, so
sucht er sich mit seinen Liedern einem gutherzigen Schenkwirth oder Bäuerlein
zum Gaste aufzusingen; wird es wieder grün draußen, so fliegt der Vogel, der
sich inzwischen ein Nest hinterm Ofen gebaut, wieder hinaus in die Poesie und
die Freiheit des Lebens unter blauem Himmel.

Später, in der Zeit von Murner und Haus Sachs, nehmen die fahrenden
Scholaster eine gelehrtere und geheimnißvollere Miene an. Sie kündigen sich,
wenn sie in einem Dorfe eintreffen, in den Häusern der Bauern als doppelte
Wissende an. als Meister der sieben freien Künste und als Schüler der Frau
Venus, aus deren Berge sie zu kommen vorgeben, Behauptungen, die insofern
eine gewisse Berechtigung haben, als das, was sie mit sich herumtragen und
womit sie das Volk berücken, Aberglaube ist, den sie durch die zweite und dritte
Hand theils aus der Ueberlieferung des classischen Alterthums, welche die Schule
bewahrt, theils aus dem germanischen Heidenthum, an welches die unterirdische
Göttin im Hörselberg mit dem Greise des Tannhäuserliedes erinnert, erhalten
haben. Alle wollen Adepten der schwarzen Kunst sein, einige behaupten, die¬
selbe in der Teuselsschule zu Salamanca studirt zu haben. Im Uebrigen sind
sie dieselben losen Gesellen, wie ihre Vorgänger, und ebenso häufig Leute, die
in keinerlei Beziehungen zu den eigentlichen Studien stehen, zuweilen aus der
Kutte gesprungene Mönche, mitunter verkleidete Juden. Doch finden sich auch
verlaufene Studenten unter ihnen, denen Lernen und Disciplin nicht gemundet
und die deshalb den Donat und den Petrus Hispanus an den Nagel gehangen
haben, um in den großen Orden der Vaganten einzutreten und sich mit deren
Hokuspokus unter Hinzuthat dessen, was vom Schulbesuch an Wissen übrig
geblieben, fortzuhelfen. Selbst wirkliche Gelehrte, wie der Doctor Gotthard
Mylander von Köln, schlössen sich in gewissem Sinn diesen Fahrenden an und
trieben deren Künste.

Erschien der fahrende Scholast dieser Zeit vor einem Hause, so begann er
zunächst seinen Titel zu nennen und sein Wissen anzupreisen. Er versteht,
Teufel zu bannen und weiß Sprüche gegen Hagelschlag und Wetter sowie gegen
alles Ungeheure, wovon er durch Hermurmeln eines unverständlichen Segens


Brenzbotm II. 186S. 43
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[0363] Oft aber auch geht es ihm herzlich schlecht, und weder seine Zauberkünste noch sein Gesang bringen Erhebliches ein. War er gestern im Glücke leichtsinnig und hoffärtig, so ist er jetzt ein de- und wehmüthiger armer Teufel. „Mein nächster Nachbar/ jammert er, „ist der Hunger und der Durst", »dünne Kleider - und kranke Kost ist mein Ingesinde", „mein Haus, das ist der weite Wald, im Sommer warm, im Winter kalt". Beginnt es zu schneien und zu frieren, so sucht er sich mit seinen Liedern einem gutherzigen Schenkwirth oder Bäuerlein zum Gaste aufzusingen; wird es wieder grün draußen, so fliegt der Vogel, der sich inzwischen ein Nest hinterm Ofen gebaut, wieder hinaus in die Poesie und die Freiheit des Lebens unter blauem Himmel. Später, in der Zeit von Murner und Haus Sachs, nehmen die fahrenden Scholaster eine gelehrtere und geheimnißvollere Miene an. Sie kündigen sich, wenn sie in einem Dorfe eintreffen, in den Häusern der Bauern als doppelte Wissende an. als Meister der sieben freien Künste und als Schüler der Frau Venus, aus deren Berge sie zu kommen vorgeben, Behauptungen, die insofern eine gewisse Berechtigung haben, als das, was sie mit sich herumtragen und womit sie das Volk berücken, Aberglaube ist, den sie durch die zweite und dritte Hand theils aus der Ueberlieferung des classischen Alterthums, welche die Schule bewahrt, theils aus dem germanischen Heidenthum, an welches die unterirdische Göttin im Hörselberg mit dem Greise des Tannhäuserliedes erinnert, erhalten haben. Alle wollen Adepten der schwarzen Kunst sein, einige behaupten, die¬ selbe in der Teuselsschule zu Salamanca studirt zu haben. Im Uebrigen sind sie dieselben losen Gesellen, wie ihre Vorgänger, und ebenso häufig Leute, die in keinerlei Beziehungen zu den eigentlichen Studien stehen, zuweilen aus der Kutte gesprungene Mönche, mitunter verkleidete Juden. Doch finden sich auch verlaufene Studenten unter ihnen, denen Lernen und Disciplin nicht gemundet und die deshalb den Donat und den Petrus Hispanus an den Nagel gehangen haben, um in den großen Orden der Vaganten einzutreten und sich mit deren Hokuspokus unter Hinzuthat dessen, was vom Schulbesuch an Wissen übrig geblieben, fortzuhelfen. Selbst wirkliche Gelehrte, wie der Doctor Gotthard Mylander von Köln, schlössen sich in gewissem Sinn diesen Fahrenden an und trieben deren Künste. Erschien der fahrende Scholast dieser Zeit vor einem Hause, so begann er zunächst seinen Titel zu nennen und sein Wissen anzupreisen. Er versteht, Teufel zu bannen und weiß Sprüche gegen Hagelschlag und Wetter sowie gegen alles Ungeheure, wovon er durch Hermurmeln eines unverständlichen Segens Brenzbotm II. 186S. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/363>, abgerufen am 28.07.2024.