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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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daß sie zustimmend der Politik ihres Ministerpräsidenten folge, so lange die
Zeit ist, zu widersprechen, der vergißt, daß willenlose Beistimmung uns in die
Gefahr gesetzt hatte und noch immer setzen kann, einen Krieg zu führen, der
diplomatisch verloren war, bevor er anfing. Und es ist nichts wärmer zu
wünschen, als daß diese Opposition in der letzten Stunde noch einen indirecten
Einfluß auf die Behandlung der deutscheu Frage am Bunde, so wie auf die
Verhandlungen mit den zu gewinnenden Mittelstaaten ausübe.

Es ist wacker, wenn die Deutschen in andern Landeskammern trotz allem,
Was in Preußen jetzt reformbedürftig ist, ihr Vertrauen zu der Aufgabe des
Staates aussprechen, und es ist für ein preußisches Herz erfreulich, die Reden
der Herren Bluntschli und Jolly in der Sitzung vom 14. Mai zu lesen. Nur
ist die Aufgabe der preußischen Presse und der preußischen Volksführer eine
ganz andere, sie haben die Forderungen und Wünsche ihres eigenen Volkes un-
bemäntelt kundzugeben. ;

Es giebt nahe liegende Wahrheiten, welche in der leidenschaftlichen Er¬
regung der Stunde doch immer wieder verkannt werden. Die Freunde und
Gegner Preußens in deutschen Bundesländern vergessen zuweilen, daß ihre und
der preußischen Opposition Aufgabe eine völlig verschiedene ist.

Die Preußen haben großen Grund zu Beschwerden, sie stehen in erbittertem
Kampfe gegen daS herrschende System, ihnen liegt ob. und nur ihnen ist möglich
für Preußen die Besserung herbeizuführen, und sie haben das Recht, zu fordern,
daß ihre guten Freunde außerhalb, welche die Leiden und Schäden nicht selbst
ertragen, und nur von Hörensagen keimen, ihnen das Recht einräumen, daß sie
w dem innern Zwist sich selbst berathe". Den Preußen steht ihr eignes Gut
und Blut und alle theuren Erinnerungen des Staates auf dem Spiel, ihnen
soll man doch vertrauend anheim geben, wie sie die Versöhnung finden zwischen
den augenblicklichen Bedürfnissen des Staates und ihren eigenen Forderungen
an den Staat. Denn nur wer mit seinem Gemüth und seinen Interessen ganz
in dem preußischen Volke steht, vermag die Noth zu beurtheilen und die Hilfe
SU finden, und wer nicht mit thaten kann, dem wird auch beim Rathen Zu-
rückHaltung geziemen.

Die Deutschen außerhalb aber, welche sich jetzt dem Genuß tiefer sittlicher
Entrüstung über die Verkehrtheiten des Systems so warm hingeben, wie eine
gefühlvolle Gallerte den Stimmungen eines Trauerspiels, werden doch freundlich
bedenken müssen, daß es nicht zweckmäßig ist, daß darum das Haus zu demo-
Uren, weil ein Schauspieler darin mit zu großer Meisterschaft die Rolle deS Fiesko
oder Mohren spielt. Denn wer die Schäden des herrschenden Systems in Preußen,
wie jetzt in Süddeutschland geschieht, so zornig empfindet, daß er darüber das
Urtheil über die maßgebende Bedeutung verliert, welche der preußische Staat
sür sein eigenes Wohl hat, der denkt so unverständig als möglich; er fühlt


daß sie zustimmend der Politik ihres Ministerpräsidenten folge, so lange die
Zeit ist, zu widersprechen, der vergißt, daß willenlose Beistimmung uns in die
Gefahr gesetzt hatte und noch immer setzen kann, einen Krieg zu führen, der
diplomatisch verloren war, bevor er anfing. Und es ist nichts wärmer zu
wünschen, als daß diese Opposition in der letzten Stunde noch einen indirecten
Einfluß auf die Behandlung der deutscheu Frage am Bunde, so wie auf die
Verhandlungen mit den zu gewinnenden Mittelstaaten ausübe.

Es ist wacker, wenn die Deutschen in andern Landeskammern trotz allem,
Was in Preußen jetzt reformbedürftig ist, ihr Vertrauen zu der Aufgabe des
Staates aussprechen, und es ist für ein preußisches Herz erfreulich, die Reden
der Herren Bluntschli und Jolly in der Sitzung vom 14. Mai zu lesen. Nur
ist die Aufgabe der preußischen Presse und der preußischen Volksführer eine
ganz andere, sie haben die Forderungen und Wünsche ihres eigenen Volkes un-
bemäntelt kundzugeben. ;

Es giebt nahe liegende Wahrheiten, welche in der leidenschaftlichen Er¬
regung der Stunde doch immer wieder verkannt werden. Die Freunde und
Gegner Preußens in deutschen Bundesländern vergessen zuweilen, daß ihre und
der preußischen Opposition Aufgabe eine völlig verschiedene ist.

Die Preußen haben großen Grund zu Beschwerden, sie stehen in erbittertem
Kampfe gegen daS herrschende System, ihnen liegt ob. und nur ihnen ist möglich
für Preußen die Besserung herbeizuführen, und sie haben das Recht, zu fordern,
daß ihre guten Freunde außerhalb, welche die Leiden und Schäden nicht selbst
ertragen, und nur von Hörensagen keimen, ihnen das Recht einräumen, daß sie
w dem innern Zwist sich selbst berathe». Den Preußen steht ihr eignes Gut
und Blut und alle theuren Erinnerungen des Staates auf dem Spiel, ihnen
soll man doch vertrauend anheim geben, wie sie die Versöhnung finden zwischen
den augenblicklichen Bedürfnissen des Staates und ihren eigenen Forderungen
an den Staat. Denn nur wer mit seinem Gemüth und seinen Interessen ganz
in dem preußischen Volke steht, vermag die Noth zu beurtheilen und die Hilfe
SU finden, und wer nicht mit thaten kann, dem wird auch beim Rathen Zu-
rückHaltung geziemen.

Die Deutschen außerhalb aber, welche sich jetzt dem Genuß tiefer sittlicher
Entrüstung über die Verkehrtheiten des Systems so warm hingeben, wie eine
gefühlvolle Gallerte den Stimmungen eines Trauerspiels, werden doch freundlich
bedenken müssen, daß es nicht zweckmäßig ist, daß darum das Haus zu demo-
Uren, weil ein Schauspieler darin mit zu großer Meisterschaft die Rolle deS Fiesko
oder Mohren spielt. Denn wer die Schäden des herrschenden Systems in Preußen,
wie jetzt in Süddeutschland geschieht, so zornig empfindet, daß er darüber das
Urtheil über die maßgebende Bedeutung verliert, welche der preußische Staat
sür sein eigenes Wohl hat, der denkt so unverständig als möglich; er fühlt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/353>, abgerufen am 28.07.2024.