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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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jeden Nerv auf die Wiedervereinigung dieser beiden Länder in feste und unab¬
hängige Reiche gespannt sein!" Ein selbständiges Deutschland war damals, wie
heute, nur unter Preußen möglich, die Bildung eines neuen großen deutschen
Staates konnte jene Vereinigung nur erschweren und Preußen aus seiner früher
innegehabten Stellung und Bedeutung verdrängen. Diese größern politischen
und preußischen Gedanken traten aber bei Gneisenau zurück, um seinem Project
vorwärts zu helfen; das welfische Reich sollte nur als Lockvogel dienen, um
Norddeutschland zum Kriegsschauplatz der britischen Negierung zu machen. Aber
diese zog es vor, ihre Mittel und Kräfte dahin zu werfen, wo schon Thaten eine
Wahrscheinlichkeit des Erfolges sicherten. Sie gewährte Spanien gegen Gneisenaus
Rath immer neue Streitkräfte und unterstützte Rußland von dem Augenblick an,
wo es sich in seinem Widerstand gegen Napoleon kräftig erwies. Auch Preußen
erhielt Munition, Gewehre und Ausrüstungsgegenstände, sobald es sich nach der
Convention von Tauroggen zum Kampfe erhob. Dem Kronprinzen von
Schweden wurden Subsidien zum Kriege in Deutschland zugesagt und die in
Rußland aus Kriegsgefangenen und Ucberläufern formirte russisch-deutsche Legion
versprach England in Sold zu nehmen. Gneisenaus Projecte aber blieben un¬
ausgeführt. Diese praktische Disposition über die Mittel der britischen Regie¬
rung hätte man Gneisenau für seine Handlungsweise damals als Norm em¬
pfehlen können. Er opferte zur Zeit alle seine alten Verbindungen, durch welche
allein er zur Sache wirken konnte und setzte seine Kräfte an die Durchführung
von Projecten. welche nur in ihm selber fundirt waren. Zu seinen alten Ver¬
bindungen müssen wir einerseits seine, bei der Abreise gegen den König von
Preußen durch Annahme der Geldmittel übernommene Verpflichtung rechnen,
von deren Vernachlässigung wir schon gesprochen, und andrerseits das Band
erkennen, welches er mit allen jenen Männern geflochten hatte, die gleich ihm
die Befreiung Preußens durch das Volk erstrebt und gleich ihm dies Land ver¬
lassen hatten, als der König das Bündniß mit Napoleon schloß. -- Diese hatten
sich zum großen Theil an dem Kriege in Rußland betheiligt und waren zur
Bildung der russisch-deutschen Legion verwandt. Sie verlangten Gneisenau als
Führer, nachdem er in London die Existenz der Legion durch die englische Regie¬
rung gesichert hätte. Das Letztere veranlaßte Gneisenau, zu dem Erstem konnte
er sich nicht entschließen, und während der Krieg in Nußland in seiner ganzen
Schärfe entbrannte, der Thron Napoleons in seinen Fugen zu erzittern begann
und die entschiedene Handlung Yorks den König von Preußen zur Entscheidung
drängte, politisirte Gneisenau in London und lebte seiner etwas wankend ge-
Wordenen Gesundheit in einem kleinen Bade Buxton. -- Stein schreibt ihm
denn auch: "In wenigen Monaten steht die russische Armee wenigstens zwischen
Oder und Elbe, besetzt und formirt das nördliche Deutschland zum Kampf gegen
Frankreich, und Ew. Hochwohlgeboren sind in Buxton? Eilen sicher, ich bitte


jeden Nerv auf die Wiedervereinigung dieser beiden Länder in feste und unab¬
hängige Reiche gespannt sein!" Ein selbständiges Deutschland war damals, wie
heute, nur unter Preußen möglich, die Bildung eines neuen großen deutschen
Staates konnte jene Vereinigung nur erschweren und Preußen aus seiner früher
innegehabten Stellung und Bedeutung verdrängen. Diese größern politischen
und preußischen Gedanken traten aber bei Gneisenau zurück, um seinem Project
vorwärts zu helfen; das welfische Reich sollte nur als Lockvogel dienen, um
Norddeutschland zum Kriegsschauplatz der britischen Negierung zu machen. Aber
diese zog es vor, ihre Mittel und Kräfte dahin zu werfen, wo schon Thaten eine
Wahrscheinlichkeit des Erfolges sicherten. Sie gewährte Spanien gegen Gneisenaus
Rath immer neue Streitkräfte und unterstützte Rußland von dem Augenblick an,
wo es sich in seinem Widerstand gegen Napoleon kräftig erwies. Auch Preußen
erhielt Munition, Gewehre und Ausrüstungsgegenstände, sobald es sich nach der
Convention von Tauroggen zum Kampfe erhob. Dem Kronprinzen von
Schweden wurden Subsidien zum Kriege in Deutschland zugesagt und die in
Rußland aus Kriegsgefangenen und Ucberläufern formirte russisch-deutsche Legion
versprach England in Sold zu nehmen. Gneisenaus Projecte aber blieben un¬
ausgeführt. Diese praktische Disposition über die Mittel der britischen Regie¬
rung hätte man Gneisenau für seine Handlungsweise damals als Norm em¬
pfehlen können. Er opferte zur Zeit alle seine alten Verbindungen, durch welche
allein er zur Sache wirken konnte und setzte seine Kräfte an die Durchführung
von Projecten. welche nur in ihm selber fundirt waren. Zu seinen alten Ver¬
bindungen müssen wir einerseits seine, bei der Abreise gegen den König von
Preußen durch Annahme der Geldmittel übernommene Verpflichtung rechnen,
von deren Vernachlässigung wir schon gesprochen, und andrerseits das Band
erkennen, welches er mit allen jenen Männern geflochten hatte, die gleich ihm
die Befreiung Preußens durch das Volk erstrebt und gleich ihm dies Land ver¬
lassen hatten, als der König das Bündniß mit Napoleon schloß. — Diese hatten
sich zum großen Theil an dem Kriege in Rußland betheiligt und waren zur
Bildung der russisch-deutschen Legion verwandt. Sie verlangten Gneisenau als
Führer, nachdem er in London die Existenz der Legion durch die englische Regie¬
rung gesichert hätte. Das Letztere veranlaßte Gneisenau, zu dem Erstem konnte
er sich nicht entschließen, und während der Krieg in Nußland in seiner ganzen
Schärfe entbrannte, der Thron Napoleons in seinen Fugen zu erzittern begann
und die entschiedene Handlung Yorks den König von Preußen zur Entscheidung
drängte, politisirte Gneisenau in London und lebte seiner etwas wankend ge-
Wordenen Gesundheit in einem kleinen Bade Buxton. -- Stein schreibt ihm
denn auch: „In wenigen Monaten steht die russische Armee wenigstens zwischen
Oder und Elbe, besetzt und formirt das nördliche Deutschland zum Kampf gegen
Frankreich, und Ew. Hochwohlgeboren sind in Buxton? Eilen sicher, ich bitte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/291>, abgerufen am 01.09.2024.