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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Wochen nieder. Aber die florentiner Regierung, die theils wegen ihrer noch
nicht völlig gesicherten Stellung, theils wegen ihrer Verpflichtung, auf die West¬
mächte Rücksicht zu nehmen, noch nicht recht Herrin im eignen Hause ist, und
die als konstitutionelle nicht zu so energischen Mitteln greisen kann, wie ein
Alleinherrscher mit dictatonschcr Macht, muß davon absehn. AIs sie 1861 einen
Versuch machte, Energie zu brauchen, und der General Pinelli, einer der besten
Offiziere der italienischen Armee, das Werk der Ausrottung der Räuber in dem¬
selben Stil begann, wie Manhös, jammerte sofort die französische und englische
Diplomatie in allen Tonarten, und der General wurde zurückberufen. Wäre
Leben und Habe der Menschenfreunde in Paris und London ebenso in Gefahr
gewesen, wie das der Bewohner von Foggia, Avellino und andrer Ortschaften,
welche die Bngantcn überfielen, sie würden an Pincius Methode nicht den
geringsten Anstoß genommen haben, zumal da es von Erfolg war und einige
wenige rücksichtslos vollstreckte Füsilladen die Ergebung Hunderter von Raub¬
mördern bewirkten.

Wie die Dinge liegen, muß die Negierung wenigstens darauf bedacht sein,
das Gute, was dieses Uebel wie alle andern hat, nutzbar zu machen, und indem
sie ihrer jungen Armee in der Unterdrückung des Brigantaccio Gelegenheit
bietet, sich für die großen Kämpfe der Zukunft heranzubilden, gleichsam die
Interessen des vernichteten Capitals zurückzugewinnen. Haben diese Verfolgungen
von Räuberbanden auch nicht ganz den Werth der Uebung, welche dem fran¬
zösischen Heere die Kriege mit den Beduinen und Kabylen Algeriens bieten, so
haben sie doch den großen Vortheil, daß die unaufhörliche Bewegung die Mann¬
schaft stählt, daß die Ertragung gemeinsamer Strapatzcn und Gefahren den
Corpsgeist im Heere weit mehr kräftigt als der bloße einförmige Garnisonsdienst,
und daß nach und nach die ganze Armee jene praktische Schule des kleinen
Kriegs durchmacht, die für den Gemeinen und den niedern Offizier der wichtigste
Theil der Kriegskunst ist.

Wie in Frankreich, so kennt auch in Italien das Heer seine Bedeutung
und die Aufgabe, die es zu lösen hat, und wie der italienische Soldat, so weiß
auch das italienische Volk, daß die Stütze und Hoffnung des neuen Königreichs
vor allem das Heer ist, und daß Italien trotz aller freiheitlichen Institutionen
einer höchst ungewissen Zukunft entgegensehen müßte, wenn es nicht eine achtung¬
gebietende Kriegsmacht besäße. Hinsichtlich der Stellung des Heeres aber zu
den innern politischen Fragen hält die Armee, wie sie bei Aspromonte und bei
den Septemberereignissen in Turin gezeigt hat, treu zu der Negierung. "Das
constitutionelle Gefühl," sagt der Verfasser unsrer Schrift, "erfüllt die Armee
in Italien in demselben Maße, wie die übrigen Schichten des Volks; denn jeder¬
mann sieht ein, daß die Einheit nur auf diesem Wege zu erreichen ist. Im
gegenwärtigen Moment schließt sich daher jeder aufrichtig oder wenigstens den


Wochen nieder. Aber die florentiner Regierung, die theils wegen ihrer noch
nicht völlig gesicherten Stellung, theils wegen ihrer Verpflichtung, auf die West¬
mächte Rücksicht zu nehmen, noch nicht recht Herrin im eignen Hause ist, und
die als konstitutionelle nicht zu so energischen Mitteln greisen kann, wie ein
Alleinherrscher mit dictatonschcr Macht, muß davon absehn. AIs sie 1861 einen
Versuch machte, Energie zu brauchen, und der General Pinelli, einer der besten
Offiziere der italienischen Armee, das Werk der Ausrottung der Räuber in dem¬
selben Stil begann, wie Manhös, jammerte sofort die französische und englische
Diplomatie in allen Tonarten, und der General wurde zurückberufen. Wäre
Leben und Habe der Menschenfreunde in Paris und London ebenso in Gefahr
gewesen, wie das der Bewohner von Foggia, Avellino und andrer Ortschaften,
welche die Bngantcn überfielen, sie würden an Pincius Methode nicht den
geringsten Anstoß genommen haben, zumal da es von Erfolg war und einige
wenige rücksichtslos vollstreckte Füsilladen die Ergebung Hunderter von Raub¬
mördern bewirkten.

Wie die Dinge liegen, muß die Negierung wenigstens darauf bedacht sein,
das Gute, was dieses Uebel wie alle andern hat, nutzbar zu machen, und indem
sie ihrer jungen Armee in der Unterdrückung des Brigantaccio Gelegenheit
bietet, sich für die großen Kämpfe der Zukunft heranzubilden, gleichsam die
Interessen des vernichteten Capitals zurückzugewinnen. Haben diese Verfolgungen
von Räuberbanden auch nicht ganz den Werth der Uebung, welche dem fran¬
zösischen Heere die Kriege mit den Beduinen und Kabylen Algeriens bieten, so
haben sie doch den großen Vortheil, daß die unaufhörliche Bewegung die Mann¬
schaft stählt, daß die Ertragung gemeinsamer Strapatzcn und Gefahren den
Corpsgeist im Heere weit mehr kräftigt als der bloße einförmige Garnisonsdienst,
und daß nach und nach die ganze Armee jene praktische Schule des kleinen
Kriegs durchmacht, die für den Gemeinen und den niedern Offizier der wichtigste
Theil der Kriegskunst ist.

Wie in Frankreich, so kennt auch in Italien das Heer seine Bedeutung
und die Aufgabe, die es zu lösen hat, und wie der italienische Soldat, so weiß
auch das italienische Volk, daß die Stütze und Hoffnung des neuen Königreichs
vor allem das Heer ist, und daß Italien trotz aller freiheitlichen Institutionen
einer höchst ungewissen Zukunft entgegensehen müßte, wenn es nicht eine achtung¬
gebietende Kriegsmacht besäße. Hinsichtlich der Stellung des Heeres aber zu
den innern politischen Fragen hält die Armee, wie sie bei Aspromonte und bei
den Septemberereignissen in Turin gezeigt hat, treu zu der Negierung. „Das
constitutionelle Gefühl," sagt der Verfasser unsrer Schrift, „erfüllt die Armee
in Italien in demselben Maße, wie die übrigen Schichten des Volks; denn jeder¬
mann sieht ein, daß die Einheit nur auf diesem Wege zu erreichen ist. Im
gegenwärtigen Moment schließt sich daher jeder aufrichtig oder wenigstens den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/284>, abgerufen am 28.07.2024.