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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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zu gestatten. Bei ihren späteren Eroberungen unter Chlodwech haben die Rö¬
mer eine vorzugsweis milde Behandlung erfahren.

Am stärksten übte jene Verschiedenheit der Entstehung in den ersten Perio¬
den der neuen Staaten ihren Einfluß, den sie allmälig an diejenigen geschicht¬
lichen Mächte verloren, welche durch die fernere Entwicklung derselben hervor¬
gerufen wurden und erstarkten. In allen Staaten, welche lange genug bestanden,
glichen sich die Unterschiede der politischen Berechtigung je mehr und mehr aus,
und wir können etwa in folgender Weise die Stellung charakterisier,, welche
die Provincialen in den germanischen Staaten einnahmen, abgesehen davon,
ob diese durch Vertrag oder durch Eroberung entstanden.

In politischer Beziehung besaßen die Römer zwar einen bestimmten nicht
unbedeutenden Kreis von Pflichten und Rechten: aber die Germanen genossen
doch eine wesentliche Bevorzugung. Deshalb trägt die politische Verfassung
dieser Reiche ganz überwiegend den Stempel deutschen Wesens. Wenn im
Lauf der geschichtlichen Entwicklung dieser Unterschied der politischen Berechti¬
gung verschwand, so geschah dies, indem die Römer sich so zu sagen politisch
germanisirten. indem sie eintraten in das Gefüge der allerdings durch die
geänderten Verhältnisse modificirten Einrichtungen der deutschen Staatsver¬
fassung.

Umgekehrt verhielt es sich in dem anderen großen Lebenskreise, in der
Kirche, die in jener Zeit eine vorzugsweis große Bedeutung hat. Während
die Germanen noch Heiden waren oder Arianer, gelang dem Römerthum seine
letzte aber staunenswerthe Schöpfung, die Organisation der Kirche. Damals
gewann das Primat des Papstes feste Wurzeln in Gallien. Der Versuch eines
hochstrebenden.Bischofs, sich unabhängig zu halten und die Stellung eines gal¬
lischen Patriarchen einzunehmen, scheiterte. Noch wählte das Volk die Bischöfe
nach dem alten Grundsatze, Mi orrmidus xiAetuwrus sit ad oumibus eliMtur,
aber schon begannen die Geistlichen das Recht, den Gewählten zu bestätigen
und zu weihen, in ein Ernennungsrecht umzuwandeln. Charakteristisch ist fol¬
gendes Beispiel. Als in Chalons die Stimmen der Bürger zwischen drei gleich
unwürdigen Bewerbern getheilt waren, weihten die Geistlichen plötzlich vor den
Augen des erstaunten Volks einen Kleriker zum Bischof der Stadt. Das Volk
widersetzte sich nicht, weil der Gewählte wirklich geeigneter war als die Be¬
werber. Während der fränkischen Herrschaft übten freilich die Könige bisweilen
gewaltthätig einen entscheidenden Einfluß.

Zu einer Zeit, in der Kirchenversammlungen oft den Charakter von Reichs¬
tagen annahmen, mußte d^s Römerthum durch diese Beherrschung der Kirche
eine Bedeutung gewinnen, die jene politische Unterordnung leicht verschmerzen
ließ. Diese steigerte sich noch dadurch, daß die Kirche in den Resten der alten
Cultur und der wenn auch preist noch so rohen Beschäftigung mit der Schrift


Grenzboten II. 1866. 24

zu gestatten. Bei ihren späteren Eroberungen unter Chlodwech haben die Rö¬
mer eine vorzugsweis milde Behandlung erfahren.

Am stärksten übte jene Verschiedenheit der Entstehung in den ersten Perio¬
den der neuen Staaten ihren Einfluß, den sie allmälig an diejenigen geschicht¬
lichen Mächte verloren, welche durch die fernere Entwicklung derselben hervor¬
gerufen wurden und erstarkten. In allen Staaten, welche lange genug bestanden,
glichen sich die Unterschiede der politischen Berechtigung je mehr und mehr aus,
und wir können etwa in folgender Weise die Stellung charakterisier,, welche
die Provincialen in den germanischen Staaten einnahmen, abgesehen davon,
ob diese durch Vertrag oder durch Eroberung entstanden.

In politischer Beziehung besaßen die Römer zwar einen bestimmten nicht
unbedeutenden Kreis von Pflichten und Rechten: aber die Germanen genossen
doch eine wesentliche Bevorzugung. Deshalb trägt die politische Verfassung
dieser Reiche ganz überwiegend den Stempel deutschen Wesens. Wenn im
Lauf der geschichtlichen Entwicklung dieser Unterschied der politischen Berechti¬
gung verschwand, so geschah dies, indem die Römer sich so zu sagen politisch
germanisirten. indem sie eintraten in das Gefüge der allerdings durch die
geänderten Verhältnisse modificirten Einrichtungen der deutschen Staatsver¬
fassung.

Umgekehrt verhielt es sich in dem anderen großen Lebenskreise, in der
Kirche, die in jener Zeit eine vorzugsweis große Bedeutung hat. Während
die Germanen noch Heiden waren oder Arianer, gelang dem Römerthum seine
letzte aber staunenswerthe Schöpfung, die Organisation der Kirche. Damals
gewann das Primat des Papstes feste Wurzeln in Gallien. Der Versuch eines
hochstrebenden.Bischofs, sich unabhängig zu halten und die Stellung eines gal¬
lischen Patriarchen einzunehmen, scheiterte. Noch wählte das Volk die Bischöfe
nach dem alten Grundsatze, Mi orrmidus xiAetuwrus sit ad oumibus eliMtur,
aber schon begannen die Geistlichen das Recht, den Gewählten zu bestätigen
und zu weihen, in ein Ernennungsrecht umzuwandeln. Charakteristisch ist fol¬
gendes Beispiel. Als in Chalons die Stimmen der Bürger zwischen drei gleich
unwürdigen Bewerbern getheilt waren, weihten die Geistlichen plötzlich vor den
Augen des erstaunten Volks einen Kleriker zum Bischof der Stadt. Das Volk
widersetzte sich nicht, weil der Gewählte wirklich geeigneter war als die Be¬
werber. Während der fränkischen Herrschaft übten freilich die Könige bisweilen
gewaltthätig einen entscheidenden Einfluß.

Zu einer Zeit, in der Kirchenversammlungen oft den Charakter von Reichs¬
tagen annahmen, mußte d^s Römerthum durch diese Beherrschung der Kirche
eine Bedeutung gewinnen, die jene politische Unterordnung leicht verschmerzen
ließ. Diese steigerte sich noch dadurch, daß die Kirche in den Resten der alten
Cultur und der wenn auch preist noch so rohen Beschäftigung mit der Schrift


Grenzboten II. 1866. 24
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[0203] zu gestatten. Bei ihren späteren Eroberungen unter Chlodwech haben die Rö¬ mer eine vorzugsweis milde Behandlung erfahren. Am stärksten übte jene Verschiedenheit der Entstehung in den ersten Perio¬ den der neuen Staaten ihren Einfluß, den sie allmälig an diejenigen geschicht¬ lichen Mächte verloren, welche durch die fernere Entwicklung derselben hervor¬ gerufen wurden und erstarkten. In allen Staaten, welche lange genug bestanden, glichen sich die Unterschiede der politischen Berechtigung je mehr und mehr aus, und wir können etwa in folgender Weise die Stellung charakterisier,, welche die Provincialen in den germanischen Staaten einnahmen, abgesehen davon, ob diese durch Vertrag oder durch Eroberung entstanden. In politischer Beziehung besaßen die Römer zwar einen bestimmten nicht unbedeutenden Kreis von Pflichten und Rechten: aber die Germanen genossen doch eine wesentliche Bevorzugung. Deshalb trägt die politische Verfassung dieser Reiche ganz überwiegend den Stempel deutschen Wesens. Wenn im Lauf der geschichtlichen Entwicklung dieser Unterschied der politischen Berechti¬ gung verschwand, so geschah dies, indem die Römer sich so zu sagen politisch germanisirten. indem sie eintraten in das Gefüge der allerdings durch die geänderten Verhältnisse modificirten Einrichtungen der deutschen Staatsver¬ fassung. Umgekehrt verhielt es sich in dem anderen großen Lebenskreise, in der Kirche, die in jener Zeit eine vorzugsweis große Bedeutung hat. Während die Germanen noch Heiden waren oder Arianer, gelang dem Römerthum seine letzte aber staunenswerthe Schöpfung, die Organisation der Kirche. Damals gewann das Primat des Papstes feste Wurzeln in Gallien. Der Versuch eines hochstrebenden.Bischofs, sich unabhängig zu halten und die Stellung eines gal¬ lischen Patriarchen einzunehmen, scheiterte. Noch wählte das Volk die Bischöfe nach dem alten Grundsatze, Mi orrmidus xiAetuwrus sit ad oumibus eliMtur, aber schon begannen die Geistlichen das Recht, den Gewählten zu bestätigen und zu weihen, in ein Ernennungsrecht umzuwandeln. Charakteristisch ist fol¬ gendes Beispiel. Als in Chalons die Stimmen der Bürger zwischen drei gleich unwürdigen Bewerbern getheilt waren, weihten die Geistlichen plötzlich vor den Augen des erstaunten Volks einen Kleriker zum Bischof der Stadt. Das Volk widersetzte sich nicht, weil der Gewählte wirklich geeigneter war als die Be¬ werber. Während der fränkischen Herrschaft übten freilich die Könige bisweilen gewaltthätig einen entscheidenden Einfluß. Zu einer Zeit, in der Kirchenversammlungen oft den Charakter von Reichs¬ tagen annahmen, mußte d^s Römerthum durch diese Beherrschung der Kirche eine Bedeutung gewinnen, die jene politische Unterordnung leicht verschmerzen ließ. Diese steigerte sich noch dadurch, daß die Kirche in den Resten der alten Cultur und der wenn auch preist noch so rohen Beschäftigung mit der Schrift Grenzboten II. 1866. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/203>, abgerufen am 01.09.2024.