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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Der prager Gewerbeverein ward von Deutschen mit deutschem Gelde
gegründet und gefördert; er verfolgte nur seine unmittelbaren Zwecke, die He-
bung des Gewerbes. Das war jedoch nicht nach dem Geschmacke der nationalen;
Palazky begann in Geschichte zu machen, und mit dem deutschen Gelde des
Fond sollte eine tschechische Gewerbeschule errichtet werden. In der Reaktions¬
zeit war der Verein, aus den die Behörden mißtrauisch herabschauten, gänzlich
ruinirt und nur den Bestrebungen des Professors Balling, des Dr. Kreuzberg
und Dotzauers gelang es, ihn wieder zu heben. Als aber die neutschechische
Aera hereinbrach, ward er zum Schauplatz wüsten Sprachgezänkes. Tschechen,
die mit den Gewerben gar nichts zu thun hatten, Advocaten, Redacteure u. s. w.
traten massenhaft ein und vertrieben die Deutschen.

Im Jahre 1846 wurde die Bürgerressourcc gegründet, die auch bald
zum Heerde des Tschechenthums wurde. Auch hier mußten die Deutschen aus¬
treten; sie gewannen dafür an Selbständigkeit und gründeten im Jahre 1862
das deutsche Casino, welches jetzt über 1300 Mitglieder zählt, obgleich bei
der Stiftung der provisorische Obmann Richard Dotzauer Mühe hatte Leute zu
gewinnen, die offen Farbe bekannten. Aehnliche Zwistigkeiten entstanden im
Stenographenverein; Deutsche und Tschechen trennten sich. Das akademische
Leben der Studenten ist natürlich auch national gespalten; die deutschen Turner
stehen dem tschechischen "Sokol" (Falke) gegenüber, welcher letztere in einer
förmlichen Maskentracht: rothe Hemden, Pumphosen, ungarische Hüte und pol¬
nische Stiefel, paradirt. Endlich entpuppte sich der Männergescmgvercin zu
einer tschechischen Beseda, während der deutsche Gesangverein dabei immer kräftig
fortblüht. Was kann besser als diese Zersplitterung im Vereinsleben zeigen,
wie heterogen die Elemente in Böhmen sind, wie schroff man sich gegenüber
steht, und wie wenig an den Ausgleich zu denken ist?

Aus dem prager Domcapitel sind die deutschen Geistlichen fast ganz ver¬
drängt, ohne daß der Erzbischof, welcher es mit den Tschechen hält, etwas
dagegen that; im Landesausschuß sind sie in der Minderheit und können sicher
sein, daß dort ihre Interessen nicht wahrgenommen werden. Am allerbetrübcndflen
jedoch ist für uns das Vorgehen des prager Gemeinderaths, dessen Votum
wir schon erwähnten "es gäbe in Prag keine deutschen Kinder".

Als im Jahre 1861 auf Grund der provisorischen Gemeindeverfassung vom
27. April 1860 die Wahlen zu einem neuen Stadtverordnetencollegium ausgeschrieben
wurden, bildeten manche, seitdem verschollene Herren, die in der handhaben Zeit
mit Orden geschmückt worden waren, ein Wcchlcomit6 unter dem Namen "Liberale
Verfassungsfreunde". Allein sie waren nichts weniger als liberal und fanden
die Unterstützung der Deutschen nicht, deren hervorragendste Führer sie" damals
mit den Tschechen verbanden, weil sie glaubten, in rei" städtischen Angelegen¬
heiten hätten nationale Fragen nichts zu schaffen. Die verbundene "Fortschritts-


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Der prager Gewerbeverein ward von Deutschen mit deutschem Gelde
gegründet und gefördert; er verfolgte nur seine unmittelbaren Zwecke, die He-
bung des Gewerbes. Das war jedoch nicht nach dem Geschmacke der nationalen;
Palazky begann in Geschichte zu machen, und mit dem deutschen Gelde des
Fond sollte eine tschechische Gewerbeschule errichtet werden. In der Reaktions¬
zeit war der Verein, aus den die Behörden mißtrauisch herabschauten, gänzlich
ruinirt und nur den Bestrebungen des Professors Balling, des Dr. Kreuzberg
und Dotzauers gelang es, ihn wieder zu heben. Als aber die neutschechische
Aera hereinbrach, ward er zum Schauplatz wüsten Sprachgezänkes. Tschechen,
die mit den Gewerben gar nichts zu thun hatten, Advocaten, Redacteure u. s. w.
traten massenhaft ein und vertrieben die Deutschen.

Im Jahre 1846 wurde die Bürgerressourcc gegründet, die auch bald
zum Heerde des Tschechenthums wurde. Auch hier mußten die Deutschen aus¬
treten; sie gewannen dafür an Selbständigkeit und gründeten im Jahre 1862
das deutsche Casino, welches jetzt über 1300 Mitglieder zählt, obgleich bei
der Stiftung der provisorische Obmann Richard Dotzauer Mühe hatte Leute zu
gewinnen, die offen Farbe bekannten. Aehnliche Zwistigkeiten entstanden im
Stenographenverein; Deutsche und Tschechen trennten sich. Das akademische
Leben der Studenten ist natürlich auch national gespalten; die deutschen Turner
stehen dem tschechischen „Sokol" (Falke) gegenüber, welcher letztere in einer
förmlichen Maskentracht: rothe Hemden, Pumphosen, ungarische Hüte und pol¬
nische Stiefel, paradirt. Endlich entpuppte sich der Männergescmgvercin zu
einer tschechischen Beseda, während der deutsche Gesangverein dabei immer kräftig
fortblüht. Was kann besser als diese Zersplitterung im Vereinsleben zeigen,
wie heterogen die Elemente in Böhmen sind, wie schroff man sich gegenüber
steht, und wie wenig an den Ausgleich zu denken ist?

Aus dem prager Domcapitel sind die deutschen Geistlichen fast ganz ver¬
drängt, ohne daß der Erzbischof, welcher es mit den Tschechen hält, etwas
dagegen that; im Landesausschuß sind sie in der Minderheit und können sicher
sein, daß dort ihre Interessen nicht wahrgenommen werden. Am allerbetrübcndflen
jedoch ist für uns das Vorgehen des prager Gemeinderaths, dessen Votum
wir schon erwähnten „es gäbe in Prag keine deutschen Kinder".

Als im Jahre 1861 auf Grund der provisorischen Gemeindeverfassung vom
27. April 1860 die Wahlen zu einem neuen Stadtverordnetencollegium ausgeschrieben
wurden, bildeten manche, seitdem verschollene Herren, die in der handhaben Zeit
mit Orden geschmückt worden waren, ein Wcchlcomit6 unter dem Namen „Liberale
Verfassungsfreunde". Allein sie waren nichts weniger als liberal und fanden
die Unterstützung der Deutschen nicht, deren hervorragendste Führer sie» damals
mit den Tschechen verbanden, weil sie glaubten, in rei» städtischen Angelegen¬
heiten hätten nationale Fragen nichts zu schaffen. Die verbundene „Fortschritts-


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[0315] Der prager Gewerbeverein ward von Deutschen mit deutschem Gelde gegründet und gefördert; er verfolgte nur seine unmittelbaren Zwecke, die He- bung des Gewerbes. Das war jedoch nicht nach dem Geschmacke der nationalen; Palazky begann in Geschichte zu machen, und mit dem deutschen Gelde des Fond sollte eine tschechische Gewerbeschule errichtet werden. In der Reaktions¬ zeit war der Verein, aus den die Behörden mißtrauisch herabschauten, gänzlich ruinirt und nur den Bestrebungen des Professors Balling, des Dr. Kreuzberg und Dotzauers gelang es, ihn wieder zu heben. Als aber die neutschechische Aera hereinbrach, ward er zum Schauplatz wüsten Sprachgezänkes. Tschechen, die mit den Gewerben gar nichts zu thun hatten, Advocaten, Redacteure u. s. w. traten massenhaft ein und vertrieben die Deutschen. Im Jahre 1846 wurde die Bürgerressourcc gegründet, die auch bald zum Heerde des Tschechenthums wurde. Auch hier mußten die Deutschen aus¬ treten; sie gewannen dafür an Selbständigkeit und gründeten im Jahre 1862 das deutsche Casino, welches jetzt über 1300 Mitglieder zählt, obgleich bei der Stiftung der provisorische Obmann Richard Dotzauer Mühe hatte Leute zu gewinnen, die offen Farbe bekannten. Aehnliche Zwistigkeiten entstanden im Stenographenverein; Deutsche und Tschechen trennten sich. Das akademische Leben der Studenten ist natürlich auch national gespalten; die deutschen Turner stehen dem tschechischen „Sokol" (Falke) gegenüber, welcher letztere in einer förmlichen Maskentracht: rothe Hemden, Pumphosen, ungarische Hüte und pol¬ nische Stiefel, paradirt. Endlich entpuppte sich der Männergescmgvercin zu einer tschechischen Beseda, während der deutsche Gesangverein dabei immer kräftig fortblüht. Was kann besser als diese Zersplitterung im Vereinsleben zeigen, wie heterogen die Elemente in Böhmen sind, wie schroff man sich gegenüber steht, und wie wenig an den Ausgleich zu denken ist? Aus dem prager Domcapitel sind die deutschen Geistlichen fast ganz ver¬ drängt, ohne daß der Erzbischof, welcher es mit den Tschechen hält, etwas dagegen that; im Landesausschuß sind sie in der Minderheit und können sicher sein, daß dort ihre Interessen nicht wahrgenommen werden. Am allerbetrübcndflen jedoch ist für uns das Vorgehen des prager Gemeinderaths, dessen Votum wir schon erwähnten „es gäbe in Prag keine deutschen Kinder". Als im Jahre 1861 auf Grund der provisorischen Gemeindeverfassung vom 27. April 1860 die Wahlen zu einem neuen Stadtverordnetencollegium ausgeschrieben wurden, bildeten manche, seitdem verschollene Herren, die in der handhaben Zeit mit Orden geschmückt worden waren, ein Wcchlcomit6 unter dem Namen „Liberale Verfassungsfreunde". Allein sie waren nichts weniger als liberal und fanden die Unterstützung der Deutschen nicht, deren hervorragendste Führer sie» damals mit den Tschechen verbanden, weil sie glaubten, in rei» städtischen Angelegen¬ heiten hätten nationale Fragen nichts zu schaffen. Die verbundene „Fortschritts- 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/315>, abgerufen am 28.07.2024.