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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ZU lösen, und ein Versenken in die socialen Uebelstände seines Volkes, Schaffung
von Mitteln, um diese zu entfernen, würde wahrlich mehr Segen und Nutzen
verbreiten, als das viele äußerliche Gepränge mit nationalem Flitterstaat, daS
jetzt mit so großer Ostentation durch die Straßen spcctakelt. Man verfällt da-
bei auf gar seltsame Thorheiten, die dem Geiste des Zeitalters gradezu ent-
gegenlaufen, wohin namentlich die Erfindung der, sogenannten National¬
tracht gehört. Das trug sich folgendermaßen zu. Noch immer ziehen viele
Deutsche nach der Hauptstadt Böhmens, um dort ihre Kenntnisse und Geschick-
lichkeit zu verwerthen; doch es geht ihnen nicht mehr wie zu den Tagen
Premysls, Otakars des Zweiten oder Karls des Vierten, als man sie mit
o-ffenen Armen aufnahm. Heute sind sie el-ioseinoi, Fremdlinge im Bruder,
lande Böhmen, und ihnen entgegen erschallt der Ruf: irvrnei v^trat, die
Deutschen hinausjagen!

Doch ein Mann, dessen Wiege im schönen Rheinlande stand, genießt heute
hohe Ehre unter den Tschechen, und wenn nicht seine Heimath, so würde doch
der Name Hassenteufel seinen germanischen Ursprung verrathen. Er war nur
ein Schneiderlein, und doch sollte er einen wichtigen Baustein zur neutschechi.
schen Größe beitragen; denn der Mann von der Scheere erfand, zusammen
mit Männern von der Feder, das berühmte Nationalkleid, die Tschamara.
Warum sollte auch der Tscheche in der allgemeinen Tracht civilisirter Völker
aufgehen und nicht seinen besonderen Schnurciuock tragen?

Offen haben die Tschechen mehr als einmal erklärt: baß alles, was sie
bisher erlangt, noch bei weitem dem nicht entspreche, was sie begehren. Wir
haben also vorderhand noch eine Fortdauer des Kampfes zu gewärtigen, welcher,
so lange die Bcrbündung der feudalen und nationalen Partei anhält, für die
Deutschen nur nachtheilig ausfallen kann. Wenn dann die Majorisirung der
Deutschen weitere Fortschritte macht und das Ideal der Tschechen, die Verdrän¬
gung des deutschen Elementes zur Ausführung gelangt, wenn die Sprach-
zwangsgelüste eine schneidigere und lebendigere Form gewinnen*), dann wird
vielleicht auch für Böhmen die Zeit kommen, in der die außeröstreichischen
Deutschen dort, ähnlich wie in Schleswig, ein Wort mitzureden hätten. Der
"östreichische Gedanke" unter den Deutschböhmen wird durch das Treiben der
Tschechen und die offene Unterstützung desselben durch die Regierung keineswegs
gekräftigt. Freuen wir uns, wenn reindeutsche Gesinnung infolge dieser Zu¬
stände immer mehr unter den deutschen Böhmen Platz greift.





") I" Pilsen sind sie nun glücklich ganz lebendig geworden. Der Z 1 der neuen Ge-
schciftsordnung der Bezirtsvcrtrctung lautet dort: "Die Geschäftssprache ist nur die
tschechische." Einem Mitglied, dem Handelstammerprästdenten Otto Bischofs, wurde das
Wort entzogen, als er deutsch sprach. Und doch zählt Pilsen viele tausend deutsche Einwohner
ja es verdankt seine Viiithe einzig diesen!

ZU lösen, und ein Versenken in die socialen Uebelstände seines Volkes, Schaffung
von Mitteln, um diese zu entfernen, würde wahrlich mehr Segen und Nutzen
verbreiten, als das viele äußerliche Gepränge mit nationalem Flitterstaat, daS
jetzt mit so großer Ostentation durch die Straßen spcctakelt. Man verfällt da-
bei auf gar seltsame Thorheiten, die dem Geiste des Zeitalters gradezu ent-
gegenlaufen, wohin namentlich die Erfindung der, sogenannten National¬
tracht gehört. Das trug sich folgendermaßen zu. Noch immer ziehen viele
Deutsche nach der Hauptstadt Böhmens, um dort ihre Kenntnisse und Geschick-
lichkeit zu verwerthen; doch es geht ihnen nicht mehr wie zu den Tagen
Premysls, Otakars des Zweiten oder Karls des Vierten, als man sie mit
o-ffenen Armen aufnahm. Heute sind sie el-ioseinoi, Fremdlinge im Bruder,
lande Böhmen, und ihnen entgegen erschallt der Ruf: irvrnei v^trat, die
Deutschen hinausjagen!

Doch ein Mann, dessen Wiege im schönen Rheinlande stand, genießt heute
hohe Ehre unter den Tschechen, und wenn nicht seine Heimath, so würde doch
der Name Hassenteufel seinen germanischen Ursprung verrathen. Er war nur
ein Schneiderlein, und doch sollte er einen wichtigen Baustein zur neutschechi.
schen Größe beitragen; denn der Mann von der Scheere erfand, zusammen
mit Männern von der Feder, das berühmte Nationalkleid, die Tschamara.
Warum sollte auch der Tscheche in der allgemeinen Tracht civilisirter Völker
aufgehen und nicht seinen besonderen Schnurciuock tragen?

Offen haben die Tschechen mehr als einmal erklärt: baß alles, was sie
bisher erlangt, noch bei weitem dem nicht entspreche, was sie begehren. Wir
haben also vorderhand noch eine Fortdauer des Kampfes zu gewärtigen, welcher,
so lange die Bcrbündung der feudalen und nationalen Partei anhält, für die
Deutschen nur nachtheilig ausfallen kann. Wenn dann die Majorisirung der
Deutschen weitere Fortschritte macht und das Ideal der Tschechen, die Verdrän¬
gung des deutschen Elementes zur Ausführung gelangt, wenn die Sprach-
zwangsgelüste eine schneidigere und lebendigere Form gewinnen*), dann wird
vielleicht auch für Böhmen die Zeit kommen, in der die außeröstreichischen
Deutschen dort, ähnlich wie in Schleswig, ein Wort mitzureden hätten. Der
„östreichische Gedanke" unter den Deutschböhmen wird durch das Treiben der
Tschechen und die offene Unterstützung desselben durch die Regierung keineswegs
gekräftigt. Freuen wir uns, wenn reindeutsche Gesinnung infolge dieser Zu¬
stände immer mehr unter den deutschen Böhmen Platz greift.





") I» Pilsen sind sie nun glücklich ganz lebendig geworden. Der Z 1 der neuen Ge-
schciftsordnung der Bezirtsvcrtrctung lautet dort: „Die Geschäftssprache ist nur die
tschechische." Einem Mitglied, dem Handelstammerprästdenten Otto Bischofs, wurde das
Wort entzogen, als er deutsch sprach. Und doch zählt Pilsen viele tausend deutsche Einwohner
ja es verdankt seine Viiithe einzig diesen!
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[0319] ZU lösen, und ein Versenken in die socialen Uebelstände seines Volkes, Schaffung von Mitteln, um diese zu entfernen, würde wahrlich mehr Segen und Nutzen verbreiten, als das viele äußerliche Gepränge mit nationalem Flitterstaat, daS jetzt mit so großer Ostentation durch die Straßen spcctakelt. Man verfällt da- bei auf gar seltsame Thorheiten, die dem Geiste des Zeitalters gradezu ent- gegenlaufen, wohin namentlich die Erfindung der, sogenannten National¬ tracht gehört. Das trug sich folgendermaßen zu. Noch immer ziehen viele Deutsche nach der Hauptstadt Böhmens, um dort ihre Kenntnisse und Geschick- lichkeit zu verwerthen; doch es geht ihnen nicht mehr wie zu den Tagen Premysls, Otakars des Zweiten oder Karls des Vierten, als man sie mit o-ffenen Armen aufnahm. Heute sind sie el-ioseinoi, Fremdlinge im Bruder, lande Böhmen, und ihnen entgegen erschallt der Ruf: irvrnei v^trat, die Deutschen hinausjagen! Doch ein Mann, dessen Wiege im schönen Rheinlande stand, genießt heute hohe Ehre unter den Tschechen, und wenn nicht seine Heimath, so würde doch der Name Hassenteufel seinen germanischen Ursprung verrathen. Er war nur ein Schneiderlein, und doch sollte er einen wichtigen Baustein zur neutschechi. schen Größe beitragen; denn der Mann von der Scheere erfand, zusammen mit Männern von der Feder, das berühmte Nationalkleid, die Tschamara. Warum sollte auch der Tscheche in der allgemeinen Tracht civilisirter Völker aufgehen und nicht seinen besonderen Schnurciuock tragen? Offen haben die Tschechen mehr als einmal erklärt: baß alles, was sie bisher erlangt, noch bei weitem dem nicht entspreche, was sie begehren. Wir haben also vorderhand noch eine Fortdauer des Kampfes zu gewärtigen, welcher, so lange die Bcrbündung der feudalen und nationalen Partei anhält, für die Deutschen nur nachtheilig ausfallen kann. Wenn dann die Majorisirung der Deutschen weitere Fortschritte macht und das Ideal der Tschechen, die Verdrän¬ gung des deutschen Elementes zur Ausführung gelangt, wenn die Sprach- zwangsgelüste eine schneidigere und lebendigere Form gewinnen*), dann wird vielleicht auch für Böhmen die Zeit kommen, in der die außeröstreichischen Deutschen dort, ähnlich wie in Schleswig, ein Wort mitzureden hätten. Der „östreichische Gedanke" unter den Deutschböhmen wird durch das Treiben der Tschechen und die offene Unterstützung desselben durch die Regierung keineswegs gekräftigt. Freuen wir uns, wenn reindeutsche Gesinnung infolge dieser Zu¬ stände immer mehr unter den deutschen Böhmen Platz greift. ") I» Pilsen sind sie nun glücklich ganz lebendig geworden. Der Z 1 der neuen Ge- schciftsordnung der Bezirtsvcrtrctung lautet dort: „Die Geschäftssprache ist nur die tschechische." Einem Mitglied, dem Handelstammerprästdenten Otto Bischofs, wurde das Wort entzogen, als er deutsch sprach. Und doch zählt Pilsen viele tausend deutsche Einwohner ja es verdankt seine Viiithe einzig diesen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/319>, abgerufen am 28.07.2024.