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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Der König hat die Aufsätze über die Betheiligung des Volks am Kampfe
mit eigenhändigen Bemerkungen versehen, welche Pertz mit den Gegenbemerkungen
Gneisenaus giebt. In nichts spricht sich der Gegensatz der beiden Männer
auffallender aus als in diesen Bemerkungen. Der König, voller Respect vor
der Thatkraft und "Gewitztheit" seiner Gegner, zeigt nicht das mindeste Ver¬
trauen zu den freiwilligen Leistungen der eigenen Unterthanen; während
Gneisenau dagegen den Feind gering und den allgemeinen Geist des Wider¬
standes hochachtet. Beide waren im Unrecht, der König, indem er sein Volk
nach den Leistungen des Jahres 1806 beurtheilte, wo es theilnahmlos den
Staat zu Grunde gehen ließ. Das Volk hatte ja jetzt erst gelernt, wie nahe
sein Schicksal mit dem des Staates zusammenhing. -- Gneisenau aber traute
jedem Bürger die unerschöpfliche und aufopfernde Thatkraft zu, die er selbst
empfand. Er sah im kühlen, bedächtigen Norddeutschen den im Wider¬
stande wie in seinem ganzen Leben fanatischen Spanier. -- Das Jahr 1813
bewies, wie Recht Gneisenau hatte, indem er die Opferwilligkeit und Thatkraft
jedes Preußen hoch anschlug, und wie richtig der König urtheilte, indem er die
Kampfesmittel nicht in irregulären Formationen, -sondern nur in einer Ver¬
stärkung der regulären Armee suchte. Gneisenau giebt zunächst einen Plan zur
Vorbereitung eines Volksaufstandes, in welchem er vorschlägt, jeder Provinz
einen Geschäftsführer zu geben; jedoch keinerlei schriftlichen Verkehr zu gestatten,
das Land wird durch Reisende aufrecht "rhalten. Die Geschäftsführer verbinden
sich mit den Gleichgesinnten in den Städten u. s. w.

"Nie muß von Obern, von Anführern die Rede sein, sonst entsteht so¬
gleich Uneinigkeit, weil die Ehrgeizigen und Hitzköpfe Anführer sein wollen."

Bemerkung des Königs: "Ganz richtig, aber bei der Ausführung, wie
dann? Ausführung und Chaos ist Eins, jeder wird nur seinen Plan befolgen
wollen und die Verwirrung allgemein werden. Vermuthlich wird der Feind,
der auf solche Dinge abgewitzt ist, der Sache schnell den Garaus machen."

Gegenbemerkung Gneisenaus; "Bei der Ausführung müssen die Anführer
erscheinen und durch Thaten die Spitze behaupten, nur vorher nicht." --

Große Armeebewegungcn sollen nicht geschehen, sondern massenweise Einzel-
Handlungen dem Feinde im Ganzen schaden u. s. w. Jeder abgesonderte Landcs-
bezirk formirt seine Miliz: Alle Forstbediente, alle unverheiratheten Männer
zwischen dem sechzehnten und fünfunddreißigsten Jahre gehören so weit dazu,
daß die zwanzigste Seele dient, die Pferdebesitzer zu Pferde. -- 80 Mann
bilden eine Compagnie, vier Compagnien eine Legion, dann Brigaden und
Divisionen. Die Vorgesetzten der Provinzen werden ernannt, die untern Führer
gewählt. Die Miliz vertheidigt die Provinz und kann sich nicht weit von ihrem
Bezirk entfernen, weil sie keine Besoldung empfängt. Keiner feindlichen Aus¬
schreibung darf Folge geleistet werden. Kein Beamter darf sich dabei be-


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Der König hat die Aufsätze über die Betheiligung des Volks am Kampfe
mit eigenhändigen Bemerkungen versehen, welche Pertz mit den Gegenbemerkungen
Gneisenaus giebt. In nichts spricht sich der Gegensatz der beiden Männer
auffallender aus als in diesen Bemerkungen. Der König, voller Respect vor
der Thatkraft und „Gewitztheit" seiner Gegner, zeigt nicht das mindeste Ver¬
trauen zu den freiwilligen Leistungen der eigenen Unterthanen; während
Gneisenau dagegen den Feind gering und den allgemeinen Geist des Wider¬
standes hochachtet. Beide waren im Unrecht, der König, indem er sein Volk
nach den Leistungen des Jahres 1806 beurtheilte, wo es theilnahmlos den
Staat zu Grunde gehen ließ. Das Volk hatte ja jetzt erst gelernt, wie nahe
sein Schicksal mit dem des Staates zusammenhing. — Gneisenau aber traute
jedem Bürger die unerschöpfliche und aufopfernde Thatkraft zu, die er selbst
empfand. Er sah im kühlen, bedächtigen Norddeutschen den im Wider¬
stande wie in seinem ganzen Leben fanatischen Spanier. — Das Jahr 1813
bewies, wie Recht Gneisenau hatte, indem er die Opferwilligkeit und Thatkraft
jedes Preußen hoch anschlug, und wie richtig der König urtheilte, indem er die
Kampfesmittel nicht in irregulären Formationen, -sondern nur in einer Ver¬
stärkung der regulären Armee suchte. Gneisenau giebt zunächst einen Plan zur
Vorbereitung eines Volksaufstandes, in welchem er vorschlägt, jeder Provinz
einen Geschäftsführer zu geben; jedoch keinerlei schriftlichen Verkehr zu gestatten,
das Land wird durch Reisende aufrecht «rhalten. Die Geschäftsführer verbinden
sich mit den Gleichgesinnten in den Städten u. s. w.

„Nie muß von Obern, von Anführern die Rede sein, sonst entsteht so¬
gleich Uneinigkeit, weil die Ehrgeizigen und Hitzköpfe Anführer sein wollen."

Bemerkung des Königs: „Ganz richtig, aber bei der Ausführung, wie
dann? Ausführung und Chaos ist Eins, jeder wird nur seinen Plan befolgen
wollen und die Verwirrung allgemein werden. Vermuthlich wird der Feind,
der auf solche Dinge abgewitzt ist, der Sache schnell den Garaus machen."

Gegenbemerkung Gneisenaus; „Bei der Ausführung müssen die Anführer
erscheinen und durch Thaten die Spitze behaupten, nur vorher nicht." —

Große Armeebewegungcn sollen nicht geschehen, sondern massenweise Einzel-
Handlungen dem Feinde im Ganzen schaden u. s. w. Jeder abgesonderte Landcs-
bezirk formirt seine Miliz: Alle Forstbediente, alle unverheiratheten Männer
zwischen dem sechzehnten und fünfunddreißigsten Jahre gehören so weit dazu,
daß die zwanzigste Seele dient, die Pferdebesitzer zu Pferde. — 80 Mann
bilden eine Compagnie, vier Compagnien eine Legion, dann Brigaden und
Divisionen. Die Vorgesetzten der Provinzen werden ernannt, die untern Führer
gewählt. Die Miliz vertheidigt die Provinz und kann sich nicht weit von ihrem
Bezirk entfernen, weil sie keine Besoldung empfängt. Keiner feindlichen Aus¬
schreibung darf Folge geleistet werden. Kein Beamter darf sich dabei be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/255>, abgerufen am 28.07.2024.