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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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mit dem Erzengel dem Rafael zuschreibt, (die übrigens das britische Museum
besitzt), beweist entweder große Schwäche der Betrachtungsgabe oder unkritische
Abhängigkeit von gleichem Mangel eines Vorgängers. Denn es verlangt starke
Einbildungskraft, um dem Schüler zu der Zeit, wo er die Sposalizio der Brera
in Mailand hervorbrachte, die Autorschaft an Theilen einer Altartafel zuzu¬
schreiben, welche die Manier seines Lehrers in ihrer weitesten und vollkommensten
Ausdehnung zeigen.

Lord Ward besitzt, wie jedermann weiß, der sich mit diesen Angelegen¬
heiten beschäftigt, eine "Kreuzigung Christi" von Rafael, in der sich der kind¬
liche Fleiß eines aufstrebenden poetischen Genies bekundet. Ehe dies Bild an
seinen jetzigen Ort gelangte, zierte es der Reihe nach die Dominikanerkirche
zu Citta ti Castello, die Gallerte des Cardinal Fesch und die des Grasen
Bisenzio. Eine uns erhalten gebliebene Urkunde spricht noch von einer anderen
Kreuzigung aus derselben Zeit, von der aber gegenwärtig keine Spur nach¬
zuweisen ist. Dessenungeachtet behauptet Wolzogen (S. 2S) beide wären in
der Gallerie von Dudley-House und macht so zwei Bilder aus einem. --
Was den Urheber der "Anbetung der Könige" im berliner Museum betrifft,
befeinden wir uns in dem Wahn, daß heutigen Tags darüber nur eine Ansicht
herrschen könne. Das genannte Bild hängt in seinem alten ursprünglichen
Rahmen in einem der weniger besuchten Säle, und steht im Katalog noch
unter Rafaels Namen. Der hohe Preis, der im Jahre 1828 dafür verlangt
wurde, wäre sicherlich nicht bezahlt worden, hätten die Käufer gewußt, daß es
von der Hand Spagnas herrührt; und wir begreifen es, wenn das üble
Gefühl, stark hintergangen worden zu sein, die Direktion des Museums zögern
wacht, die Bezeichnung ohne Noth zu ändern. Der substituirte Name wird
natürlich einmal getilgt und dem Spagna sein Recht gegönnt werden müssen;
aber daß es bis jetzt unterlassen worden ist, kann Herrn Wolzogen nicht ent¬
schuldigen, wenn er es seinerseits nicht thut. Denn offenbar ist falsche Namens¬
bezeichnung in einem Kataloge, die ja so oft ihren Grund in traditioneller
Pietät hat, etwas Anderes, als der Kritikmangel eines Schriftstellers, der die
Arbeit-des Meisters und des Schülers nicht unterscheidet. Der Wunsch, sich
des Besitzes eines echten Rafael rühmen zu können, erzeugt leider häufig genug
falsche Bezeichnungen sowohl in öffentlichen als in Privatsammlungen. Wir
wollen indessen nicht behaupten, daß sie absichtlich gemacht werden; nur zu oft
sind sie die Frucht des durch Interesse befangenen und geblendeten Urtheils.
So glaubt auch Mr. Füller Maitland von Stanstead-House in der englischen
Grafschaft Essex zwei Rafaels (S. 27) sein eigen nennen zu können, von denen
das eine, ein Porträt, deutlich das Monogramm Francia Bigios trägt, und
das andre "Christus am Oelberg," augenfällig die Hand Spagnas verräth.
In Bezug auf das zweite scheint Herr von Wolzogen das Opfer einer Be-


mit dem Erzengel dem Rafael zuschreibt, (die übrigens das britische Museum
besitzt), beweist entweder große Schwäche der Betrachtungsgabe oder unkritische
Abhängigkeit von gleichem Mangel eines Vorgängers. Denn es verlangt starke
Einbildungskraft, um dem Schüler zu der Zeit, wo er die Sposalizio der Brera
in Mailand hervorbrachte, die Autorschaft an Theilen einer Altartafel zuzu¬
schreiben, welche die Manier seines Lehrers in ihrer weitesten und vollkommensten
Ausdehnung zeigen.

Lord Ward besitzt, wie jedermann weiß, der sich mit diesen Angelegen¬
heiten beschäftigt, eine „Kreuzigung Christi" von Rafael, in der sich der kind¬
liche Fleiß eines aufstrebenden poetischen Genies bekundet. Ehe dies Bild an
seinen jetzigen Ort gelangte, zierte es der Reihe nach die Dominikanerkirche
zu Citta ti Castello, die Gallerte des Cardinal Fesch und die des Grasen
Bisenzio. Eine uns erhalten gebliebene Urkunde spricht noch von einer anderen
Kreuzigung aus derselben Zeit, von der aber gegenwärtig keine Spur nach¬
zuweisen ist. Dessenungeachtet behauptet Wolzogen (S. 2S) beide wären in
der Gallerie von Dudley-House und macht so zwei Bilder aus einem. —
Was den Urheber der „Anbetung der Könige" im berliner Museum betrifft,
befeinden wir uns in dem Wahn, daß heutigen Tags darüber nur eine Ansicht
herrschen könne. Das genannte Bild hängt in seinem alten ursprünglichen
Rahmen in einem der weniger besuchten Säle, und steht im Katalog noch
unter Rafaels Namen. Der hohe Preis, der im Jahre 1828 dafür verlangt
wurde, wäre sicherlich nicht bezahlt worden, hätten die Käufer gewußt, daß es
von der Hand Spagnas herrührt; und wir begreifen es, wenn das üble
Gefühl, stark hintergangen worden zu sein, die Direktion des Museums zögern
wacht, die Bezeichnung ohne Noth zu ändern. Der substituirte Name wird
natürlich einmal getilgt und dem Spagna sein Recht gegönnt werden müssen;
aber daß es bis jetzt unterlassen worden ist, kann Herrn Wolzogen nicht ent¬
schuldigen, wenn er es seinerseits nicht thut. Denn offenbar ist falsche Namens¬
bezeichnung in einem Kataloge, die ja so oft ihren Grund in traditioneller
Pietät hat, etwas Anderes, als der Kritikmangel eines Schriftstellers, der die
Arbeit-des Meisters und des Schülers nicht unterscheidet. Der Wunsch, sich
des Besitzes eines echten Rafael rühmen zu können, erzeugt leider häufig genug
falsche Bezeichnungen sowohl in öffentlichen als in Privatsammlungen. Wir
wollen indessen nicht behaupten, daß sie absichtlich gemacht werden; nur zu oft
sind sie die Frucht des durch Interesse befangenen und geblendeten Urtheils.
So glaubt auch Mr. Füller Maitland von Stanstead-House in der englischen
Grafschaft Essex zwei Rafaels (S. 27) sein eigen nennen zu können, von denen
das eine, ein Porträt, deutlich das Monogramm Francia Bigios trägt, und
das andre „Christus am Oelberg," augenfällig die Hand Spagnas verräth.
In Bezug auf das zweite scheint Herr von Wolzogen das Opfer einer Be-


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[0359] mit dem Erzengel dem Rafael zuschreibt, (die übrigens das britische Museum besitzt), beweist entweder große Schwäche der Betrachtungsgabe oder unkritische Abhängigkeit von gleichem Mangel eines Vorgängers. Denn es verlangt starke Einbildungskraft, um dem Schüler zu der Zeit, wo er die Sposalizio der Brera in Mailand hervorbrachte, die Autorschaft an Theilen einer Altartafel zuzu¬ schreiben, welche die Manier seines Lehrers in ihrer weitesten und vollkommensten Ausdehnung zeigen. Lord Ward besitzt, wie jedermann weiß, der sich mit diesen Angelegen¬ heiten beschäftigt, eine „Kreuzigung Christi" von Rafael, in der sich der kind¬ liche Fleiß eines aufstrebenden poetischen Genies bekundet. Ehe dies Bild an seinen jetzigen Ort gelangte, zierte es der Reihe nach die Dominikanerkirche zu Citta ti Castello, die Gallerte des Cardinal Fesch und die des Grasen Bisenzio. Eine uns erhalten gebliebene Urkunde spricht noch von einer anderen Kreuzigung aus derselben Zeit, von der aber gegenwärtig keine Spur nach¬ zuweisen ist. Dessenungeachtet behauptet Wolzogen (S. 2S) beide wären in der Gallerie von Dudley-House und macht so zwei Bilder aus einem. — Was den Urheber der „Anbetung der Könige" im berliner Museum betrifft, befeinden wir uns in dem Wahn, daß heutigen Tags darüber nur eine Ansicht herrschen könne. Das genannte Bild hängt in seinem alten ursprünglichen Rahmen in einem der weniger besuchten Säle, und steht im Katalog noch unter Rafaels Namen. Der hohe Preis, der im Jahre 1828 dafür verlangt wurde, wäre sicherlich nicht bezahlt worden, hätten die Käufer gewußt, daß es von der Hand Spagnas herrührt; und wir begreifen es, wenn das üble Gefühl, stark hintergangen worden zu sein, die Direktion des Museums zögern wacht, die Bezeichnung ohne Noth zu ändern. Der substituirte Name wird natürlich einmal getilgt und dem Spagna sein Recht gegönnt werden müssen; aber daß es bis jetzt unterlassen worden ist, kann Herrn Wolzogen nicht ent¬ schuldigen, wenn er es seinerseits nicht thut. Denn offenbar ist falsche Namens¬ bezeichnung in einem Kataloge, die ja so oft ihren Grund in traditioneller Pietät hat, etwas Anderes, als der Kritikmangel eines Schriftstellers, der die Arbeit-des Meisters und des Schülers nicht unterscheidet. Der Wunsch, sich des Besitzes eines echten Rafael rühmen zu können, erzeugt leider häufig genug falsche Bezeichnungen sowohl in öffentlichen als in Privatsammlungen. Wir wollen indessen nicht behaupten, daß sie absichtlich gemacht werden; nur zu oft sind sie die Frucht des durch Interesse befangenen und geblendeten Urtheils. So glaubt auch Mr. Füller Maitland von Stanstead-House in der englischen Grafschaft Essex zwei Rafaels (S. 27) sein eigen nennen zu können, von denen das eine, ein Porträt, deutlich das Monogramm Francia Bigios trägt, und das andre „Christus am Oelberg," augenfällig die Hand Spagnas verräth. In Bezug auf das zweite scheint Herr von Wolzogen das Opfer einer Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/359>, abgerufen am 28.07.2024.