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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sich beim Bürgermeister beklagten und Strafe forderten, antwortete dieser "pro
solitg. SU" ^Viclmannöitate": "Es müssen die Euren stets Recht haben", und
der Frevler blieb unbehelligt. Die Universität klagte nun bei Kurfürst Moritz,
und es erfolgte ein entsprechendes Edict. Aber die bösen Kürschner kehrten sich
nicht daran; bald nachher verwundete einer von ihnen, Hans von Bunzlau,
den Sohn des Doctors der Medicin schiltet am grimmaischen Thor mit dem
Schwerte, und er würde ihn getödtet haben, wenn nicht Andere dazwischen ge¬
sprungen wären.

Jetzt endlich schritten die Bürgermeister ein, der Thäter wurde verhaftet,
und man ließ der Universität die Wahl unter drei Bestrafungen desselben, Ab¬
hauen der Hand, oder öffentliche Stäupung durch den Henker und Verweisung
aus der Stadt auf zehn Jahre oder endlich Brandmarkung der Hand und Ver¬
bannung. Die Universität lehnte die Wahl ab, und der Magistrat wollte nun
die strengste Strafe vollziehen lassen. Schon war auf dem Markte der Block
zum Abhauen der Hand aufgestellt und daneben ein Bündel Ruthen zur Stäupung.
Aber eS entstand ein Auflauf, da die Kürschner und andere Handwerker dieses
Verfahren für zu streng hielten, und das Urtheil konnte nicht ausgeführt werden.
Drei Meister von der Kürschnerzunft erschienen beim Rector und baten, den
Missethäter nicht in die Hände des Scharfrichters fallen zu lassen, die Zunft
selbst wolle ihn so fürchterlich hauen, wie es jener nicht könnte, wenn er ihn
auch dreimal öffentlich stäupte. Darauf befragte der Rector die Nationen, aber
wieder wurde beschlossen, sich in den Lauf der Gerechtigkeit nicht einzumischen,
sondern dem Richter zu überlassen, was er thun wolle. Der letztere begnügte
sich darauf mit Einbrennung eines Brandmals, welches besagte, daß die Hand
hätte abgehauen werden sollen, und Verweisung aus der Stadt.

Nicht weniger wild ging es in dieser Zeit auf den neuen Hochschulen
Wittenberg. Königsberg und Jena zu.

In Wittenberg wurde 1612 der Rector Ebar von einem Studenten,
welchen er relegirt, vor dem Elstcrthor ermordet, und 1655 wäre Melanchthon
beinahe dasselbe widerfahren. Am Michaelsabend des Jahres 1616 erschlug
ein Student aus Schwaben einen Commilitonen Antonius v. Schierstedt; kurz
nachher wurde Johann v. Haldensleben vor seiner Burse erstochen, und wieder
acht Tage später traf das gleiche Schicksal den Studiosus Andreas Binnemann
aus Braunschweig. Ob diese Todtschläge im Zweikampf erfolgten, ist aus der
Quelle, Oldekops Hildesheimer Chronik,*) nicht zu ersehen. Dagegen kamen
Duelle, wenn auch noch nicht in der heutigen Form, sondern in der des Ren-
contres, ohne vorherige Verabredung, nach der Mitte des Jahrhunderts in
Wittenberg so häufig vor, daß der Senat 1570 mit einem besondern Statut



") Dolch, -i. -,. O. S. 71.
Grenzboten II. 18K6.40

sich beim Bürgermeister beklagten und Strafe forderten, antwortete dieser „pro
solitg. SU» ^Viclmannöitate": „Es müssen die Euren stets Recht haben", und
der Frevler blieb unbehelligt. Die Universität klagte nun bei Kurfürst Moritz,
und es erfolgte ein entsprechendes Edict. Aber die bösen Kürschner kehrten sich
nicht daran; bald nachher verwundete einer von ihnen, Hans von Bunzlau,
den Sohn des Doctors der Medicin schiltet am grimmaischen Thor mit dem
Schwerte, und er würde ihn getödtet haben, wenn nicht Andere dazwischen ge¬
sprungen wären.

Jetzt endlich schritten die Bürgermeister ein, der Thäter wurde verhaftet,
und man ließ der Universität die Wahl unter drei Bestrafungen desselben, Ab¬
hauen der Hand, oder öffentliche Stäupung durch den Henker und Verweisung
aus der Stadt auf zehn Jahre oder endlich Brandmarkung der Hand und Ver¬
bannung. Die Universität lehnte die Wahl ab, und der Magistrat wollte nun
die strengste Strafe vollziehen lassen. Schon war auf dem Markte der Block
zum Abhauen der Hand aufgestellt und daneben ein Bündel Ruthen zur Stäupung.
Aber eS entstand ein Auflauf, da die Kürschner und andere Handwerker dieses
Verfahren für zu streng hielten, und das Urtheil konnte nicht ausgeführt werden.
Drei Meister von der Kürschnerzunft erschienen beim Rector und baten, den
Missethäter nicht in die Hände des Scharfrichters fallen zu lassen, die Zunft
selbst wolle ihn so fürchterlich hauen, wie es jener nicht könnte, wenn er ihn
auch dreimal öffentlich stäupte. Darauf befragte der Rector die Nationen, aber
wieder wurde beschlossen, sich in den Lauf der Gerechtigkeit nicht einzumischen,
sondern dem Richter zu überlassen, was er thun wolle. Der letztere begnügte
sich darauf mit Einbrennung eines Brandmals, welches besagte, daß die Hand
hätte abgehauen werden sollen, und Verweisung aus der Stadt.

Nicht weniger wild ging es in dieser Zeit auf den neuen Hochschulen
Wittenberg. Königsberg und Jena zu.

In Wittenberg wurde 1612 der Rector Ebar von einem Studenten,
welchen er relegirt, vor dem Elstcrthor ermordet, und 1655 wäre Melanchthon
beinahe dasselbe widerfahren. Am Michaelsabend des Jahres 1616 erschlug
ein Student aus Schwaben einen Commilitonen Antonius v. Schierstedt; kurz
nachher wurde Johann v. Haldensleben vor seiner Burse erstochen, und wieder
acht Tage später traf das gleiche Schicksal den Studiosus Andreas Binnemann
aus Braunschweig. Ob diese Todtschläge im Zweikampf erfolgten, ist aus der
Quelle, Oldekops Hildesheimer Chronik,*) nicht zu ersehen. Dagegen kamen
Duelle, wenn auch noch nicht in der heutigen Form, sondern in der des Ren-
contres, ohne vorherige Verabredung, nach der Mitte des Jahrhunderts in
Wittenberg so häufig vor, daß der Senat 1570 mit einem besondern Statut



") Dolch, -i. -,. O. S. 71.
Grenzboten II. 18K6.40
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[0337] sich beim Bürgermeister beklagten und Strafe forderten, antwortete dieser „pro solitg. SU» ^Viclmannöitate": „Es müssen die Euren stets Recht haben", und der Frevler blieb unbehelligt. Die Universität klagte nun bei Kurfürst Moritz, und es erfolgte ein entsprechendes Edict. Aber die bösen Kürschner kehrten sich nicht daran; bald nachher verwundete einer von ihnen, Hans von Bunzlau, den Sohn des Doctors der Medicin schiltet am grimmaischen Thor mit dem Schwerte, und er würde ihn getödtet haben, wenn nicht Andere dazwischen ge¬ sprungen wären. Jetzt endlich schritten die Bürgermeister ein, der Thäter wurde verhaftet, und man ließ der Universität die Wahl unter drei Bestrafungen desselben, Ab¬ hauen der Hand, oder öffentliche Stäupung durch den Henker und Verweisung aus der Stadt auf zehn Jahre oder endlich Brandmarkung der Hand und Ver¬ bannung. Die Universität lehnte die Wahl ab, und der Magistrat wollte nun die strengste Strafe vollziehen lassen. Schon war auf dem Markte der Block zum Abhauen der Hand aufgestellt und daneben ein Bündel Ruthen zur Stäupung. Aber eS entstand ein Auflauf, da die Kürschner und andere Handwerker dieses Verfahren für zu streng hielten, und das Urtheil konnte nicht ausgeführt werden. Drei Meister von der Kürschnerzunft erschienen beim Rector und baten, den Missethäter nicht in die Hände des Scharfrichters fallen zu lassen, die Zunft selbst wolle ihn so fürchterlich hauen, wie es jener nicht könnte, wenn er ihn auch dreimal öffentlich stäupte. Darauf befragte der Rector die Nationen, aber wieder wurde beschlossen, sich in den Lauf der Gerechtigkeit nicht einzumischen, sondern dem Richter zu überlassen, was er thun wolle. Der letztere begnügte sich darauf mit Einbrennung eines Brandmals, welches besagte, daß die Hand hätte abgehauen werden sollen, und Verweisung aus der Stadt. Nicht weniger wild ging es in dieser Zeit auf den neuen Hochschulen Wittenberg. Königsberg und Jena zu. In Wittenberg wurde 1612 der Rector Ebar von einem Studenten, welchen er relegirt, vor dem Elstcrthor ermordet, und 1655 wäre Melanchthon beinahe dasselbe widerfahren. Am Michaelsabend des Jahres 1616 erschlug ein Student aus Schwaben einen Commilitonen Antonius v. Schierstedt; kurz nachher wurde Johann v. Haldensleben vor seiner Burse erstochen, und wieder acht Tage später traf das gleiche Schicksal den Studiosus Andreas Binnemann aus Braunschweig. Ob diese Todtschläge im Zweikampf erfolgten, ist aus der Quelle, Oldekops Hildesheimer Chronik,*) nicht zu ersehen. Dagegen kamen Duelle, wenn auch noch nicht in der heutigen Form, sondern in der des Ren- contres, ohne vorherige Verabredung, nach der Mitte des Jahrhunderts in Wittenberg so häufig vor, daß der Senat 1570 mit einem besondern Statut ") Dolch, -i. -,. O. S. 71. Grenzboten II. 18K6.40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/337>, abgerufen am 28.07.2024.