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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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§. 2. daß alle königlichen Diener nicht weiter ihren Dienst in der vom Feinde
besetzten Provinz fortsetzen, sondern an die Spitze der Jnsmrection treten. Alle
Beamte können nie Sr. Majestät wieder dienen, wenn sie unter dem Feinde
ihren Dienst fortgesetzt haben.

Bemerkung des Königs: "Wer wird diesen Wirrwarr dirigiren können und
wollen?"

Gneisenau. "Der Feind mag sehen, wie er Ordnung hinein bringe."

Die Bemerkung des Königs erinnert an den Ausspruch: Ruhe ist die
erste Bürgerpflicht.

An obige Instruction schlössen sich noch mehre andere, und Gneisenau
drang vor allen Dingen darauf, daß der König sie möglichst bald genehmige,
damit die für den Aufstand nothwendigen Vorbereitungen fertig seien, wenn
die Franzosen zur Vergewaltigung des Landes schritten. Der König aber wollte
nur die Anlage der befestigten Lager zur Aufnahme, der stehenden Armee bei
den Festungen gestatten, sich aber aller Maßregeln enthalten, welche den Stempel
der Nothwehr trugen. Der König wollte aus GewissenSrücksichten und im
Gefühl der eigenen Schwäche nicht Angreifender sein und gab damit Napoleon
volle Zeit, seine Vorbereitungen ruhig zu treffen und im Augenblick der Hand¬
lung mit seinen überwältigenden Mitteln Preußen einfach zu erdrücken. Ja als
im Laufe der sich immer hinziehenden Verhandlungen um ein Bündniß mit
Frankreich Napoleon die Arbeiten an den Festungen verbot, folgte der König
auch darin, und ging sogar so weit, daß er Blücher, der bei Kolberg comman-
dirte und munter hatte fortarbeiten lassen, vom dortigen Kommando entband
und an seine Stelle den schwachen Tauentzicn setzte, der die Carnevalsfreuden
in den französischen Kreisen Berlins dem Ausenthalt auf seinem Posten weit
vorzog und sich um die Erhaltung der Streitkräfte weiter gar nicht bekümmerte.

Auf Kolberg und Spandau hatte Gneisenau sein besonderes Augenmerk
geworfen, auf das erstere, weil es der Verbindungspunkt mit dem stets zur
Hilfe bereiten England war und dann, weil es eine Flankenstellung gegen die
eventuell von Küstrin und Stettin aus, die uoch in französischen Händen waren,
nach Osten vordringenden feindlichen Colonnen gewährte. Auf Spandau aber,
weil es Berlin beherrschte, alle dort aufgehäuften Materialien aufnehmen konnte
und weil es am weitesten gegen Westen gelegen, durch seinen Widerstand am
meisten deckend wirkte und revolutionäre Kräfte aus dem übrigen Deutschland
heranziehen konnte. Auf Schlesien, als die isolirteste und an sich widerstands¬
fähigste Provinz legte Gneisenau dagegen einen geringern Werth. Für Kolberg
war der in jeder Beziehung zuverlässige Blücher ausgesucht. In Spandau. dem
gefährlichsten und wichtigsten Punkt aber wollte Gneisenau commandiren. Die
Arbeiten in Spandau aber, in der Nähe Berlins und des französischen Ge¬
sandten, weckten zuerst den Argwohn des letzteren und mußten infolge seiner


§. 2. daß alle königlichen Diener nicht weiter ihren Dienst in der vom Feinde
besetzten Provinz fortsetzen, sondern an die Spitze der Jnsmrection treten. Alle
Beamte können nie Sr. Majestät wieder dienen, wenn sie unter dem Feinde
ihren Dienst fortgesetzt haben.

Bemerkung des Königs: „Wer wird diesen Wirrwarr dirigiren können und
wollen?"

Gneisenau. „Der Feind mag sehen, wie er Ordnung hinein bringe."

Die Bemerkung des Königs erinnert an den Ausspruch: Ruhe ist die
erste Bürgerpflicht.

An obige Instruction schlössen sich noch mehre andere, und Gneisenau
drang vor allen Dingen darauf, daß der König sie möglichst bald genehmige,
damit die für den Aufstand nothwendigen Vorbereitungen fertig seien, wenn
die Franzosen zur Vergewaltigung des Landes schritten. Der König aber wollte
nur die Anlage der befestigten Lager zur Aufnahme, der stehenden Armee bei
den Festungen gestatten, sich aber aller Maßregeln enthalten, welche den Stempel
der Nothwehr trugen. Der König wollte aus GewissenSrücksichten und im
Gefühl der eigenen Schwäche nicht Angreifender sein und gab damit Napoleon
volle Zeit, seine Vorbereitungen ruhig zu treffen und im Augenblick der Hand¬
lung mit seinen überwältigenden Mitteln Preußen einfach zu erdrücken. Ja als
im Laufe der sich immer hinziehenden Verhandlungen um ein Bündniß mit
Frankreich Napoleon die Arbeiten an den Festungen verbot, folgte der König
auch darin, und ging sogar so weit, daß er Blücher, der bei Kolberg comman-
dirte und munter hatte fortarbeiten lassen, vom dortigen Kommando entband
und an seine Stelle den schwachen Tauentzicn setzte, der die Carnevalsfreuden
in den französischen Kreisen Berlins dem Ausenthalt auf seinem Posten weit
vorzog und sich um die Erhaltung der Streitkräfte weiter gar nicht bekümmerte.

Auf Kolberg und Spandau hatte Gneisenau sein besonderes Augenmerk
geworfen, auf das erstere, weil es der Verbindungspunkt mit dem stets zur
Hilfe bereiten England war und dann, weil es eine Flankenstellung gegen die
eventuell von Küstrin und Stettin aus, die uoch in französischen Händen waren,
nach Osten vordringenden feindlichen Colonnen gewährte. Auf Spandau aber,
weil es Berlin beherrschte, alle dort aufgehäuften Materialien aufnehmen konnte
und weil es am weitesten gegen Westen gelegen, durch seinen Widerstand am
meisten deckend wirkte und revolutionäre Kräfte aus dem übrigen Deutschland
heranziehen konnte. Auf Schlesien, als die isolirteste und an sich widerstands¬
fähigste Provinz legte Gneisenau dagegen einen geringern Werth. Für Kolberg
war der in jeder Beziehung zuverlässige Blücher ausgesucht. In Spandau. dem
gefährlichsten und wichtigsten Punkt aber wollte Gneisenau commandiren. Die
Arbeiten in Spandau aber, in der Nähe Berlins und des französischen Ge¬
sandten, weckten zuerst den Argwohn des letzteren und mußten infolge seiner


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[0257] §. 2. daß alle königlichen Diener nicht weiter ihren Dienst in der vom Feinde besetzten Provinz fortsetzen, sondern an die Spitze der Jnsmrection treten. Alle Beamte können nie Sr. Majestät wieder dienen, wenn sie unter dem Feinde ihren Dienst fortgesetzt haben. Bemerkung des Königs: „Wer wird diesen Wirrwarr dirigiren können und wollen?" Gneisenau. „Der Feind mag sehen, wie er Ordnung hinein bringe." Die Bemerkung des Königs erinnert an den Ausspruch: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. An obige Instruction schlössen sich noch mehre andere, und Gneisenau drang vor allen Dingen darauf, daß der König sie möglichst bald genehmige, damit die für den Aufstand nothwendigen Vorbereitungen fertig seien, wenn die Franzosen zur Vergewaltigung des Landes schritten. Der König aber wollte nur die Anlage der befestigten Lager zur Aufnahme, der stehenden Armee bei den Festungen gestatten, sich aber aller Maßregeln enthalten, welche den Stempel der Nothwehr trugen. Der König wollte aus GewissenSrücksichten und im Gefühl der eigenen Schwäche nicht Angreifender sein und gab damit Napoleon volle Zeit, seine Vorbereitungen ruhig zu treffen und im Augenblick der Hand¬ lung mit seinen überwältigenden Mitteln Preußen einfach zu erdrücken. Ja als im Laufe der sich immer hinziehenden Verhandlungen um ein Bündniß mit Frankreich Napoleon die Arbeiten an den Festungen verbot, folgte der König auch darin, und ging sogar so weit, daß er Blücher, der bei Kolberg comman- dirte und munter hatte fortarbeiten lassen, vom dortigen Kommando entband und an seine Stelle den schwachen Tauentzicn setzte, der die Carnevalsfreuden in den französischen Kreisen Berlins dem Ausenthalt auf seinem Posten weit vorzog und sich um die Erhaltung der Streitkräfte weiter gar nicht bekümmerte. Auf Kolberg und Spandau hatte Gneisenau sein besonderes Augenmerk geworfen, auf das erstere, weil es der Verbindungspunkt mit dem stets zur Hilfe bereiten England war und dann, weil es eine Flankenstellung gegen die eventuell von Küstrin und Stettin aus, die uoch in französischen Händen waren, nach Osten vordringenden feindlichen Colonnen gewährte. Auf Spandau aber, weil es Berlin beherrschte, alle dort aufgehäuften Materialien aufnehmen konnte und weil es am weitesten gegen Westen gelegen, durch seinen Widerstand am meisten deckend wirkte und revolutionäre Kräfte aus dem übrigen Deutschland heranziehen konnte. Auf Schlesien, als die isolirteste und an sich widerstands¬ fähigste Provinz legte Gneisenau dagegen einen geringern Werth. Für Kolberg war der in jeder Beziehung zuverlässige Blücher ausgesucht. In Spandau. dem gefährlichsten und wichtigsten Punkt aber wollte Gneisenau commandiren. Die Arbeiten in Spandau aber, in der Nähe Berlins und des französischen Ge¬ sandten, weckten zuerst den Argwohn des letzteren und mußten infolge seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/257>, abgerufen am 28.07.2024.