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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Zahlen für ihre Zwecke sind die Tschechen, wie bemerkt, durchaus keine Meister.
Wie opferwillig sie sich auch anstellen mögen, sie sind im Grunde trotz aller
schönen Redensarten recht zäh. Davon ein Beispiel.

Bei Gelegenheit der preußischen Landtagswahlen erließen die Tschechen ein
Manifest an die Brüder Polen in Posen, in dem diese zum Zusammenhalten
gegen den Deutschen, den gemeinschaftlichen Feind und Unterdrücker, aufgemuntert
wurden. Die Schrift floß wie üblich von schönen Phrasen, von Gut und Blut,
von Brüderlichkeit über. Nach der polnischen Revolution wandten sich gegen
300 Emigranten nach Prag, wo sie bei den theuren slavischen Brüdern gast¬
liche Aufnahme zu finden hofften. Da diese nun den Geldbeutel ziehen sollten,
glaubten sie am besten zu thun, wenn sie die Ankömmlinge mit Reisegeld ver¬
sahen und sich derart vom Halse schafften. Man sammelte. Und das Ergebniß
für alle jene 300 Polen war? -- achtundsechzig Gulden. Eine allerliebste
Illustration zur "slavischen Wechselseitigkeit".

So kräftig und geschlossen die Tschechen auch nach außen hin auftrete",
und so sehr in der letzten Zeit alles zu ihren Gunsten und zum Nachtheile der
Deutschen auszuschlagen scheint, so wenig kann man doch sagen, daß das Volk
innerlich erstarkt sei. Die sittliche und geistige Hebung desselben hat keine
wesentlichen Fortschritte gemacht, und der ungünstige Ruf. der es im Privat¬
leben begleitet, hat sich nicht gebessert. In Böhmen herrschen vielfach noch
Zustände, wie sie in den übrigen civilisirten Ländern Mitteleuropas schwerlich
noch einmal gefunden werden, und der Schluß liegt sehr nahe, dies mit der
Nationalität in Verbindung zu bringen. Judenhetzen, wie sie unser Jahrhun¬
dert noch nicht gesehen hat, haben grade in diesem Frühling ihren erschreckliche!'
Umgang durch viele der kleinen tschechischen Städte genommen, welche dadurch
eine traurige Berühmtheit erlangten. Sie sind nur eine stärkere Wiederholung
dessen gewesen, was sich im geringeren Maßstabe alljährlich wiederholt, ja zur
stehenden Regel geworden ist. Die Unsicherheit auf dem Platten Lande Böh¬
mens, ist eine derartige, wie sie mit civilisirten Verhältnissen durchaus unver¬
einbar ist. Wenn in der Hauptstadt Prag bei 200,000 Einwohnern im Laufe
des Jahres 186S die Zahl der Verhaftungen die schreckenerregende Ziffer von
20,141 erreichte -- auf je zehn Menschen eine! -- so verschwindet dies den¬
noch gegenüber dem Strolch- und Vagabundenwesen aus dem platten Lande.
Der böhmische Landtag erklärte in seiner Sitzung vom 26. Januar 1866: "der
Zustand der Sicherheit der Person und des Eigenthums in Böhmen ist unbe¬
friedigend, zum Theil sogar gefahrdrohend, deshalb ist eine dringende Abhilfe höchst
nothwendig." Der Grund liegt vor allem mit in der schlechten häuslichen Erzie¬
hung, in der großen Menge derer, die keinen ordentlichen Schulunterricht ge¬
nossen, die nicht lesen und schreiben können, und wie bedeutend ist noch deren
Zahl in Böhmen! Hier hat der tschechische Patriot noch eine große Aufgabe


Zahlen für ihre Zwecke sind die Tschechen, wie bemerkt, durchaus keine Meister.
Wie opferwillig sie sich auch anstellen mögen, sie sind im Grunde trotz aller
schönen Redensarten recht zäh. Davon ein Beispiel.

Bei Gelegenheit der preußischen Landtagswahlen erließen die Tschechen ein
Manifest an die Brüder Polen in Posen, in dem diese zum Zusammenhalten
gegen den Deutschen, den gemeinschaftlichen Feind und Unterdrücker, aufgemuntert
wurden. Die Schrift floß wie üblich von schönen Phrasen, von Gut und Blut,
von Brüderlichkeit über. Nach der polnischen Revolution wandten sich gegen
300 Emigranten nach Prag, wo sie bei den theuren slavischen Brüdern gast¬
liche Aufnahme zu finden hofften. Da diese nun den Geldbeutel ziehen sollten,
glaubten sie am besten zu thun, wenn sie die Ankömmlinge mit Reisegeld ver¬
sahen und sich derart vom Halse schafften. Man sammelte. Und das Ergebniß
für alle jene 300 Polen war? — achtundsechzig Gulden. Eine allerliebste
Illustration zur „slavischen Wechselseitigkeit".

So kräftig und geschlossen die Tschechen auch nach außen hin auftrete«,
und so sehr in der letzten Zeit alles zu ihren Gunsten und zum Nachtheile der
Deutschen auszuschlagen scheint, so wenig kann man doch sagen, daß das Volk
innerlich erstarkt sei. Die sittliche und geistige Hebung desselben hat keine
wesentlichen Fortschritte gemacht, und der ungünstige Ruf. der es im Privat¬
leben begleitet, hat sich nicht gebessert. In Böhmen herrschen vielfach noch
Zustände, wie sie in den übrigen civilisirten Ländern Mitteleuropas schwerlich
noch einmal gefunden werden, und der Schluß liegt sehr nahe, dies mit der
Nationalität in Verbindung zu bringen. Judenhetzen, wie sie unser Jahrhun¬
dert noch nicht gesehen hat, haben grade in diesem Frühling ihren erschreckliche!'
Umgang durch viele der kleinen tschechischen Städte genommen, welche dadurch
eine traurige Berühmtheit erlangten. Sie sind nur eine stärkere Wiederholung
dessen gewesen, was sich im geringeren Maßstabe alljährlich wiederholt, ja zur
stehenden Regel geworden ist. Die Unsicherheit auf dem Platten Lande Böh¬
mens, ist eine derartige, wie sie mit civilisirten Verhältnissen durchaus unver¬
einbar ist. Wenn in der Hauptstadt Prag bei 200,000 Einwohnern im Laufe
des Jahres 186S die Zahl der Verhaftungen die schreckenerregende Ziffer von
20,141 erreichte — auf je zehn Menschen eine! — so verschwindet dies den¬
noch gegenüber dem Strolch- und Vagabundenwesen aus dem platten Lande.
Der böhmische Landtag erklärte in seiner Sitzung vom 26. Januar 1866: „der
Zustand der Sicherheit der Person und des Eigenthums in Böhmen ist unbe¬
friedigend, zum Theil sogar gefahrdrohend, deshalb ist eine dringende Abhilfe höchst
nothwendig." Der Grund liegt vor allem mit in der schlechten häuslichen Erzie¬
hung, in der großen Menge derer, die keinen ordentlichen Schulunterricht ge¬
nossen, die nicht lesen und schreiben können, und wie bedeutend ist noch deren
Zahl in Böhmen! Hier hat der tschechische Patriot noch eine große Aufgabe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/318>, abgerufen am 28.07.2024.