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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der tschechischen Sprache eine notorische Thatsache. Aber alle Drei tragen deutsch
vor. Wäre das Bedürfniß so außerordentlich dringend und unaufschiebbar, so
würden unzweifelhaft jene zwei Professoren ihre Collegien in tschechischer Sprache
angekündigt haben." -- Dazu gesellt sich, daß eine tschechische wissenschaftliche
Literatur, welche zum Studium dient, überhaupt nicht vorhanden ist. und daß
Professoren sowohl wie Studenten zu deutschen Lehrmitteln greifen müssen.
Die Durchführung des Antrages wird aber nur auf Kosten der Sache, der
Gründlichkeit und Wissenschaft möglich; den Tschechen ist dies jedoch einerlei,
denn wenn sie erst das Uebergewicht erlangt haben, werden sie entweder die
Deutschen hinausdrängen oder ihnen das Leben an der Universität dermaßen
verleiden, daß diese selbst -- genau wie im Jahre 1409 -- ausziehen. Das
wird eintreten, sobald die prager Hochschule, die älteste Deutschlands, zu einer
bloßen Sprachlehranstalt degradirt ist, und daß dieses geschehe, dafür sorgt
Riegers Antrag, der in der milderen Form des thunschen Vermittlungsvorschlages
zur Annahme gelangte.

Da eine Hand die andere wäscht, so halfen die Tschechen den hohen Herren
wieder ein Jagdgesetz durchführen, welches ganz nach dem Herzen der letzteren
gerieth. Dagegen konnte die feudal-nationale Allianz nicht durchdringen, als
sie ein Dienstbotenprügelgesetz durchsetzen wollte, welches dem Geiste
des Jahrhunderts offen ins Gesicht schlug. Nicht erwähnt zu werden braucht,
wie in beiden Fällen die deutsche Partei die Sache des Fortschritts und der
Civilisation vertrat.

Deutsche Partei! Wer wußte von einer solchen im Jahre 1860 etwas
in Böhmen? War man doch gewohnt, dort nur "Oestreicher" zu finden, welche
die politische Schlafmütze über die Ohren gezogen hatten und den Tschechen
leichtes Spiel bereiteten. Fanden sich doch zu den frankfurter Parlaments-
wahlen in Prag -- drei Deutsche ein und hatten die Tschechen nicht Recht, als
sie jubelten: In Prag giebt es nur drei Deutsche, wo sind die S0,000, von
denen ihr fabelt?! Heute aber entrollt sich ein anderes Bild. Fest und ge¬
schlossen, parlamentarisch wohl disciplinirt. stehen jetzt die Deutschböhmcn den
Tschechen gegenüber, ihre Führer sind tüchtige Männer, und das allgemein
deutsche Stammesbewußtsein hat sich mächtig gehoben. Heute befindet sich der
Deutschböhme in scharfer Opposition gegen das östreichische Ministerium.' und
Dank diesem, sowie dem maßlosen Treiben der Tschechen, wird die Liebe zur
großen Mutternation, die Hinneigung zu Deutschland von Tage zu Tage leben¬
diger. Der politische Standpunkt des Deutschböhmen ist die jetzt sistirte Februar¬
verfassung, er verkennt keineswegs deren große Mängel, er meint aber, daß sie
das einzige Mittel ist, um die Deutschen des Kaiserstaates zusammenzuhalten,
diesen in den westlichen Provinzen der Monarchie das ihnen gebührende Ueber¬
gewicht zu verschaffen und so den deutsch- und culturfeindlichen Bestrebungen


der tschechischen Sprache eine notorische Thatsache. Aber alle Drei tragen deutsch
vor. Wäre das Bedürfniß so außerordentlich dringend und unaufschiebbar, so
würden unzweifelhaft jene zwei Professoren ihre Collegien in tschechischer Sprache
angekündigt haben." — Dazu gesellt sich, daß eine tschechische wissenschaftliche
Literatur, welche zum Studium dient, überhaupt nicht vorhanden ist. und daß
Professoren sowohl wie Studenten zu deutschen Lehrmitteln greifen müssen.
Die Durchführung des Antrages wird aber nur auf Kosten der Sache, der
Gründlichkeit und Wissenschaft möglich; den Tschechen ist dies jedoch einerlei,
denn wenn sie erst das Uebergewicht erlangt haben, werden sie entweder die
Deutschen hinausdrängen oder ihnen das Leben an der Universität dermaßen
verleiden, daß diese selbst — genau wie im Jahre 1409 — ausziehen. Das
wird eintreten, sobald die prager Hochschule, die älteste Deutschlands, zu einer
bloßen Sprachlehranstalt degradirt ist, und daß dieses geschehe, dafür sorgt
Riegers Antrag, der in der milderen Form des thunschen Vermittlungsvorschlages
zur Annahme gelangte.

Da eine Hand die andere wäscht, so halfen die Tschechen den hohen Herren
wieder ein Jagdgesetz durchführen, welches ganz nach dem Herzen der letzteren
gerieth. Dagegen konnte die feudal-nationale Allianz nicht durchdringen, als
sie ein Dienstbotenprügelgesetz durchsetzen wollte, welches dem Geiste
des Jahrhunderts offen ins Gesicht schlug. Nicht erwähnt zu werden braucht,
wie in beiden Fällen die deutsche Partei die Sache des Fortschritts und der
Civilisation vertrat.

Deutsche Partei! Wer wußte von einer solchen im Jahre 1860 etwas
in Böhmen? War man doch gewohnt, dort nur „Oestreicher" zu finden, welche
die politische Schlafmütze über die Ohren gezogen hatten und den Tschechen
leichtes Spiel bereiteten. Fanden sich doch zu den frankfurter Parlaments-
wahlen in Prag — drei Deutsche ein und hatten die Tschechen nicht Recht, als
sie jubelten: In Prag giebt es nur drei Deutsche, wo sind die S0,000, von
denen ihr fabelt?! Heute aber entrollt sich ein anderes Bild. Fest und ge¬
schlossen, parlamentarisch wohl disciplinirt. stehen jetzt die Deutschböhmcn den
Tschechen gegenüber, ihre Führer sind tüchtige Männer, und das allgemein
deutsche Stammesbewußtsein hat sich mächtig gehoben. Heute befindet sich der
Deutschböhme in scharfer Opposition gegen das östreichische Ministerium.' und
Dank diesem, sowie dem maßlosen Treiben der Tschechen, wird die Liebe zur
großen Mutternation, die Hinneigung zu Deutschland von Tage zu Tage leben¬
diger. Der politische Standpunkt des Deutschböhmen ist die jetzt sistirte Februar¬
verfassung, er verkennt keineswegs deren große Mängel, er meint aber, daß sie
das einzige Mittel ist, um die Deutschen des Kaiserstaates zusammenzuhalten,
diesen in den westlichen Provinzen der Monarchie das ihnen gebührende Ueber¬
gewicht zu verschaffen und so den deutsch- und culturfeindlichen Bestrebungen


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[0312] der tschechischen Sprache eine notorische Thatsache. Aber alle Drei tragen deutsch vor. Wäre das Bedürfniß so außerordentlich dringend und unaufschiebbar, so würden unzweifelhaft jene zwei Professoren ihre Collegien in tschechischer Sprache angekündigt haben." — Dazu gesellt sich, daß eine tschechische wissenschaftliche Literatur, welche zum Studium dient, überhaupt nicht vorhanden ist. und daß Professoren sowohl wie Studenten zu deutschen Lehrmitteln greifen müssen. Die Durchführung des Antrages wird aber nur auf Kosten der Sache, der Gründlichkeit und Wissenschaft möglich; den Tschechen ist dies jedoch einerlei, denn wenn sie erst das Uebergewicht erlangt haben, werden sie entweder die Deutschen hinausdrängen oder ihnen das Leben an der Universität dermaßen verleiden, daß diese selbst — genau wie im Jahre 1409 — ausziehen. Das wird eintreten, sobald die prager Hochschule, die älteste Deutschlands, zu einer bloßen Sprachlehranstalt degradirt ist, und daß dieses geschehe, dafür sorgt Riegers Antrag, der in der milderen Form des thunschen Vermittlungsvorschlages zur Annahme gelangte. Da eine Hand die andere wäscht, so halfen die Tschechen den hohen Herren wieder ein Jagdgesetz durchführen, welches ganz nach dem Herzen der letzteren gerieth. Dagegen konnte die feudal-nationale Allianz nicht durchdringen, als sie ein Dienstbotenprügelgesetz durchsetzen wollte, welches dem Geiste des Jahrhunderts offen ins Gesicht schlug. Nicht erwähnt zu werden braucht, wie in beiden Fällen die deutsche Partei die Sache des Fortschritts und der Civilisation vertrat. Deutsche Partei! Wer wußte von einer solchen im Jahre 1860 etwas in Böhmen? War man doch gewohnt, dort nur „Oestreicher" zu finden, welche die politische Schlafmütze über die Ohren gezogen hatten und den Tschechen leichtes Spiel bereiteten. Fanden sich doch zu den frankfurter Parlaments- wahlen in Prag — drei Deutsche ein und hatten die Tschechen nicht Recht, als sie jubelten: In Prag giebt es nur drei Deutsche, wo sind die S0,000, von denen ihr fabelt?! Heute aber entrollt sich ein anderes Bild. Fest und ge¬ schlossen, parlamentarisch wohl disciplinirt. stehen jetzt die Deutschböhmcn den Tschechen gegenüber, ihre Führer sind tüchtige Männer, und das allgemein deutsche Stammesbewußtsein hat sich mächtig gehoben. Heute befindet sich der Deutschböhme in scharfer Opposition gegen das östreichische Ministerium.' und Dank diesem, sowie dem maßlosen Treiben der Tschechen, wird die Liebe zur großen Mutternation, die Hinneigung zu Deutschland von Tage zu Tage leben¬ diger. Der politische Standpunkt des Deutschböhmen ist die jetzt sistirte Februar¬ verfassung, er verkennt keineswegs deren große Mängel, er meint aber, daß sie das einzige Mittel ist, um die Deutschen des Kaiserstaates zusammenzuhalten, diesen in den westlichen Provinzen der Monarchie das ihnen gebührende Ueber¬ gewicht zu verschaffen und so den deutsch- und culturfeindlichen Bestrebungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/312>, abgerufen am 28.07.2024.