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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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schamlos prasselt und mit berüchtigten Weibern verbrecherisch leben bei 1 Gulden
Strafe, niemand sich leichtfertige Frauenzimmer halten, widrigenfalls er 3 Gulden
zu erlegen oder auf einen Monat ins Carcer gehen soll. Verboten sind sodann:
die Theilnahme an Posscnspielen (vermuthlich Fastnachtsspielen, wogegen die
Studenten jetzt wie früher gelegentlich bei geistlichen Dramen. den sogenannten
Mysterien, mitgewirkt haben werden), Verschwörungen und Conventikel, Pas-
qille, die von jetzt an sehr häusig vorkamen und zum Theil so schmutzigen
Inhalts waren, daß sie hier nicht einmal lateinisch angeführt werden können,
Tumulte und Gewaltthätigkeiten, endlich das Tragen "jener kurzen Mäntelchen,
die über dem Knie aufhören, ja sogar nur die Schulterblätter bedecken, bunter
Farben oder unschicklich zerschlitzter und zertheilter Kleidungsstücke;" doch will
man (ganz wie in Tübingen) damit "den Herzögen und Freiherrn ihr Belieben
nicht geschmälert haben". Komisch ist, zu sehen, wie gewisser Schabernack
nächtlich umherschwärmcnder Musenjünger, der noch heute in Leipzig beliebt ist,
wie Wegschleppen von Gefäßen, Gerüchen und Wagen, die vor den Häusern
stehen, schon damals im Schwange war.

Wie in Tübingen und Leipzig, so auch in Ingolstadt, wo die neuen
Statuten von 1522 sich vorzüglich mit der Tracht der Scholaren zu thun machen,
indem sie verlangen, daß dieselbe ehrbar, von geziemender Länge und nicht zu
bunten Farben sei, und Reiterkaputzen, sowie zu weit ausgeschnittne Mäntel und
Stiefeln nach Art der Landsknechte bei Strafe eines halben Gulden verbieten.

Alle diese Gebote und Verbote wirkten, wie die Urkundcnbücher der Uni¬
versitäten zeigen, stets nur kurze Zeit. Sie wurden immer bald verletzt, wieder
eingeschärft und von neuem gebrochen. Der Adel, wenigstens der hohe, war
selbstverständlich von ihnen factisch eximirt und machte von diesem Vorrecht
Gebrauch. Das Wanderleben mancher Studenten lieferte immer wieder ver¬
wilderte Bursche in die Gemeinschaft. Manche Professoren leisteten den Stu-
direnden, die bei ihnen Kost und Wohnung genommen, bei ihrem Treiben
Vorschub, und selbst die obersten Universitätsbehörden fachen häufig durch die
Finger und nahmen Partei für Excedenten gegen die städtische Ordnung, um
ihre hohe Schule nicht in den Ruf zu großer Strenge und dadurch in Abgang
zu bringen.

Ein recht deutliches Bild dieses Zustandes bieten die oben citirten Mit¬
theilungen Mohls über Tübingen. Die Regel stand dort meist blos auf
dem Papier, am schwarzen Bret und in den Acten der Kanzeln. Tagesordnung
war die Uebertretung. und mehr als einmal wurde der Unfug so arg, daß die
Negierung sich hineinmischte und dem Senate Verweise wegen schwächlicher
Handhabung der Disciplin ertheilte. Die Studenten drängten sich bei Hoch¬
zeiten ein und erregten da Schlägereien, zechten in Wirthshäusern und auf
ihren Stuben, zogen Nachts Lauten schlagend oder auf Kübeln trommelnd durch


schamlos prasselt und mit berüchtigten Weibern verbrecherisch leben bei 1 Gulden
Strafe, niemand sich leichtfertige Frauenzimmer halten, widrigenfalls er 3 Gulden
zu erlegen oder auf einen Monat ins Carcer gehen soll. Verboten sind sodann:
die Theilnahme an Posscnspielen (vermuthlich Fastnachtsspielen, wogegen die
Studenten jetzt wie früher gelegentlich bei geistlichen Dramen. den sogenannten
Mysterien, mitgewirkt haben werden), Verschwörungen und Conventikel, Pas-
qille, die von jetzt an sehr häusig vorkamen und zum Theil so schmutzigen
Inhalts waren, daß sie hier nicht einmal lateinisch angeführt werden können,
Tumulte und Gewaltthätigkeiten, endlich das Tragen „jener kurzen Mäntelchen,
die über dem Knie aufhören, ja sogar nur die Schulterblätter bedecken, bunter
Farben oder unschicklich zerschlitzter und zertheilter Kleidungsstücke;" doch will
man (ganz wie in Tübingen) damit „den Herzögen und Freiherrn ihr Belieben
nicht geschmälert haben". Komisch ist, zu sehen, wie gewisser Schabernack
nächtlich umherschwärmcnder Musenjünger, der noch heute in Leipzig beliebt ist,
wie Wegschleppen von Gefäßen, Gerüchen und Wagen, die vor den Häusern
stehen, schon damals im Schwange war.

Wie in Tübingen und Leipzig, so auch in Ingolstadt, wo die neuen
Statuten von 1522 sich vorzüglich mit der Tracht der Scholaren zu thun machen,
indem sie verlangen, daß dieselbe ehrbar, von geziemender Länge und nicht zu
bunten Farben sei, und Reiterkaputzen, sowie zu weit ausgeschnittne Mäntel und
Stiefeln nach Art der Landsknechte bei Strafe eines halben Gulden verbieten.

Alle diese Gebote und Verbote wirkten, wie die Urkundcnbücher der Uni¬
versitäten zeigen, stets nur kurze Zeit. Sie wurden immer bald verletzt, wieder
eingeschärft und von neuem gebrochen. Der Adel, wenigstens der hohe, war
selbstverständlich von ihnen factisch eximirt und machte von diesem Vorrecht
Gebrauch. Das Wanderleben mancher Studenten lieferte immer wieder ver¬
wilderte Bursche in die Gemeinschaft. Manche Professoren leisteten den Stu-
direnden, die bei ihnen Kost und Wohnung genommen, bei ihrem Treiben
Vorschub, und selbst die obersten Universitätsbehörden fachen häufig durch die
Finger und nahmen Partei für Excedenten gegen die städtische Ordnung, um
ihre hohe Schule nicht in den Ruf zu großer Strenge und dadurch in Abgang
zu bringen.

Ein recht deutliches Bild dieses Zustandes bieten die oben citirten Mit¬
theilungen Mohls über Tübingen. Die Regel stand dort meist blos auf
dem Papier, am schwarzen Bret und in den Acten der Kanzeln. Tagesordnung
war die Uebertretung. und mehr als einmal wurde der Unfug so arg, daß die
Negierung sich hineinmischte und dem Senate Verweise wegen schwächlicher
Handhabung der Disciplin ertheilte. Die Studenten drängten sich bei Hoch¬
zeiten ein und erregten da Schlägereien, zechten in Wirthshäusern und auf
ihren Stuben, zogen Nachts Lauten schlagend oder auf Kübeln trommelnd durch


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[0326] schamlos prasselt und mit berüchtigten Weibern verbrecherisch leben bei 1 Gulden Strafe, niemand sich leichtfertige Frauenzimmer halten, widrigenfalls er 3 Gulden zu erlegen oder auf einen Monat ins Carcer gehen soll. Verboten sind sodann: die Theilnahme an Posscnspielen (vermuthlich Fastnachtsspielen, wogegen die Studenten jetzt wie früher gelegentlich bei geistlichen Dramen. den sogenannten Mysterien, mitgewirkt haben werden), Verschwörungen und Conventikel, Pas- qille, die von jetzt an sehr häusig vorkamen und zum Theil so schmutzigen Inhalts waren, daß sie hier nicht einmal lateinisch angeführt werden können, Tumulte und Gewaltthätigkeiten, endlich das Tragen „jener kurzen Mäntelchen, die über dem Knie aufhören, ja sogar nur die Schulterblätter bedecken, bunter Farben oder unschicklich zerschlitzter und zertheilter Kleidungsstücke;" doch will man (ganz wie in Tübingen) damit „den Herzögen und Freiherrn ihr Belieben nicht geschmälert haben". Komisch ist, zu sehen, wie gewisser Schabernack nächtlich umherschwärmcnder Musenjünger, der noch heute in Leipzig beliebt ist, wie Wegschleppen von Gefäßen, Gerüchen und Wagen, die vor den Häusern stehen, schon damals im Schwange war. Wie in Tübingen und Leipzig, so auch in Ingolstadt, wo die neuen Statuten von 1522 sich vorzüglich mit der Tracht der Scholaren zu thun machen, indem sie verlangen, daß dieselbe ehrbar, von geziemender Länge und nicht zu bunten Farben sei, und Reiterkaputzen, sowie zu weit ausgeschnittne Mäntel und Stiefeln nach Art der Landsknechte bei Strafe eines halben Gulden verbieten. Alle diese Gebote und Verbote wirkten, wie die Urkundcnbücher der Uni¬ versitäten zeigen, stets nur kurze Zeit. Sie wurden immer bald verletzt, wieder eingeschärft und von neuem gebrochen. Der Adel, wenigstens der hohe, war selbstverständlich von ihnen factisch eximirt und machte von diesem Vorrecht Gebrauch. Das Wanderleben mancher Studenten lieferte immer wieder ver¬ wilderte Bursche in die Gemeinschaft. Manche Professoren leisteten den Stu- direnden, die bei ihnen Kost und Wohnung genommen, bei ihrem Treiben Vorschub, und selbst die obersten Universitätsbehörden fachen häufig durch die Finger und nahmen Partei für Excedenten gegen die städtische Ordnung, um ihre hohe Schule nicht in den Ruf zu großer Strenge und dadurch in Abgang zu bringen. Ein recht deutliches Bild dieses Zustandes bieten die oben citirten Mit¬ theilungen Mohls über Tübingen. Die Regel stand dort meist blos auf dem Papier, am schwarzen Bret und in den Acten der Kanzeln. Tagesordnung war die Uebertretung. und mehr als einmal wurde der Unfug so arg, daß die Negierung sich hineinmischte und dem Senate Verweise wegen schwächlicher Handhabung der Disciplin ertheilte. Die Studenten drängten sich bei Hoch¬ zeiten ein und erregten da Schlägereien, zechten in Wirthshäusern und auf ihren Stuben, zogen Nachts Lauten schlagend oder auf Kübeln trommelnd durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/326>, abgerufen am 28.07.2024.