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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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die Straßen, lärmten, wenn der Bürger sich zu Bett gelegt, in greulicher Weise
am Marktbrunnen, schlugen sich unter einander mit Degen, den verbotenen
langen Schwertern und Hellebarden, lieferten der Schaarwache Scharmützel und
prügelten sich mit Bauern und Weingärtnern.

Sie und "praeeipns rrobilM fressen und saufen Tag und Nacht". Es
bestehen Zech-rkönigreiche, und auch an Bordellen fehlt es nicht. Man stört
den katholischen Gottesdienst in den Nachbardörfern, wirft einem Kardinal, der
die Stadt besucht, die Fenster ein, macht den Nonnen in Silchen zudringliche
Besuche; man wittert, schießt Fische und stiehlt den Einwohnern das Obst aus
den Gärten. Auch die bekannte Neckerei der auf dem Neckar vorüberfahrenden
Flößerknechte kommt bereits 1684 vor. Die Strafen sind meist mild und werden
bisweilen auf Fürbitte angesehner Personen erlassen. Relegirte, die mittellos,
bekommen sogar vom Senat ein Viaticum. Ermanne sich die Behörde zur
Strenge, so giebt es bewaffnete Aufstände, die nur mit Mühe bewältigt werden.
Wer von den Tumultuanten dann etwa von der Universität verwiesen wird,
muß Urfehde schwören, sich nicht rächen zu wollen.

Studirt wird von der hier erwähnten Classe der akademischen Jugend wenig
oder gar nicht. 1S47 ergeht an sie die Mahnung, die Collegien fleißig zu be¬
suchen, widrigenfalls sie als nicht zur Universität gehörig angesehen werden
sollen, 1S64 wird einer Anzahl von Studenten mit derselben Drohung geboten,
täglich wenigstens eine Vorlesung zu hören, 1578 soll jeder Studiosus alle
Vierteljahre seiner Facultät anzeigen, welche Collegien er belegt hat, auch seine
Annotationes (Hefte) einreichen, "damit man ihn kennen lerne".

Eine paar Beispiele mögen das Bild von Tübingen im sechzehnten Jahr¬
hundert lebendiger machen; doch wolle man sich des i" der Einleitung Bemerk¬
en erinnern, nach welchem dieses Bild kein vollständiges ist, wenn wir uns
uicht seitwärts von dem Getümmel cnejer wilden Gesellen eine gute Anzahl,
Wenigstens eine Minorität, besser gearteter, stiller und fleißiger Gemüther denken,
die wir freilich nicht sehen und hören, die aber nichts desto weniger vorhanden
sind und später von sich reden machen werden.

Vitus ^-ung v. Planet unterhält 1S32 eine Dirne, besucht keine Vor¬
lesungen' beunruhigt die Bürger, wird ins Carcer gesteckt, entweicht, bittet
dann ^n Verzeihung und wird auf eine Empfehlungsrede des Junkers Caspar
Sy5 "irr lwnoi-La nobilium" begnadigt. Wenige Tage nachher aber stürmt
er 'der mit Schenk v. Winterftetten und andern, nachdem sie in einer Schenke
ge.^ und den Wirth mit Erstechen bedroht, das Haus des Würzkrämers.
N>c mit Mühe verjagen mit Spießen und Hellebarden herbeieilende Nachbarn
de wüthenden Edelleute.

1L47 beklagt sich Herzog Ulrich beim Senat, daß den Statuten "so gar
^"ig gelebt und nachgekommen werde, sondern sich jetzo eine Zeit lang her


die Straßen, lärmten, wenn der Bürger sich zu Bett gelegt, in greulicher Weise
am Marktbrunnen, schlugen sich unter einander mit Degen, den verbotenen
langen Schwertern und Hellebarden, lieferten der Schaarwache Scharmützel und
prügelten sich mit Bauern und Weingärtnern.

Sie und „praeeipns rrobilM fressen und saufen Tag und Nacht". Es
bestehen Zech-rkönigreiche, und auch an Bordellen fehlt es nicht. Man stört
den katholischen Gottesdienst in den Nachbardörfern, wirft einem Kardinal, der
die Stadt besucht, die Fenster ein, macht den Nonnen in Silchen zudringliche
Besuche; man wittert, schießt Fische und stiehlt den Einwohnern das Obst aus
den Gärten. Auch die bekannte Neckerei der auf dem Neckar vorüberfahrenden
Flößerknechte kommt bereits 1684 vor. Die Strafen sind meist mild und werden
bisweilen auf Fürbitte angesehner Personen erlassen. Relegirte, die mittellos,
bekommen sogar vom Senat ein Viaticum. Ermanne sich die Behörde zur
Strenge, so giebt es bewaffnete Aufstände, die nur mit Mühe bewältigt werden.
Wer von den Tumultuanten dann etwa von der Universität verwiesen wird,
muß Urfehde schwören, sich nicht rächen zu wollen.

Studirt wird von der hier erwähnten Classe der akademischen Jugend wenig
oder gar nicht. 1S47 ergeht an sie die Mahnung, die Collegien fleißig zu be¬
suchen, widrigenfalls sie als nicht zur Universität gehörig angesehen werden
sollen, 1S64 wird einer Anzahl von Studenten mit derselben Drohung geboten,
täglich wenigstens eine Vorlesung zu hören, 1578 soll jeder Studiosus alle
Vierteljahre seiner Facultät anzeigen, welche Collegien er belegt hat, auch seine
Annotationes (Hefte) einreichen, „damit man ihn kennen lerne".

Eine paar Beispiele mögen das Bild von Tübingen im sechzehnten Jahr¬
hundert lebendiger machen; doch wolle man sich des i» der Einleitung Bemerk¬
en erinnern, nach welchem dieses Bild kein vollständiges ist, wenn wir uns
uicht seitwärts von dem Getümmel cnejer wilden Gesellen eine gute Anzahl,
Wenigstens eine Minorität, besser gearteter, stiller und fleißiger Gemüther denken,
die wir freilich nicht sehen und hören, die aber nichts desto weniger vorhanden
sind und später von sich reden machen werden.

Vitus ^-ung v. Planet unterhält 1S32 eine Dirne, besucht keine Vor¬
lesungen' beunruhigt die Bürger, wird ins Carcer gesteckt, entweicht, bittet
dann ^n Verzeihung und wird auf eine Empfehlungsrede des Junkers Caspar
Sy5 „irr lwnoi-La nobilium" begnadigt. Wenige Tage nachher aber stürmt
er 'der mit Schenk v. Winterftetten und andern, nachdem sie in einer Schenke
ge.^ und den Wirth mit Erstechen bedroht, das Haus des Würzkrämers.
N>c mit Mühe verjagen mit Spießen und Hellebarden herbeieilende Nachbarn
de wüthenden Edelleute.

1L47 beklagt sich Herzog Ulrich beim Senat, daß den Statuten „so gar
^"ig gelebt und nachgekommen werde, sondern sich jetzo eine Zeit lang her


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[0327] die Straßen, lärmten, wenn der Bürger sich zu Bett gelegt, in greulicher Weise am Marktbrunnen, schlugen sich unter einander mit Degen, den verbotenen langen Schwertern und Hellebarden, lieferten der Schaarwache Scharmützel und prügelten sich mit Bauern und Weingärtnern. Sie und „praeeipns rrobilM fressen und saufen Tag und Nacht". Es bestehen Zech-rkönigreiche, und auch an Bordellen fehlt es nicht. Man stört den katholischen Gottesdienst in den Nachbardörfern, wirft einem Kardinal, der die Stadt besucht, die Fenster ein, macht den Nonnen in Silchen zudringliche Besuche; man wittert, schießt Fische und stiehlt den Einwohnern das Obst aus den Gärten. Auch die bekannte Neckerei der auf dem Neckar vorüberfahrenden Flößerknechte kommt bereits 1684 vor. Die Strafen sind meist mild und werden bisweilen auf Fürbitte angesehner Personen erlassen. Relegirte, die mittellos, bekommen sogar vom Senat ein Viaticum. Ermanne sich die Behörde zur Strenge, so giebt es bewaffnete Aufstände, die nur mit Mühe bewältigt werden. Wer von den Tumultuanten dann etwa von der Universität verwiesen wird, muß Urfehde schwören, sich nicht rächen zu wollen. Studirt wird von der hier erwähnten Classe der akademischen Jugend wenig oder gar nicht. 1S47 ergeht an sie die Mahnung, die Collegien fleißig zu be¬ suchen, widrigenfalls sie als nicht zur Universität gehörig angesehen werden sollen, 1S64 wird einer Anzahl von Studenten mit derselben Drohung geboten, täglich wenigstens eine Vorlesung zu hören, 1578 soll jeder Studiosus alle Vierteljahre seiner Facultät anzeigen, welche Collegien er belegt hat, auch seine Annotationes (Hefte) einreichen, „damit man ihn kennen lerne". Eine paar Beispiele mögen das Bild von Tübingen im sechzehnten Jahr¬ hundert lebendiger machen; doch wolle man sich des i» der Einleitung Bemerk¬ en erinnern, nach welchem dieses Bild kein vollständiges ist, wenn wir uns uicht seitwärts von dem Getümmel cnejer wilden Gesellen eine gute Anzahl, Wenigstens eine Minorität, besser gearteter, stiller und fleißiger Gemüther denken, die wir freilich nicht sehen und hören, die aber nichts desto weniger vorhanden sind und später von sich reden machen werden. Vitus ^-ung v. Planet unterhält 1S32 eine Dirne, besucht keine Vor¬ lesungen' beunruhigt die Bürger, wird ins Carcer gesteckt, entweicht, bittet dann ^n Verzeihung und wird auf eine Empfehlungsrede des Junkers Caspar Sy5 „irr lwnoi-La nobilium" begnadigt. Wenige Tage nachher aber stürmt er 'der mit Schenk v. Winterftetten und andern, nachdem sie in einer Schenke ge.^ und den Wirth mit Erstechen bedroht, das Haus des Würzkrämers. N>c mit Mühe verjagen mit Spießen und Hellebarden herbeieilende Nachbarn de wüthenden Edelleute. 1L47 beklagt sich Herzog Ulrich beim Senat, daß den Statuten „so gar ^"ig gelebt und nachgekommen werde, sondern sich jetzo eine Zeit lang her

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/327>, abgerufen am 28.07.2024.