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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Stich gelassen. -- Es ist durchaus nothwendig, daß die Bürgermilizen so schnell
als möglich formirt werden. -- Die Stimmung der Nation ist jetzt so, daß ich
gewiß bin, daß wir uns allein retten könnten, aber alle Maßregeln müssen
schnell und mit Energie ergriffen werden."

Auf ähnliche Weise wie Götzen in Schlesien hatten andere Männer in an¬
dern Landschaften gewirkt. Man konnte auf 80 -- 90.000 Mann geübter Sol¬
daten aus dem Königreich Westfalen rechnen. In Preußen standen die kräftig¬
sten Männer an der Spitze der Truppen und Festungen, es bedürfte nur des
Rufs des Königs, und das ganze Volk erhob sich; aber dieser Ruf blieb aus.
Statt eines Ausrufs kam die Nachricht, Stein, die Seele der ganzen Neubele¬
bung und der gesammten Kraftanstrengung ist entlassen, und zwar entlassen
auf Wunsch der Franzosen und auf Betreiben der alten am Unglück des Staates
schuldigen Hofpartei. -- Die Heißsporne wollten trotzdem losbrechen, wollten
den König zum Kriege zwingen; dazu war aber bei dem großen Mißtrauen des
Königs zu seinem Volke gar keine Aussicht, er hatte sich ganz den Franzosen
in die Hände gegeben. Gneisenaus Aufgabe war es nun zunächst, nach allen
Seiten beruhigend und die bisherigen Rüstungen erhaltend zu wirken. Gnei-
senau und Scharnhorst hofften, daß der Geist des Widerstandes, der in Oestreich
lebte und in naher Zeit zum Kriege führen sollte, den König zu gleicher That
bestimmen würde. Dieser aber mißtraute auch Oestreich und wollte ohne die
Zustimmung des russischen Kaisers, der grade jetzt für Napoleon schwärmte,
nichts unternehmen. Der Einfluß des Kaisers Alexander wurde noch erhöht
durch einen Besuch des Königs in Petersburg, den er Ende December unter¬
nahm. Scharnhorst folgte dem König dorthin, und Gneisenau übernahm in
seiner Vertretung die Geschäfte des Kriegsministers. Er benutzte die Zeit, um
von dieser Stelle aus nach Kräften die officiellen und privaten Rüstungen zu
beleben und um die Verbindung mit Oestreich zu erwärmen; Scharnhorst stets
von seinen Schritten in Kenntniß erhaltend. Von Petersburg ging dann auch
noch die Genehmigung ein, Spandau durch Verstärkung und Ernennung eines
tüchtigen Commandeurs daselbst vor einem Ueberfall der Franzosen sicher zu
stellen und die schlesischen Festungen auf drei Monate zu ve>proviantiren. >--
Gneisenaus Hoffnungen belebten sich, er schreibt Anfangs Februar an Schill:

"Habt Geduld! Es wird alles noch besser werden, als wir vermuthen.
Unsere Angelegenheiten scheinen gut zu stehen. Sie wissen, ich bin nicht immer
hoffnungsreich, und man beschuldigt mich sogar, daß ich schwarz sehe. --Meine
treue Mitwirkung für Ihre Plane sage ich Ihnen zu." --

Stein aber schrieb zu dieser Zeit an Gneisenau: "Wenngleich Spanien
theilweise unterjocht ist, so wird es dennoch der französischen Armee lange Be¬
schäftigung geben--ich fürchte sehr, daß euvetimäo peräimus Romsm,
und man setze dem Flug eines Adlers den Gang einer Schnecke entgegen, die


Stich gelassen. — Es ist durchaus nothwendig, daß die Bürgermilizen so schnell
als möglich formirt werden. — Die Stimmung der Nation ist jetzt so, daß ich
gewiß bin, daß wir uns allein retten könnten, aber alle Maßregeln müssen
schnell und mit Energie ergriffen werden."

Auf ähnliche Weise wie Götzen in Schlesien hatten andere Männer in an¬
dern Landschaften gewirkt. Man konnte auf 80 — 90.000 Mann geübter Sol¬
daten aus dem Königreich Westfalen rechnen. In Preußen standen die kräftig¬
sten Männer an der Spitze der Truppen und Festungen, es bedürfte nur des
Rufs des Königs, und das ganze Volk erhob sich; aber dieser Ruf blieb aus.
Statt eines Ausrufs kam die Nachricht, Stein, die Seele der ganzen Neubele¬
bung und der gesammten Kraftanstrengung ist entlassen, und zwar entlassen
auf Wunsch der Franzosen und auf Betreiben der alten am Unglück des Staates
schuldigen Hofpartei. — Die Heißsporne wollten trotzdem losbrechen, wollten
den König zum Kriege zwingen; dazu war aber bei dem großen Mißtrauen des
Königs zu seinem Volke gar keine Aussicht, er hatte sich ganz den Franzosen
in die Hände gegeben. Gneisenaus Aufgabe war es nun zunächst, nach allen
Seiten beruhigend und die bisherigen Rüstungen erhaltend zu wirken. Gnei-
senau und Scharnhorst hofften, daß der Geist des Widerstandes, der in Oestreich
lebte und in naher Zeit zum Kriege führen sollte, den König zu gleicher That
bestimmen würde. Dieser aber mißtraute auch Oestreich und wollte ohne die
Zustimmung des russischen Kaisers, der grade jetzt für Napoleon schwärmte,
nichts unternehmen. Der Einfluß des Kaisers Alexander wurde noch erhöht
durch einen Besuch des Königs in Petersburg, den er Ende December unter¬
nahm. Scharnhorst folgte dem König dorthin, und Gneisenau übernahm in
seiner Vertretung die Geschäfte des Kriegsministers. Er benutzte die Zeit, um
von dieser Stelle aus nach Kräften die officiellen und privaten Rüstungen zu
beleben und um die Verbindung mit Oestreich zu erwärmen; Scharnhorst stets
von seinen Schritten in Kenntniß erhaltend. Von Petersburg ging dann auch
noch die Genehmigung ein, Spandau durch Verstärkung und Ernennung eines
tüchtigen Commandeurs daselbst vor einem Ueberfall der Franzosen sicher zu
stellen und die schlesischen Festungen auf drei Monate zu ve>proviantiren. >—
Gneisenaus Hoffnungen belebten sich, er schreibt Anfangs Februar an Schill:

„Habt Geduld! Es wird alles noch besser werden, als wir vermuthen.
Unsere Angelegenheiten scheinen gut zu stehen. Sie wissen, ich bin nicht immer
hoffnungsreich, und man beschuldigt mich sogar, daß ich schwarz sehe. —Meine
treue Mitwirkung für Ihre Plane sage ich Ihnen zu." —

Stein aber schrieb zu dieser Zeit an Gneisenau: „Wenngleich Spanien
theilweise unterjocht ist, so wird es dennoch der französischen Armee lange Be¬
schäftigung geben--ich fürchte sehr, daß euvetimäo peräimus Romsm,
und man setze dem Flug eines Adlers den Gang einer Schnecke entgegen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/212>, abgerufen am 28.07.2024.