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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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bilden, muß ein Mann von hohem Ansehen und der die Angelegenheiten Eng¬
lands und des Festlands gründlich kennt, dahin gesandt werden."

Der Krieg in Spanien ist eine Zersplitterung, eine Landung in Deutsch¬
land ist eine Vereinigung aller disponibeln Streitkräfte. Die Deutschen, "durch
ihre Fürsten selbst, in die sie am meisten Vertrauen setzten, in Eisen gehalten,
hatten fast die Hoffnung der Befreiung verloren. Ein Hoffnungsstrahl wird
ihnen das Vertrauen zurückgeben."

"Wenn die Negierung dieses französischen Kaisers, welche auf Lüge, Kühn¬
heit und dem erstaunlichsten Glück beruht, einzustürzen beginnt, so würde es
zweckmäßig sein, Moreau herbeizurufen, um unter ihm die französischen Truppen
herbeizuziehen und zu bilden. Nach allen Erkundigungen ist seine Partei in
Frankreich immer noch sehr zahlreich. Keinen halben Erfolg! Die Waffen
nicht eher niedergelegt, als bis dieser Usurpator ausgerottet ist, das ist das Ziel,
welches uns die wahre Politik zeigt."

Diese Denkschrift schrieb Gneisenau im August 1812. als Napoleon auf
dem Gipfel seiner Macht und an der Spitze des größten Heeres, welches die
Geschichte der neuern Zeit kennt, stand. -- Durchaus klar und richtig beur¬
theilte Gneisenau die Natur der Macht Napoleons. Seinen Ausspruch über
den Kaiser Alexander haben die Ereignisse widerlegt; er vergaß, daß die Hand¬
lungen der Fürsten ein Product des eigenen Willens und des Charakters ihres
Volkes sind. Im Jahre 1812 aber wurde die Eitelkeit und die phantastische
Natur Alexanders durch den Fanatismus der Russen zu einer Thatkraft geho¬
ben, welche weit von seiner eigensten Persönlichkeit weglag. Der aus dem
Volle angefachte Brand von Moskau sprach so laut die Losung dieses Feld¬
zuges, welche Gneisenau forderte "lieber alles verlieren, als mich ergeben",
daß der russische Kaiser gar nicht anders handeln konnte, als er gethan. Na¬
poleon unterlag nicht den Fürsten, sondern den Völkern. Erzherzog Karl hatte
Gneisenau in Wien gesagt: die Welt könne nur durch Männer, nicht im Für¬
stenstand geboren, gerettet werden. Vielleicht führte diese Reflexion zu der oben
ausgesprochenen, großen Bewunderung Gneisenaus für den Kronprinzen von
Schweden, von welcher er später übrigens sehr rasch abkam, indem Gneisenau
dessen immer schlauberechnenden Charakter und Komödiantennatur bald erkannte.
Die nächste .Zukunft bewies schon, daß es Bernadotte allein auf die Eroberung
Norwegens ankam und er den Krieg in Deutschland nur als ungewisses Pfand,
nur als wohl zu umgehendes Versprechen ansah. --

Auffallend ist, daß Gneisenau wieder das welfische Reich in Deutschland
projectirte. Ein Hannoveraner Ompteda, der ihn bei dieser Arbeit betroffen
hatte, schrieb ihm: "Können Sie für einen Abschnitt Ihrer wichtigen Arbeit
folgendes Thema brauchen: Die Theilung Deutschlands und Italiens in kleine
Staaten ist stets die wahre Ursache der Größe Frankreichs gewesen, also: laß


bilden, muß ein Mann von hohem Ansehen und der die Angelegenheiten Eng¬
lands und des Festlands gründlich kennt, dahin gesandt werden."

Der Krieg in Spanien ist eine Zersplitterung, eine Landung in Deutsch¬
land ist eine Vereinigung aller disponibeln Streitkräfte. Die Deutschen, „durch
ihre Fürsten selbst, in die sie am meisten Vertrauen setzten, in Eisen gehalten,
hatten fast die Hoffnung der Befreiung verloren. Ein Hoffnungsstrahl wird
ihnen das Vertrauen zurückgeben."

„Wenn die Negierung dieses französischen Kaisers, welche auf Lüge, Kühn¬
heit und dem erstaunlichsten Glück beruht, einzustürzen beginnt, so würde es
zweckmäßig sein, Moreau herbeizurufen, um unter ihm die französischen Truppen
herbeizuziehen und zu bilden. Nach allen Erkundigungen ist seine Partei in
Frankreich immer noch sehr zahlreich. Keinen halben Erfolg! Die Waffen
nicht eher niedergelegt, als bis dieser Usurpator ausgerottet ist, das ist das Ziel,
welches uns die wahre Politik zeigt."

Diese Denkschrift schrieb Gneisenau im August 1812. als Napoleon auf
dem Gipfel seiner Macht und an der Spitze des größten Heeres, welches die
Geschichte der neuern Zeit kennt, stand. — Durchaus klar und richtig beur¬
theilte Gneisenau die Natur der Macht Napoleons. Seinen Ausspruch über
den Kaiser Alexander haben die Ereignisse widerlegt; er vergaß, daß die Hand¬
lungen der Fürsten ein Product des eigenen Willens und des Charakters ihres
Volkes sind. Im Jahre 1812 aber wurde die Eitelkeit und die phantastische
Natur Alexanders durch den Fanatismus der Russen zu einer Thatkraft geho¬
ben, welche weit von seiner eigensten Persönlichkeit weglag. Der aus dem
Volle angefachte Brand von Moskau sprach so laut die Losung dieses Feld¬
zuges, welche Gneisenau forderte „lieber alles verlieren, als mich ergeben",
daß der russische Kaiser gar nicht anders handeln konnte, als er gethan. Na¬
poleon unterlag nicht den Fürsten, sondern den Völkern. Erzherzog Karl hatte
Gneisenau in Wien gesagt: die Welt könne nur durch Männer, nicht im Für¬
stenstand geboren, gerettet werden. Vielleicht führte diese Reflexion zu der oben
ausgesprochenen, großen Bewunderung Gneisenaus für den Kronprinzen von
Schweden, von welcher er später übrigens sehr rasch abkam, indem Gneisenau
dessen immer schlauberechnenden Charakter und Komödiantennatur bald erkannte.
Die nächste .Zukunft bewies schon, daß es Bernadotte allein auf die Eroberung
Norwegens ankam und er den Krieg in Deutschland nur als ungewisses Pfand,
nur als wohl zu umgehendes Versprechen ansah. —

Auffallend ist, daß Gneisenau wieder das welfische Reich in Deutschland
projectirte. Ein Hannoveraner Ompteda, der ihn bei dieser Arbeit betroffen
hatte, schrieb ihm: „Können Sie für einen Abschnitt Ihrer wichtigen Arbeit
folgendes Thema brauchen: Die Theilung Deutschlands und Italiens in kleine
Staaten ist stets die wahre Ursache der Größe Frankreichs gewesen, also: laß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/290>, abgerufen am 01.09.2024.