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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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ketzerische Meinung in einer sächsischen Fürstenschule, aber schon ganz dieselbe,
nach der er dreißig Jahre später die Scholiastenzunst, d, h. die Philologen aus
seiner Gelehrtenrepublik verbannt wissen wollte.

Sonst wissen wir aus den sechs Jahren, die Klopstock in der Schulpforte
zubrachte, nicht viel von ihm. Indeß führt Strauß immerhin einige bezeichnende
Vorfälle an. So berichtet er von einer Charfreitagsrede in Alexandrinern, die
der Mathematikus, welcher wunderlicherweise zugleich Vorträge über Poesie hielt,
nicht gelten lassen wollte, weil sie kein Mensch verstünde, wogegen sie derRector
mit Aenderung eines einzigen Wortes Passiren ließ. So führt er serner an, daß
Klopstock einmal eine Rede, die ihm der Rector aufgegeben, öffentlich deshalb
nicht gemacht zu haben bekannte, weil ihm das Thema nicht gefallen. Und so
erzählt er, daß der Secundaner Klopstock, als die Primaner seiner Classe das
Recht bestritten, im Schulgärten spazieren zu gehen, seine Leute durch Ansprachen
im Stil des Livius zu so gewaltsamen Widerstand entflammte, daß man ihm
deshalb mit Relegation drohte.

Merkwürdig ist an diesen Zeugnissen aus Klopstocks Jugendzeit, daß in
ihnen sowohl der Dichter als der Mensch Klopstock schon ganz mit allen
Charakterzügen des späteren Mannes auftritt. Nicht allein diese allgemeinen
Züge aber waren bei ihm bereits ausgebildet, sondern auch den Gedanken der
poetischen Leistung, mit der er der Erneuerer der deutschen Dichtung wurde,
hat er bereits auf der Schule gefaßt. "Die Erinnerung, in der Pforte gewesen
zu sein," schrieb er 1800 an den Rector Heimbach, "macht mir auch darum
nicht selten Vergnügen, weil ich dort den Plan zu dem Messias beinahe ganz
vollendet habe."

Wie dies möglich gewesen, welche Umstände in der literarischen Geschichte
der Zeit in ihrem Zusammenwirken mit einer Naturanlage, wie die Klopstocks
war, ein solches Ergebniß herbeiführen konnten, wird von Strauß im zweiten
Abschnitt seiner Biographie geistvoll und mit feiner Kenntniß der Sache gezeigt.
Hier nur noch ein Blick auf eines seiner geistigen Producte dieser Periode,
welches das sprechendste Zeugniß für sein frühzeitig fertiges Wesen ist. Es ist
die lateinische Rede über den Beruf des epischen Dichters, mit welcher er 1743
von der Pforte Abschied nahm.

Hier heißt es, nachdem der Redner dem Heldengedicht den vornehmsten
Platz unter allen Gattungen der Poesie angewiesen hat. und indem er nun
die Reihe der epischen Dichter entlang geht, zunächst von Homer: "Er umfaßt
die Natur in ihrer Schönheit als eine geliebte Schwester; er hat mit dem Ur¬
bilds dichterischer Vollkommenheit in der Brust das Heldengedicht nicht allein
erfunden, sondern auch vollendet. Einfalt in der Majestät ist sein Vorzug. Was
von seinem Schlummern gesprochen wird, ist nur ein Beweis, daß seine Leser
bisweilen träumen. Ihm steht Virgil nur darin nach, daß er ihn zum Vor-


ketzerische Meinung in einer sächsischen Fürstenschule, aber schon ganz dieselbe,
nach der er dreißig Jahre später die Scholiastenzunst, d, h. die Philologen aus
seiner Gelehrtenrepublik verbannt wissen wollte.

Sonst wissen wir aus den sechs Jahren, die Klopstock in der Schulpforte
zubrachte, nicht viel von ihm. Indeß führt Strauß immerhin einige bezeichnende
Vorfälle an. So berichtet er von einer Charfreitagsrede in Alexandrinern, die
der Mathematikus, welcher wunderlicherweise zugleich Vorträge über Poesie hielt,
nicht gelten lassen wollte, weil sie kein Mensch verstünde, wogegen sie derRector
mit Aenderung eines einzigen Wortes Passiren ließ. So führt er serner an, daß
Klopstock einmal eine Rede, die ihm der Rector aufgegeben, öffentlich deshalb
nicht gemacht zu haben bekannte, weil ihm das Thema nicht gefallen. Und so
erzählt er, daß der Secundaner Klopstock, als die Primaner seiner Classe das
Recht bestritten, im Schulgärten spazieren zu gehen, seine Leute durch Ansprachen
im Stil des Livius zu so gewaltsamen Widerstand entflammte, daß man ihm
deshalb mit Relegation drohte.

Merkwürdig ist an diesen Zeugnissen aus Klopstocks Jugendzeit, daß in
ihnen sowohl der Dichter als der Mensch Klopstock schon ganz mit allen
Charakterzügen des späteren Mannes auftritt. Nicht allein diese allgemeinen
Züge aber waren bei ihm bereits ausgebildet, sondern auch den Gedanken der
poetischen Leistung, mit der er der Erneuerer der deutschen Dichtung wurde,
hat er bereits auf der Schule gefaßt. „Die Erinnerung, in der Pforte gewesen
zu sein," schrieb er 1800 an den Rector Heimbach, „macht mir auch darum
nicht selten Vergnügen, weil ich dort den Plan zu dem Messias beinahe ganz
vollendet habe."

Wie dies möglich gewesen, welche Umstände in der literarischen Geschichte
der Zeit in ihrem Zusammenwirken mit einer Naturanlage, wie die Klopstocks
war, ein solches Ergebniß herbeiführen konnten, wird von Strauß im zweiten
Abschnitt seiner Biographie geistvoll und mit feiner Kenntniß der Sache gezeigt.
Hier nur noch ein Blick auf eines seiner geistigen Producte dieser Periode,
welches das sprechendste Zeugniß für sein frühzeitig fertiges Wesen ist. Es ist
die lateinische Rede über den Beruf des epischen Dichters, mit welcher er 1743
von der Pforte Abschied nahm.

Hier heißt es, nachdem der Redner dem Heldengedicht den vornehmsten
Platz unter allen Gattungen der Poesie angewiesen hat. und indem er nun
die Reihe der epischen Dichter entlang geht, zunächst von Homer: „Er umfaßt
die Natur in ihrer Schönheit als eine geliebte Schwester; er hat mit dem Ur¬
bilds dichterischer Vollkommenheit in der Brust das Heldengedicht nicht allein
erfunden, sondern auch vollendet. Einfalt in der Majestät ist sein Vorzug. Was
von seinem Schlummern gesprochen wird, ist nur ein Beweis, daß seine Leser
bisweilen träumen. Ihm steht Virgil nur darin nach, daß er ihn zum Vor-


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[0249] ketzerische Meinung in einer sächsischen Fürstenschule, aber schon ganz dieselbe, nach der er dreißig Jahre später die Scholiastenzunst, d, h. die Philologen aus seiner Gelehrtenrepublik verbannt wissen wollte. Sonst wissen wir aus den sechs Jahren, die Klopstock in der Schulpforte zubrachte, nicht viel von ihm. Indeß führt Strauß immerhin einige bezeichnende Vorfälle an. So berichtet er von einer Charfreitagsrede in Alexandrinern, die der Mathematikus, welcher wunderlicherweise zugleich Vorträge über Poesie hielt, nicht gelten lassen wollte, weil sie kein Mensch verstünde, wogegen sie derRector mit Aenderung eines einzigen Wortes Passiren ließ. So führt er serner an, daß Klopstock einmal eine Rede, die ihm der Rector aufgegeben, öffentlich deshalb nicht gemacht zu haben bekannte, weil ihm das Thema nicht gefallen. Und so erzählt er, daß der Secundaner Klopstock, als die Primaner seiner Classe das Recht bestritten, im Schulgärten spazieren zu gehen, seine Leute durch Ansprachen im Stil des Livius zu so gewaltsamen Widerstand entflammte, daß man ihm deshalb mit Relegation drohte. Merkwürdig ist an diesen Zeugnissen aus Klopstocks Jugendzeit, daß in ihnen sowohl der Dichter als der Mensch Klopstock schon ganz mit allen Charakterzügen des späteren Mannes auftritt. Nicht allein diese allgemeinen Züge aber waren bei ihm bereits ausgebildet, sondern auch den Gedanken der poetischen Leistung, mit der er der Erneuerer der deutschen Dichtung wurde, hat er bereits auf der Schule gefaßt. „Die Erinnerung, in der Pforte gewesen zu sein," schrieb er 1800 an den Rector Heimbach, „macht mir auch darum nicht selten Vergnügen, weil ich dort den Plan zu dem Messias beinahe ganz vollendet habe." Wie dies möglich gewesen, welche Umstände in der literarischen Geschichte der Zeit in ihrem Zusammenwirken mit einer Naturanlage, wie die Klopstocks war, ein solches Ergebniß herbeiführen konnten, wird von Strauß im zweiten Abschnitt seiner Biographie geistvoll und mit feiner Kenntniß der Sache gezeigt. Hier nur noch ein Blick auf eines seiner geistigen Producte dieser Periode, welches das sprechendste Zeugniß für sein frühzeitig fertiges Wesen ist. Es ist die lateinische Rede über den Beruf des epischen Dichters, mit welcher er 1743 von der Pforte Abschied nahm. Hier heißt es, nachdem der Redner dem Heldengedicht den vornehmsten Platz unter allen Gattungen der Poesie angewiesen hat. und indem er nun die Reihe der epischen Dichter entlang geht, zunächst von Homer: „Er umfaßt die Natur in ihrer Schönheit als eine geliebte Schwester; er hat mit dem Ur¬ bilds dichterischer Vollkommenheit in der Brust das Heldengedicht nicht allein erfunden, sondern auch vollendet. Einfalt in der Majestät ist sein Vorzug. Was von seinem Schlummern gesprochen wird, ist nur ein Beweis, daß seine Leser bisweilen träumen. Ihm steht Virgil nur darin nach, daß er ihn zum Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/249>, abgerufen am 28.07.2024.