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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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nach den Nationen in zwei große Hälften schied, sondern sich nach den Aufgeboten
der Gaue gliederte, welche beide, die in ihnen seßhaften Römer wie die Gothen
umfaßten, so werden in diesen doch die Volksgenossen die Unterabtheilungen
gebildet haben. Denn nach altgermanischer Sitte bildet "nicht der Zufall oder
die Willkür die Schlachtordnung, sondern die Familie, die Verwandtschaft steht
zusammen".

In anderer Hinsicht erscheinen dagegen die Römer als politisch minder¬
berechtigt, vor allem darin, daß sie Grund- oder Kopfsteuer zahlen mußten,
während dies den Germanen noch lange als ein Zeichen der Knechtschaft galt.
Es scheint fast, als ob die Könige glaubten, über die Römer die Rechte aus¬
üben zu können, welche den Kaisern zugestanden hatten, während sie ihren
Volksgenossen gegenüber durch den demokratischen Geist, die freiheitlichen In¬
stitutionen der altdeutschen Verfassung beschränkt waren. Erst durch eine längere
geschichtliche Entwicklung wurden diese Unterschiede zwischen dem germanischen
und romanischen Theile der Bevölkerung aufgehoben, wenn sie auch sicher nie
so scharf gewesen sein mögen, als diese theoretische Betrachtung vermuthen
läßt. Auch wenn die Könige sich die Rechte der Kaiser über die Provincialen
zusprechen und dies im Allgemeinen anerkannt ward: so hatte doch der Römer,
der ja, wie wir sahen, ein lebendiges, oft einflußreiches Glied des Staates bildete,
jetzt einen andern Rechtsschutz als in dem alten Kaiserreiche, wo vor der All¬
gewalt der Beamten alles in gleicher Knechtschaft lag.

Ebenso wenig läßt sich bezweifeln, daß die Römer von vornherein nicht
Theil hatten an der Wahl des Nachfolgers eines verstorbenen Königs. Im
westgothischen Reiche werden sie dazu erst im Laufe des sechsten Jahrhunderts
gelangt sein.

In ähnlicher Weise standen die Römer auch in den übrigen germanischen
Staaten; auch in den nicht durch Vertrag gegründeten sind die Germanen
keineswegs die einzigen Träger politischer Rechte und politischen Lebens.

Zu diesem Resultat hat nun. wie oben bemerkt ist, die staatsrechtliche Ver¬
bindung germanischer Staaten mit Rom an ihrem Theile mitgewirkt. Zwar
ist nicht zu läugnen, daß die rechtliche Sicherung ihrer Stellung durch jene
Verträge der römischen Bevölkerung des abgetretenen Gebiets wenig genützt
haben würde, wenn sie nicht die Kraft besaß, die ihr zugesprochenen Rechte zu
behaupten, und wenn andrerseits die Germanen nicht empfänglich waren und
anerkennend für das, was jene in Ausübung ihrer Rechte dem gemeinsamen
Vaterlande leisteten: aber gleichgiltig ist doch eine solche rechtliche Zusicherung
nicht, zumal einem mit politischem Sinn begabten Volke gegenüber, wie die
Germanen waren. Zudem vermochte Rom bis in die sechziger Jahre deS
fünften Jahrhunderts -- mit Ausnahme der Westgothen -- diese Oberherr-
schaft factisch zu behaupten und also auch auf das Einhalten der eingegangenen


nach den Nationen in zwei große Hälften schied, sondern sich nach den Aufgeboten
der Gaue gliederte, welche beide, die in ihnen seßhaften Römer wie die Gothen
umfaßten, so werden in diesen doch die Volksgenossen die Unterabtheilungen
gebildet haben. Denn nach altgermanischer Sitte bildet „nicht der Zufall oder
die Willkür die Schlachtordnung, sondern die Familie, die Verwandtschaft steht
zusammen".

In anderer Hinsicht erscheinen dagegen die Römer als politisch minder¬
berechtigt, vor allem darin, daß sie Grund- oder Kopfsteuer zahlen mußten,
während dies den Germanen noch lange als ein Zeichen der Knechtschaft galt.
Es scheint fast, als ob die Könige glaubten, über die Römer die Rechte aus¬
üben zu können, welche den Kaisern zugestanden hatten, während sie ihren
Volksgenossen gegenüber durch den demokratischen Geist, die freiheitlichen In¬
stitutionen der altdeutschen Verfassung beschränkt waren. Erst durch eine längere
geschichtliche Entwicklung wurden diese Unterschiede zwischen dem germanischen
und romanischen Theile der Bevölkerung aufgehoben, wenn sie auch sicher nie
so scharf gewesen sein mögen, als diese theoretische Betrachtung vermuthen
läßt. Auch wenn die Könige sich die Rechte der Kaiser über die Provincialen
zusprechen und dies im Allgemeinen anerkannt ward: so hatte doch der Römer,
der ja, wie wir sahen, ein lebendiges, oft einflußreiches Glied des Staates bildete,
jetzt einen andern Rechtsschutz als in dem alten Kaiserreiche, wo vor der All¬
gewalt der Beamten alles in gleicher Knechtschaft lag.

Ebenso wenig läßt sich bezweifeln, daß die Römer von vornherein nicht
Theil hatten an der Wahl des Nachfolgers eines verstorbenen Königs. Im
westgothischen Reiche werden sie dazu erst im Laufe des sechsten Jahrhunderts
gelangt sein.

In ähnlicher Weise standen die Römer auch in den übrigen germanischen
Staaten; auch in den nicht durch Vertrag gegründeten sind die Germanen
keineswegs die einzigen Träger politischer Rechte und politischen Lebens.

Zu diesem Resultat hat nun. wie oben bemerkt ist, die staatsrechtliche Ver¬
bindung germanischer Staaten mit Rom an ihrem Theile mitgewirkt. Zwar
ist nicht zu läugnen, daß die rechtliche Sicherung ihrer Stellung durch jene
Verträge der römischen Bevölkerung des abgetretenen Gebiets wenig genützt
haben würde, wenn sie nicht die Kraft besaß, die ihr zugesprochenen Rechte zu
behaupten, und wenn andrerseits die Germanen nicht empfänglich waren und
anerkennend für das, was jene in Ausübung ihrer Rechte dem gemeinsamen
Vaterlande leisteten: aber gleichgiltig ist doch eine solche rechtliche Zusicherung
nicht, zumal einem mit politischem Sinn begabten Volke gegenüber, wie die
Germanen waren. Zudem vermochte Rom bis in die sechziger Jahre deS
fünften Jahrhunderts — mit Ausnahme der Westgothen — diese Oberherr-
schaft factisch zu behaupten und also auch auf das Einhalten der eingegangenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/200>, abgerufen am 28.07.2024.