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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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bei Nacht viel ungebührliches, leichtfertiges, üppiges und schändliches Unwesen
zugetragen", und daß "die Studenten mit Feuerbüchsen umherziehen und den
armen Leuten Gänse und Enten schießen". Zu derselben Zeit heißt der Senat
neu eingetroffne adlige Studiosen ihre "Brutalhosen und Bloßgesäß" bei Strafe
der Exclusion ablegen, aber wenige Wochen darauf gesteht er in einer Eingabe
an den Herzog, dem Unfug mit der "gar kurzen und verdankten Kleidung" nicht
steuern zu können.

1559 wird ein Pole, der eine ketzerische (vermuthlich socinianische) Abhand¬
lung drucken lassen will, geheimnißvoll ermordet, und als die Untersuchung stockt,
drohen seine Landsleute "das Komieiäimn doindaräis vindiciren zu wollen".

1565 trifft ein Schreiben des Herzogs Christoph ein, in welchem er sich
beschwert, daß bei seiner Anwesenheit in Tübingen, wobei ihn der Landgraf
Wilhelm zu Hessen begleitet hatte, "dermaßen ein Mordgeschrei, Toben und
Wüthen auf der Gasse fast durch die ganze Nacht gewesen, daß wir selbst keinen
ruhigen Schlaf haben, viel weniger in der Nacht und in unserm Schloß wissen
mögen, was für Brand und Mörderei in unsrer Stadt durch solche leichtfertige
gottlose Leute angerichtet worden." Der Senat wird ernstlich angewiesen.
Gottes und des Herzogs Gebote besser zu handhaben.

1575 entwirft die Universität gemeinschaftlich mit der Stadt Tübingen
neue Statuten, nach welchen kein Bürger oder Universitätsverwandter heimliche
Trinkstuben für Studenten halten, kein Apotheker ihnen Marzipan oder Confect
verkaufen, die Kostreicher ihnen kein Uebermaß von Wein zukommen lassen,
niemand ihnen baar Geld borgen soll. Welsche Geiger und Spielleute sollen
in der Stadt und besonders an den Kosttischen nicht gelitten werden. Die alte
Kleiderordnung wird neu eingeschärft. "Der Senat versieht sich zu den Grafen
und Herren, die zum Studiren hergeschickt worden, daß sie der andern Jugend
mit gutem Beispiel vorangehen werden ihrer anqebornen adeligen Tugend nach."
"Sollte das Gegentheil einmal eintreten, so fehl- es nicht an den jungen
Herrn, sondern an ihren Präceptoren, aus welche man bau" ein scharfes Auge
habe" werde."

Der Wille des Senats war gut, der Student aber fand darau nicht Ge¬
fallen, und ein paar Monate darauf sehen wir, wie der Kanzler verzweifelnd
an der Möglichkeit, die Statuten durchzusetzen, sein Amt niederlegen wil', ja
1577 vergleicht ein Bericht des Untervogts von Tübingen die Stadt we^n
ihres gottlosen Wesens mit Sodom und Gomorrha. Ruhig des Nachts meh
Hause gehende Bürger werden von Studenten mit Schimpfreden und KoÜ-
würfen verfolgt und mit bloßen Klingen angefallen. In Lustnau Prügelei de-
Musensöhne mit Schmiedeknechteu. Sechs Bursche von der Universität werfen
dem Doctor Ochsenheimer die Fenster ein; drei andere machen sich den Spaß,
im bloßen Hemd über die Straße zu gehen; wieder andere duelliren sich auf


bei Nacht viel ungebührliches, leichtfertiges, üppiges und schändliches Unwesen
zugetragen", und daß „die Studenten mit Feuerbüchsen umherziehen und den
armen Leuten Gänse und Enten schießen". Zu derselben Zeit heißt der Senat
neu eingetroffne adlige Studiosen ihre „Brutalhosen und Bloßgesäß" bei Strafe
der Exclusion ablegen, aber wenige Wochen darauf gesteht er in einer Eingabe
an den Herzog, dem Unfug mit der „gar kurzen und verdankten Kleidung" nicht
steuern zu können.

1559 wird ein Pole, der eine ketzerische (vermuthlich socinianische) Abhand¬
lung drucken lassen will, geheimnißvoll ermordet, und als die Untersuchung stockt,
drohen seine Landsleute „das Komieiäimn doindaräis vindiciren zu wollen".

1565 trifft ein Schreiben des Herzogs Christoph ein, in welchem er sich
beschwert, daß bei seiner Anwesenheit in Tübingen, wobei ihn der Landgraf
Wilhelm zu Hessen begleitet hatte, „dermaßen ein Mordgeschrei, Toben und
Wüthen auf der Gasse fast durch die ganze Nacht gewesen, daß wir selbst keinen
ruhigen Schlaf haben, viel weniger in der Nacht und in unserm Schloß wissen
mögen, was für Brand und Mörderei in unsrer Stadt durch solche leichtfertige
gottlose Leute angerichtet worden." Der Senat wird ernstlich angewiesen.
Gottes und des Herzogs Gebote besser zu handhaben.

1575 entwirft die Universität gemeinschaftlich mit der Stadt Tübingen
neue Statuten, nach welchen kein Bürger oder Universitätsverwandter heimliche
Trinkstuben für Studenten halten, kein Apotheker ihnen Marzipan oder Confect
verkaufen, die Kostreicher ihnen kein Uebermaß von Wein zukommen lassen,
niemand ihnen baar Geld borgen soll. Welsche Geiger und Spielleute sollen
in der Stadt und besonders an den Kosttischen nicht gelitten werden. Die alte
Kleiderordnung wird neu eingeschärft. „Der Senat versieht sich zu den Grafen
und Herren, die zum Studiren hergeschickt worden, daß sie der andern Jugend
mit gutem Beispiel vorangehen werden ihrer anqebornen adeligen Tugend nach."
„Sollte das Gegentheil einmal eintreten, so fehl- es nicht an den jungen
Herrn, sondern an ihren Präceptoren, aus welche man bau« ein scharfes Auge
habe» werde."

Der Wille des Senats war gut, der Student aber fand darau nicht Ge¬
fallen, und ein paar Monate darauf sehen wir, wie der Kanzler verzweifelnd
an der Möglichkeit, die Statuten durchzusetzen, sein Amt niederlegen wil', ja
1577 vergleicht ein Bericht des Untervogts von Tübingen die Stadt we^n
ihres gottlosen Wesens mit Sodom und Gomorrha. Ruhig des Nachts meh
Hause gehende Bürger werden von Studenten mit Schimpfreden und KoÜ-
würfen verfolgt und mit bloßen Klingen angefallen. In Lustnau Prügelei de-
Musensöhne mit Schmiedeknechteu. Sechs Bursche von der Universität werfen
dem Doctor Ochsenheimer die Fenster ein; drei andere machen sich den Spaß,
im bloßen Hemd über die Straße zu gehen; wieder andere duelliren sich auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/328>, abgerufen am 28.07.2024.