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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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merkung Passavants geworden zu sein, der nach Vasari wiederholt, daß Rafael
im Jahre 1S04 nach Urbino gezogen sei und dort einen "Christus am Oelberg"
für den Herzog Guidobaldo von Urbino gemalt habe. Er setzt nun voraus,
daß jenes Bild mit dem bei Fuller-Maitland identisch sei. Bei aufmerksamerer
Lectüre der betreffenden Stelle würde dieser Irrthum vermieden worden sein.
Denn in der Beschreibung jener Composition sagt Vasari, daß der Heiland
auf dem Berg knie und ein Engel ihm den Kelch reiche, während die Apostel
im Hintergrund schlafen. Das Bild in Stanstead-House zeigt den Heiland
freilich auch kniend, wie einen zu ihm hinfliegenden Engel, aber die Apostel¬
gruppe ist im Vor der gründe angebracht, und so verwechselt der Verfasser,
ebenso wie Passavant, eine Arbeit Spagnas, bei welcher das berühmte Bild
des Perugino in Florenz benutzt wurde, mit einer rafaelischen, die ganz wo
anders zu suchen ist.

Wir unterlassen, unsere sehr entschiedene ketzerische Ansicht über die Predellen
in der Münchener Pinakothek auszusprechen, die von dem Versasser (S. 26)
ebenfalls dem Rafael belassen werden, und wollen nur noch einige Lücken
notiren. Obwohl wir für folgerichtig nachweisbar halten, daß mit Ausnahme
der Decke keine von den Fresken in der Piccolomini-Libreria zu Siena vor
1306 von Pintuncchio begonnen worden sei, theilen wir doch die Ansicht Wol-
zogens, wonach Rafael zur Zeit als sein Freund an jener Decke arbeitete, in
Siena anwesend war und einige größere ausgeführtere Zeichnungen nach den
Skizzen des Letzteren gemacht hat, die dann späterhin wieder von Pintuncchio
mit einigen Abweichungen benutzt wurden. Es sind aber drei, nicht wie Wol¬
zogen S. 28 sagt, zwei Zeichnungen, von denen sich eine im Besitz des Signor
Baldeschi in Perugia, die zweite in den Uffizien und die dritte sich in Chats-
worth befindet. Wahrscheinlich haben sogar noch mehr existirt; denn in der
Darstellung von Aenea Sylvios Krönung sehen wir ganze Figuren, die von
Rafael in einer Predelle im Vatikan benutzt worden sind.

Seite 36 erwähnt Herr von Wolzogen "eine Madonna mit 4 Heiligen
im königl. Schloß zu Neapel", und vergißt, daß dieselbe seit der Vertreibung der
Bourbonen von dort spurlos verschwunden ist; über die Predellen, die in
Dulwich und Leigh-Court zerstreut sind, schweigt er.

Endlich noch protestiren wir dagegen, daß Rafael bis 1504 "so gut wie
unbekannt in de.r Kunst des Nackten" (S. 28) gewesen sei. Im Gegentheil
bemerken wir schon in der Kreuzigung von Dudley-House ein sorgsames und
fleißiges Studium nackter Figuren, und glauben, daß Herr v. Wolzogen, wenn
er das venetianische Skizzenbuch studirt hätte, seinen Irrthum in diesem Punkte
bekennen würde.

Wir brechen ab. Daß es nicht an zahlreichen Anhaltepunkten für Be¬
richtigungen ähnlicher Art in Wolzogens Rafaelbiographie mangelt, wird nach


merkung Passavants geworden zu sein, der nach Vasari wiederholt, daß Rafael
im Jahre 1S04 nach Urbino gezogen sei und dort einen „Christus am Oelberg"
für den Herzog Guidobaldo von Urbino gemalt habe. Er setzt nun voraus,
daß jenes Bild mit dem bei Fuller-Maitland identisch sei. Bei aufmerksamerer
Lectüre der betreffenden Stelle würde dieser Irrthum vermieden worden sein.
Denn in der Beschreibung jener Composition sagt Vasari, daß der Heiland
auf dem Berg knie und ein Engel ihm den Kelch reiche, während die Apostel
im Hintergrund schlafen. Das Bild in Stanstead-House zeigt den Heiland
freilich auch kniend, wie einen zu ihm hinfliegenden Engel, aber die Apostel¬
gruppe ist im Vor der gründe angebracht, und so verwechselt der Verfasser,
ebenso wie Passavant, eine Arbeit Spagnas, bei welcher das berühmte Bild
des Perugino in Florenz benutzt wurde, mit einer rafaelischen, die ganz wo
anders zu suchen ist.

Wir unterlassen, unsere sehr entschiedene ketzerische Ansicht über die Predellen
in der Münchener Pinakothek auszusprechen, die von dem Versasser (S. 26)
ebenfalls dem Rafael belassen werden, und wollen nur noch einige Lücken
notiren. Obwohl wir für folgerichtig nachweisbar halten, daß mit Ausnahme
der Decke keine von den Fresken in der Piccolomini-Libreria zu Siena vor
1306 von Pintuncchio begonnen worden sei, theilen wir doch die Ansicht Wol-
zogens, wonach Rafael zur Zeit als sein Freund an jener Decke arbeitete, in
Siena anwesend war und einige größere ausgeführtere Zeichnungen nach den
Skizzen des Letzteren gemacht hat, die dann späterhin wieder von Pintuncchio
mit einigen Abweichungen benutzt wurden. Es sind aber drei, nicht wie Wol¬
zogen S. 28 sagt, zwei Zeichnungen, von denen sich eine im Besitz des Signor
Baldeschi in Perugia, die zweite in den Uffizien und die dritte sich in Chats-
worth befindet. Wahrscheinlich haben sogar noch mehr existirt; denn in der
Darstellung von Aenea Sylvios Krönung sehen wir ganze Figuren, die von
Rafael in einer Predelle im Vatikan benutzt worden sind.

Seite 36 erwähnt Herr von Wolzogen „eine Madonna mit 4 Heiligen
im königl. Schloß zu Neapel", und vergißt, daß dieselbe seit der Vertreibung der
Bourbonen von dort spurlos verschwunden ist; über die Predellen, die in
Dulwich und Leigh-Court zerstreut sind, schweigt er.

Endlich noch protestiren wir dagegen, daß Rafael bis 1504 „so gut wie
unbekannt in de.r Kunst des Nackten" (S. 28) gewesen sei. Im Gegentheil
bemerken wir schon in der Kreuzigung von Dudley-House ein sorgsames und
fleißiges Studium nackter Figuren, und glauben, daß Herr v. Wolzogen, wenn
er das venetianische Skizzenbuch studirt hätte, seinen Irrthum in diesem Punkte
bekennen würde.

Wir brechen ab. Daß es nicht an zahlreichen Anhaltepunkten für Be¬
richtigungen ähnlicher Art in Wolzogens Rafaelbiographie mangelt, wird nach


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[0360] merkung Passavants geworden zu sein, der nach Vasari wiederholt, daß Rafael im Jahre 1S04 nach Urbino gezogen sei und dort einen „Christus am Oelberg" für den Herzog Guidobaldo von Urbino gemalt habe. Er setzt nun voraus, daß jenes Bild mit dem bei Fuller-Maitland identisch sei. Bei aufmerksamerer Lectüre der betreffenden Stelle würde dieser Irrthum vermieden worden sein. Denn in der Beschreibung jener Composition sagt Vasari, daß der Heiland auf dem Berg knie und ein Engel ihm den Kelch reiche, während die Apostel im Hintergrund schlafen. Das Bild in Stanstead-House zeigt den Heiland freilich auch kniend, wie einen zu ihm hinfliegenden Engel, aber die Apostel¬ gruppe ist im Vor der gründe angebracht, und so verwechselt der Verfasser, ebenso wie Passavant, eine Arbeit Spagnas, bei welcher das berühmte Bild des Perugino in Florenz benutzt wurde, mit einer rafaelischen, die ganz wo anders zu suchen ist. Wir unterlassen, unsere sehr entschiedene ketzerische Ansicht über die Predellen in der Münchener Pinakothek auszusprechen, die von dem Versasser (S. 26) ebenfalls dem Rafael belassen werden, und wollen nur noch einige Lücken notiren. Obwohl wir für folgerichtig nachweisbar halten, daß mit Ausnahme der Decke keine von den Fresken in der Piccolomini-Libreria zu Siena vor 1306 von Pintuncchio begonnen worden sei, theilen wir doch die Ansicht Wol- zogens, wonach Rafael zur Zeit als sein Freund an jener Decke arbeitete, in Siena anwesend war und einige größere ausgeführtere Zeichnungen nach den Skizzen des Letzteren gemacht hat, die dann späterhin wieder von Pintuncchio mit einigen Abweichungen benutzt wurden. Es sind aber drei, nicht wie Wol¬ zogen S. 28 sagt, zwei Zeichnungen, von denen sich eine im Besitz des Signor Baldeschi in Perugia, die zweite in den Uffizien und die dritte sich in Chats- worth befindet. Wahrscheinlich haben sogar noch mehr existirt; denn in der Darstellung von Aenea Sylvios Krönung sehen wir ganze Figuren, die von Rafael in einer Predelle im Vatikan benutzt worden sind. Seite 36 erwähnt Herr von Wolzogen „eine Madonna mit 4 Heiligen im königl. Schloß zu Neapel", und vergißt, daß dieselbe seit der Vertreibung der Bourbonen von dort spurlos verschwunden ist; über die Predellen, die in Dulwich und Leigh-Court zerstreut sind, schweigt er. Endlich noch protestiren wir dagegen, daß Rafael bis 1504 „so gut wie unbekannt in de.r Kunst des Nackten" (S. 28) gewesen sei. Im Gegentheil bemerken wir schon in der Kreuzigung von Dudley-House ein sorgsames und fleißiges Studium nackter Figuren, und glauben, daß Herr v. Wolzogen, wenn er das venetianische Skizzenbuch studirt hätte, seinen Irrthum in diesem Punkte bekennen würde. Wir brechen ab. Daß es nicht an zahlreichen Anhaltepunkten für Be¬ richtigungen ähnlicher Art in Wolzogens Rafaelbiographie mangelt, wird nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/360>, abgerufen am 28.07.2024.