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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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der Provincialen den Vorwand zum Kriege nehme. Und so schwach war das
alternde Reich keineswegs, daß man alle diese Rücksichten ohne Weiteres außer
Augen setzen durfte. Namentlich zur religiösen Duldung mahnte der Umstand,
daß im Reiche des Kaisers zahlreiche Arianer lebten, an denen Repressalien ge¬
nommen werden konnten. ' Der Vandalenkönig Hunerich stand aus diesem
Grunde von einem Gesetze ab, das den Nachlaß aller katholischen Bischöfe ein¬
zuziehen und für jede Neuwahl 500 solidi zu erheben befahl.

Bei den Longobarden, welche Italien mit Gewalt in Besitz nahmen, kam
noch hinzu, daß vor ihnen schon die Osigothen in demselben Gebiete ein Reich
gebildet hatten, das die Verschmelzung der Gothen und Römer principiell und
planmäßig anstrebte. Chlodwech endlich stand bei seinen spätern Eroberungen
in naher Verbindung mit der katholischen Geistlichkeit, dem vorzüglichsten Re¬
präsentanten des Römerthums.

Wenn das Zusammenwirken dieser und ähnlicher Ursachen die Lage der
Provincialen in den Staaten beider Gattungen im Ganzen gleichartig gestaltete,
so Mögen folgende Beispiele zeigen, daß dieser verschiedenen Entstehungsart
doch eine wirkliche Bedeutung für unsere Frage zukommt, obwohl in beiden
anzuführenden Fällen auch noch andere Ursachen das besonders harte Geschick
der Römer mit herbeiführen halfen.

Während von den Gothen und Burgunden jedem Römer eine bestimmte,
gesetzlich fixirte Quote seines Grundbesitzes belassen wurde und in bunter Mi¬
schung die Männer der verschiedenen Nationen durcheinander wohnten, durch
Nachbarschaft aus gegenseitige Freundschaft angewiesen, wie auch durch gemein¬
same Benutzung des ungetheilt belassenen Wald- und Weidelandes: siedelten
die Vandalen in dichten Schaaren in der proconsularischen Provinz, in der
Nähe der Hauptstadt Karthago. Hier mußte der alte Grundbesitzer regelmäßig
von der Scholle weichen, mit weißem Stäbe ins Elend ziehen, oder als Knecht
das frühere Eigengut bebauen. In den übrigen Provinzen blieben die Römer
Eigenthümer, mußten jedoch eine schwer lastende Grundsteuer zahlen. Noch
vernichtender verfuhren die Franken in den Gebieten, welche sie bis zur Mitte
des fünften Jahrhunderts in wechselvollem Kampfe mit Rom schließlich be¬
haupteten, dem altsalischen Lande bis zur Somme. dessen Hauptstadt Tournay
war. Hier ward die alte Bevölkerung ausgerottet, das Christenthum schwindet,
wie die Landessprache, dies Gebiet wurde vollständig germanisirt. Ein inter¬
essantes Zeugniß hierfür bietet ein um die Mitte des fünften Jahrhunderts ge¬
schriebener Brief des Sidonius Apollinaris an einen Freund, der im Mosel¬
gebiet lebt, und den er beklagt, weil in seiner Umgebung nicht mehr die latei¬
nische Rede vernommen werde, er allein sie noch spreche. Der Grund jenes
Verfahrens lag neben der gewaltsamen Occupation wohl darin, daß die Grenzen
zu eng waren, um ein Nebeneinanderwohnen der alten und neuen Bevölkerung


der Provincialen den Vorwand zum Kriege nehme. Und so schwach war das
alternde Reich keineswegs, daß man alle diese Rücksichten ohne Weiteres außer
Augen setzen durfte. Namentlich zur religiösen Duldung mahnte der Umstand,
daß im Reiche des Kaisers zahlreiche Arianer lebten, an denen Repressalien ge¬
nommen werden konnten. ' Der Vandalenkönig Hunerich stand aus diesem
Grunde von einem Gesetze ab, das den Nachlaß aller katholischen Bischöfe ein¬
zuziehen und für jede Neuwahl 500 solidi zu erheben befahl.

Bei den Longobarden, welche Italien mit Gewalt in Besitz nahmen, kam
noch hinzu, daß vor ihnen schon die Osigothen in demselben Gebiete ein Reich
gebildet hatten, das die Verschmelzung der Gothen und Römer principiell und
planmäßig anstrebte. Chlodwech endlich stand bei seinen spätern Eroberungen
in naher Verbindung mit der katholischen Geistlichkeit, dem vorzüglichsten Re¬
präsentanten des Römerthums.

Wenn das Zusammenwirken dieser und ähnlicher Ursachen die Lage der
Provincialen in den Staaten beider Gattungen im Ganzen gleichartig gestaltete,
so Mögen folgende Beispiele zeigen, daß dieser verschiedenen Entstehungsart
doch eine wirkliche Bedeutung für unsere Frage zukommt, obwohl in beiden
anzuführenden Fällen auch noch andere Ursachen das besonders harte Geschick
der Römer mit herbeiführen halfen.

Während von den Gothen und Burgunden jedem Römer eine bestimmte,
gesetzlich fixirte Quote seines Grundbesitzes belassen wurde und in bunter Mi¬
schung die Männer der verschiedenen Nationen durcheinander wohnten, durch
Nachbarschaft aus gegenseitige Freundschaft angewiesen, wie auch durch gemein¬
same Benutzung des ungetheilt belassenen Wald- und Weidelandes: siedelten
die Vandalen in dichten Schaaren in der proconsularischen Provinz, in der
Nähe der Hauptstadt Karthago. Hier mußte der alte Grundbesitzer regelmäßig
von der Scholle weichen, mit weißem Stäbe ins Elend ziehen, oder als Knecht
das frühere Eigengut bebauen. In den übrigen Provinzen blieben die Römer
Eigenthümer, mußten jedoch eine schwer lastende Grundsteuer zahlen. Noch
vernichtender verfuhren die Franken in den Gebieten, welche sie bis zur Mitte
des fünften Jahrhunderts in wechselvollem Kampfe mit Rom schließlich be¬
haupteten, dem altsalischen Lande bis zur Somme. dessen Hauptstadt Tournay
war. Hier ward die alte Bevölkerung ausgerottet, das Christenthum schwindet,
wie die Landessprache, dies Gebiet wurde vollständig germanisirt. Ein inter¬
essantes Zeugniß hierfür bietet ein um die Mitte des fünften Jahrhunderts ge¬
schriebener Brief des Sidonius Apollinaris an einen Freund, der im Mosel¬
gebiet lebt, und den er beklagt, weil in seiner Umgebung nicht mehr die latei¬
nische Rede vernommen werde, er allein sie noch spreche. Der Grund jenes
Verfahrens lag neben der gewaltsamen Occupation wohl darin, daß die Grenzen
zu eng waren, um ein Nebeneinanderwohnen der alten und neuen Bevölkerung


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[0202] der Provincialen den Vorwand zum Kriege nehme. Und so schwach war das alternde Reich keineswegs, daß man alle diese Rücksichten ohne Weiteres außer Augen setzen durfte. Namentlich zur religiösen Duldung mahnte der Umstand, daß im Reiche des Kaisers zahlreiche Arianer lebten, an denen Repressalien ge¬ nommen werden konnten. ' Der Vandalenkönig Hunerich stand aus diesem Grunde von einem Gesetze ab, das den Nachlaß aller katholischen Bischöfe ein¬ zuziehen und für jede Neuwahl 500 solidi zu erheben befahl. Bei den Longobarden, welche Italien mit Gewalt in Besitz nahmen, kam noch hinzu, daß vor ihnen schon die Osigothen in demselben Gebiete ein Reich gebildet hatten, das die Verschmelzung der Gothen und Römer principiell und planmäßig anstrebte. Chlodwech endlich stand bei seinen spätern Eroberungen in naher Verbindung mit der katholischen Geistlichkeit, dem vorzüglichsten Re¬ präsentanten des Römerthums. Wenn das Zusammenwirken dieser und ähnlicher Ursachen die Lage der Provincialen in den Staaten beider Gattungen im Ganzen gleichartig gestaltete, so Mögen folgende Beispiele zeigen, daß dieser verschiedenen Entstehungsart doch eine wirkliche Bedeutung für unsere Frage zukommt, obwohl in beiden anzuführenden Fällen auch noch andere Ursachen das besonders harte Geschick der Römer mit herbeiführen halfen. Während von den Gothen und Burgunden jedem Römer eine bestimmte, gesetzlich fixirte Quote seines Grundbesitzes belassen wurde und in bunter Mi¬ schung die Männer der verschiedenen Nationen durcheinander wohnten, durch Nachbarschaft aus gegenseitige Freundschaft angewiesen, wie auch durch gemein¬ same Benutzung des ungetheilt belassenen Wald- und Weidelandes: siedelten die Vandalen in dichten Schaaren in der proconsularischen Provinz, in der Nähe der Hauptstadt Karthago. Hier mußte der alte Grundbesitzer regelmäßig von der Scholle weichen, mit weißem Stäbe ins Elend ziehen, oder als Knecht das frühere Eigengut bebauen. In den übrigen Provinzen blieben die Römer Eigenthümer, mußten jedoch eine schwer lastende Grundsteuer zahlen. Noch vernichtender verfuhren die Franken in den Gebieten, welche sie bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts in wechselvollem Kampfe mit Rom schließlich be¬ haupteten, dem altsalischen Lande bis zur Somme. dessen Hauptstadt Tournay war. Hier ward die alte Bevölkerung ausgerottet, das Christenthum schwindet, wie die Landessprache, dies Gebiet wurde vollständig germanisirt. Ein inter¬ essantes Zeugniß hierfür bietet ein um die Mitte des fünften Jahrhunderts ge¬ schriebener Brief des Sidonius Apollinaris an einen Freund, der im Mosel¬ gebiet lebt, und den er beklagt, weil in seiner Umgebung nicht mehr die latei¬ nische Rede vernommen werde, er allein sie noch spreche. Der Grund jenes Verfahrens lag neben der gewaltsamen Occupation wohl darin, daß die Grenzen zu eng waren, um ein Nebeneinanderwohnen der alten und neuen Bevölkerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/202>, abgerufen am 28.07.2024.