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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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nur eine sehr junge Literatur, und wenn man daran das Urtheil des deutschen
Tschechomanen I. Wenzig anschließt, "daß die Deutschen nur eine gute Ueber¬
setzungsliteratur hätten", -- Worte gesprochen im böhmischen Landtage --
so kann man sich ungefähr eine Vorstellung machen, mit welcher erhabenen
Geringschätzung die erleuchtete tschechische Nation auf uns Halbbarbaren
herabblickt.

Nachdem die Tschechen ihre Sprache wieder in die Literatur eingeführt
hatten, strebten sie weiter. Es galt nun, deren Anerkennung im öffentlichen
Leben durchzusetzen, sie sollte in Schule und Amt eingeführt werden, man ver¬
langte -- und wer könnte hiergegen viel einwenden? -- die volle Gleich¬
berechtigung. Man minirte nach allen Seiten, verschmähte kein Agitations¬
mittel, gehorchte blindlings den Führern und gelangte so wirklich zum Ziele.
Allmälig machte man auf diese Weise den Uebergang zum politischen Gebiete,
und der Erfolg ward noch dadurch erleichtert, daß einmal die Regierung alle
diese Bestrebungen als durchaus harmlos ansah, andrerseits jedoch von einer
deutschen Partei keine Rede war, die den Ausschreitungen der Tschechen, welche
bereits vorkamen, hätte entgegentreten können. Die Deutschen sahen ruhig zu,
ja manche begeisterten sich sogar an dem romantischen Schimmer der tschechischen
Vergangenheit, und so erblicken wir denn die talentvollsten und tüchtigsten
Deutschböhmen ganz gemüthlich kosmopolitisch mitten im Fahrwasser des
Tschechenthums schwimmen. Damals dichtete Karl Egon Ebert seine "Wlasta",
Meißner den "Zizka" und Moritz Hartmann "Kelch und Schwert"; an den
Uebersetzungen derselben erbaut sich der Tscheche von heute und findet darin Nah¬
rung für seine patriotischen Gefühle.

Mit dem Jahre 1848 traten die Tschechen offen und zum ersten Male als
politische Partei auf, und das Programm, welches sie damals aufstellten, halten
sie noch heute fest; zäh und voller Ausdauer arbeiten sie daran, und man muß
gestehen, sie sind der Verwirklichung ein gutes Stück näher gerückt. Die
Wiederherstellung des autonomen tschechischen Reiches, der Korung, posta,, das
war das Ziel, das man sich damals steckte, und in diesem Zeichen wollten sie,
wie ihre Phraseurs renommirten, siegen oder untergehen. Zunächst galt es, den
Nachweis für die historische Berechtigung zu liefern, und dabei ging man nicht '
besonders scrupulös zu Werke. Palacky zeigte, wie Böhmen mit Deutschland
nichts zu schaffen habe, wie die Einverleibung desselben i" den deutschen Bund
widerrechtlich sei, und wie höchstens internationale Beziehungen zwischen beiden
Reichen stattfinden könnten. Man forderte nun eine Vereinigung Böhmens,
Mährens und Schlesiens, ja man machte seine Rechte auf die Lausitz geltend.
Dabei hatten die Tschechen die Absicht, ihre Nationalität zu einer festen Masse
zu vereinigen und die Deutschen zu majorisiren, zu beherrschen und allmälig zu
tschechisiren. Alles wurde mit trefflichen Gründen belegt und der "Vater der


nur eine sehr junge Literatur, und wenn man daran das Urtheil des deutschen
Tschechomanen I. Wenzig anschließt, „daß die Deutschen nur eine gute Ueber¬
setzungsliteratur hätten", — Worte gesprochen im böhmischen Landtage —
so kann man sich ungefähr eine Vorstellung machen, mit welcher erhabenen
Geringschätzung die erleuchtete tschechische Nation auf uns Halbbarbaren
herabblickt.

Nachdem die Tschechen ihre Sprache wieder in die Literatur eingeführt
hatten, strebten sie weiter. Es galt nun, deren Anerkennung im öffentlichen
Leben durchzusetzen, sie sollte in Schule und Amt eingeführt werden, man ver¬
langte — und wer könnte hiergegen viel einwenden? — die volle Gleich¬
berechtigung. Man minirte nach allen Seiten, verschmähte kein Agitations¬
mittel, gehorchte blindlings den Führern und gelangte so wirklich zum Ziele.
Allmälig machte man auf diese Weise den Uebergang zum politischen Gebiete,
und der Erfolg ward noch dadurch erleichtert, daß einmal die Regierung alle
diese Bestrebungen als durchaus harmlos ansah, andrerseits jedoch von einer
deutschen Partei keine Rede war, die den Ausschreitungen der Tschechen, welche
bereits vorkamen, hätte entgegentreten können. Die Deutschen sahen ruhig zu,
ja manche begeisterten sich sogar an dem romantischen Schimmer der tschechischen
Vergangenheit, und so erblicken wir denn die talentvollsten und tüchtigsten
Deutschböhmen ganz gemüthlich kosmopolitisch mitten im Fahrwasser des
Tschechenthums schwimmen. Damals dichtete Karl Egon Ebert seine „Wlasta",
Meißner den „Zizka" und Moritz Hartmann „Kelch und Schwert"; an den
Uebersetzungen derselben erbaut sich der Tscheche von heute und findet darin Nah¬
rung für seine patriotischen Gefühle.

Mit dem Jahre 1848 traten die Tschechen offen und zum ersten Male als
politische Partei auf, und das Programm, welches sie damals aufstellten, halten
sie noch heute fest; zäh und voller Ausdauer arbeiten sie daran, und man muß
gestehen, sie sind der Verwirklichung ein gutes Stück näher gerückt. Die
Wiederherstellung des autonomen tschechischen Reiches, der Korung, posta,, das
war das Ziel, das man sich damals steckte, und in diesem Zeichen wollten sie,
wie ihre Phraseurs renommirten, siegen oder untergehen. Zunächst galt es, den
Nachweis für die historische Berechtigung zu liefern, und dabei ging man nicht '
besonders scrupulös zu Werke. Palacky zeigte, wie Böhmen mit Deutschland
nichts zu schaffen habe, wie die Einverleibung desselben i« den deutschen Bund
widerrechtlich sei, und wie höchstens internationale Beziehungen zwischen beiden
Reichen stattfinden könnten. Man forderte nun eine Vereinigung Böhmens,
Mährens und Schlesiens, ja man machte seine Rechte auf die Lausitz geltend.
Dabei hatten die Tschechen die Absicht, ihre Nationalität zu einer festen Masse
zu vereinigen und die Deutschen zu majorisiren, zu beherrschen und allmälig zu
tschechisiren. Alles wurde mit trefflichen Gründen belegt und der „Vater der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/308>, abgerufen am 28.07.2024.