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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Toulouse vergeiselten Freund loszubitten gegen 430 zu Theodorich dem Ersten
kam, dort verweilte und den Knaben Theodorich den Vergil verstehen lehrte.
Ist dies auch vielleicht übertreibend gesagt, so entwirft doch Sidonius Apollinaris
ein Bild von dem täglichen Leben dieses Königs, das uns deutlich die Mischung
von germanischen und romanischen Bestandtheilen wiederspiegelt, welche diese
Staaten zusammensehen. Und Sidonius ist ein unterrichteter Zeuge. Gesteht
er doch selbst, daß er oft die Gelegenheit benutzte, um Theodorich eine Bitte
vorzutragen, wenn dieser nach Tisch sich am Brettspiel vergnügte und durch
glücklichen Sieg in freigebige Stimmung gerieth.

Allerdings besucht Theodorich noch regelmäßig den Marstall, die Schatz¬
kammer, spricht nach alter Weise Recht und weiß auf der Jagd mit nimmer
fehlendem Bogen, den ihm ein Knabe nachträgt, den er aber selbst spannt, das
Wild zu treffen -- aber er ist auch ein fein gebildeter Mann, an dessen eleganter
und doch einfacher Tafel sinniges Gespräch eine edlere Unterhaltung gewährt
als der wüste Lärm der Pauken und Wasserorgeln und der gemeine Scherz,
mit dem die Römer vielfach ihre von Ueberfeinerung abgestumpften Sinne während
des Essens zu reizen suchten.

An dem Hofe Eurichs. der meist als grausam und gewaltthätig verschrien
wird, finden wir sowohl Gelegenheitsdichter in Gunst, als auch einen vornehmen
Römer Leo, der zugleich Poet war. in der Stellung eines ersten Ministers.
Die Verhandlungen mit andern Reichen scheinen meist lateinisch geführt zu sein,
häufig sind katholische Bischöfe die Gesandten. Deutsche begegnen selten als
solche. Sogar der Führer einer Flotille, welche Eurich gegen die sächsischen
Piraten kreuzen ließ, war ein Römer und in gleicher Weise der oberste Beamte
in der neueroberten Auvergne.

Ein Freund des Sidonius Apollinaris mußte in dem gothischen Heere
dienen, welches Clermont belagerte, wo Sidonius Bischof und zugleich die Seele
des Widerstandes war. Diese Thatsache sowie die ähnliche, daß in der Schlacht,
durch welche Cblodwech das tolosanische Reich stürzte (507), der Sohn jenes
Sidonius an der Spitze der Bürger von Clermont heldenmüthig für die Gothen
kämpfte, sind schlagende Zeugnisse dafür, daß auch der Heerbann aus Gothen
und Römern bestand. Das Recht der Waffen war aber dem Deutschen das
wesentliche Zeichen politischer Berechtigung überhaupt. Sehen wir ja später
grade daran die Erniedrigung des deutschen Bauernstandes, daß ihnen die Ritter
nicht gestatteten Waffen zu führen. stießen sie doch einst einen ganzen Hansen
derselben ohne Erbarmen nieder, der einen Theil der kaiserlichen Armee gebildet
hatte, weil er sich etwas Ungebührliches angemaßt habe, indem er die verrostete
Wehre wieder hervorsuchte. Dieses Recht der Waffen stand den Römern also zu.
jedoch ist nicht zu sagen, ob sie nach einem andern Gesetz aufgeboten und zu
gesonderten Heerkörpern vereinigt wurden. Wenn aber die Aufstellung sich nicht


Toulouse vergeiselten Freund loszubitten gegen 430 zu Theodorich dem Ersten
kam, dort verweilte und den Knaben Theodorich den Vergil verstehen lehrte.
Ist dies auch vielleicht übertreibend gesagt, so entwirft doch Sidonius Apollinaris
ein Bild von dem täglichen Leben dieses Königs, das uns deutlich die Mischung
von germanischen und romanischen Bestandtheilen wiederspiegelt, welche diese
Staaten zusammensehen. Und Sidonius ist ein unterrichteter Zeuge. Gesteht
er doch selbst, daß er oft die Gelegenheit benutzte, um Theodorich eine Bitte
vorzutragen, wenn dieser nach Tisch sich am Brettspiel vergnügte und durch
glücklichen Sieg in freigebige Stimmung gerieth.

Allerdings besucht Theodorich noch regelmäßig den Marstall, die Schatz¬
kammer, spricht nach alter Weise Recht und weiß auf der Jagd mit nimmer
fehlendem Bogen, den ihm ein Knabe nachträgt, den er aber selbst spannt, das
Wild zu treffen — aber er ist auch ein fein gebildeter Mann, an dessen eleganter
und doch einfacher Tafel sinniges Gespräch eine edlere Unterhaltung gewährt
als der wüste Lärm der Pauken und Wasserorgeln und der gemeine Scherz,
mit dem die Römer vielfach ihre von Ueberfeinerung abgestumpften Sinne während
des Essens zu reizen suchten.

An dem Hofe Eurichs. der meist als grausam und gewaltthätig verschrien
wird, finden wir sowohl Gelegenheitsdichter in Gunst, als auch einen vornehmen
Römer Leo, der zugleich Poet war. in der Stellung eines ersten Ministers.
Die Verhandlungen mit andern Reichen scheinen meist lateinisch geführt zu sein,
häufig sind katholische Bischöfe die Gesandten. Deutsche begegnen selten als
solche. Sogar der Führer einer Flotille, welche Eurich gegen die sächsischen
Piraten kreuzen ließ, war ein Römer und in gleicher Weise der oberste Beamte
in der neueroberten Auvergne.

Ein Freund des Sidonius Apollinaris mußte in dem gothischen Heere
dienen, welches Clermont belagerte, wo Sidonius Bischof und zugleich die Seele
des Widerstandes war. Diese Thatsache sowie die ähnliche, daß in der Schlacht,
durch welche Cblodwech das tolosanische Reich stürzte (507), der Sohn jenes
Sidonius an der Spitze der Bürger von Clermont heldenmüthig für die Gothen
kämpfte, sind schlagende Zeugnisse dafür, daß auch der Heerbann aus Gothen
und Römern bestand. Das Recht der Waffen war aber dem Deutschen das
wesentliche Zeichen politischer Berechtigung überhaupt. Sehen wir ja später
grade daran die Erniedrigung des deutschen Bauernstandes, daß ihnen die Ritter
nicht gestatteten Waffen zu führen. stießen sie doch einst einen ganzen Hansen
derselben ohne Erbarmen nieder, der einen Theil der kaiserlichen Armee gebildet
hatte, weil er sich etwas Ungebührliches angemaßt habe, indem er die verrostete
Wehre wieder hervorsuchte. Dieses Recht der Waffen stand den Römern also zu.
jedoch ist nicht zu sagen, ob sie nach einem andern Gesetz aufgeboten und zu
gesonderten Heerkörpern vereinigt wurden. Wenn aber die Aufstellung sich nicht


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[0199] Toulouse vergeiselten Freund loszubitten gegen 430 zu Theodorich dem Ersten kam, dort verweilte und den Knaben Theodorich den Vergil verstehen lehrte. Ist dies auch vielleicht übertreibend gesagt, so entwirft doch Sidonius Apollinaris ein Bild von dem täglichen Leben dieses Königs, das uns deutlich die Mischung von germanischen und romanischen Bestandtheilen wiederspiegelt, welche diese Staaten zusammensehen. Und Sidonius ist ein unterrichteter Zeuge. Gesteht er doch selbst, daß er oft die Gelegenheit benutzte, um Theodorich eine Bitte vorzutragen, wenn dieser nach Tisch sich am Brettspiel vergnügte und durch glücklichen Sieg in freigebige Stimmung gerieth. Allerdings besucht Theodorich noch regelmäßig den Marstall, die Schatz¬ kammer, spricht nach alter Weise Recht und weiß auf der Jagd mit nimmer fehlendem Bogen, den ihm ein Knabe nachträgt, den er aber selbst spannt, das Wild zu treffen — aber er ist auch ein fein gebildeter Mann, an dessen eleganter und doch einfacher Tafel sinniges Gespräch eine edlere Unterhaltung gewährt als der wüste Lärm der Pauken und Wasserorgeln und der gemeine Scherz, mit dem die Römer vielfach ihre von Ueberfeinerung abgestumpften Sinne während des Essens zu reizen suchten. An dem Hofe Eurichs. der meist als grausam und gewaltthätig verschrien wird, finden wir sowohl Gelegenheitsdichter in Gunst, als auch einen vornehmen Römer Leo, der zugleich Poet war. in der Stellung eines ersten Ministers. Die Verhandlungen mit andern Reichen scheinen meist lateinisch geführt zu sein, häufig sind katholische Bischöfe die Gesandten. Deutsche begegnen selten als solche. Sogar der Führer einer Flotille, welche Eurich gegen die sächsischen Piraten kreuzen ließ, war ein Römer und in gleicher Weise der oberste Beamte in der neueroberten Auvergne. Ein Freund des Sidonius Apollinaris mußte in dem gothischen Heere dienen, welches Clermont belagerte, wo Sidonius Bischof und zugleich die Seele des Widerstandes war. Diese Thatsache sowie die ähnliche, daß in der Schlacht, durch welche Cblodwech das tolosanische Reich stürzte (507), der Sohn jenes Sidonius an der Spitze der Bürger von Clermont heldenmüthig für die Gothen kämpfte, sind schlagende Zeugnisse dafür, daß auch der Heerbann aus Gothen und Römern bestand. Das Recht der Waffen war aber dem Deutschen das wesentliche Zeichen politischer Berechtigung überhaupt. Sehen wir ja später grade daran die Erniedrigung des deutschen Bauernstandes, daß ihnen die Ritter nicht gestatteten Waffen zu führen. stießen sie doch einst einen ganzen Hansen derselben ohne Erbarmen nieder, der einen Theil der kaiserlichen Armee gebildet hatte, weil er sich etwas Ungebührliches angemaßt habe, indem er die verrostete Wehre wieder hervorsuchte. Dieses Recht der Waffen stand den Römern also zu. jedoch ist nicht zu sagen, ob sie nach einem andern Gesetz aufgeboten und zu gesonderten Heerkörpern vereinigt wurden. Wenn aber die Aufstellung sich nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/199>, abgerufen am 01.09.2024.