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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Welche die pyrenäische Halbinsel verheerten, und erhielten im Jahr 419 das
Land westlich von Narbonne bis ans Meer zur Ansiedelung. Schon nach
wenigen Jahren sehen wir den Nachfolger Wallinö, Theodorich den Ersten
(419--451) siegreich aus einem Krieg mit Rom hervorgehen und auch später
in mannigfachen Kämpfen (namentlich 439) diese Selbständigkeit behaupten.
Zur Zeit, da Attila die christlichen Lande bedrohte, galten Westgothen und
Römer als die Herrn von Gallien. selbständig stand das tolosanische Reich
neben dem römischen Imperium, dem Heldenmuthe Theodorichs dankten die
Völker vorzugsweise den Sieg über die Hunnen. Die größte Blüthe erreichte
das Land unter König Eurich (467--83) und ward unter dessen Sohne 507
von Chlodwech vernichtet. Seitdem blieb der Schwerpunkt westgothischer Macht
in Spanien, und auch der schmale Strich Landes, der ihnen jenseit der Pyrenäen
belassen war, ging später an die Franken verloren.

Der Vertrag von 419 sicherte ohne Zweifel den Provincialen ein Drittel
ihres Grundbesitzes und damit die Grundlage ihrer politischen Bedeutung.
Die Abtretung der andern zwei Drittel war übrigens leichter möglich, als es
uns jetzt vielleicht scheinen mag, weil der Grundbesitz zum großen Theil in den
Händen des unendlich reichen Adels concentrirt war und von "Colonen" d. h.
hörigen, kaum sich über den Sklaven erhebenden Leuten bebaut ward. Jene
Reichen behielten auch mit ihrem Drittel noch einen ansehnlichen Bestand, die
Lage der Colonen aber besserte sich durch die Einwanderung der Westgothen
bedeutend, wie das Gesetzbuch derselben erweist. Sie mußte es schon dadurch,
daß die Arbeit überhaupt wieder zu Ehren kam. daß ein Mann, der im Schweiße
seines Angesichts seinen Acker pflügte, gleiches Recht hatte und auch wirkliche
gleiche Ansprüche in öffentlichen Dingen erhob wie die hohen Herrn, welche
auf ihren verschwenderisch ausgestatteten Villen die Zeit mit raffinirt-üppigem
oder geistreich-spielendem Nichtsthun verdarben.

Von entscheidender Wichtigkeit war es nun, daß die Gothen nicht auf
einem zusammenhängenden Bezirke siedelten, sondern gleich wie die Burgunder!
und Ostgothen die einzelnen Grundstücke mit den frühern Eigenthümern theilten.
In bunter Mischung wohnten Gothen und Römer neben und unter einander.

Freilich waren sie durch Religion, durch Recht und Sitte von einander
getrennt. Die Gothen waren Arianer, die Römer Katholiken, und es ist be.
kannt, wie heftig sich diese Bekenntnisse anfeindeten und verfolgten. Auch hat
man schreckliche Dinge zu erzählen gewußt von den Leiden, welche die Katholiken
namentlich von König Eurich zu erdulden hatten. Aber die Geschichte weiß
nur von allerdings durchgreifenden Maßregeln Eurichs gegen die katholischen
Bischöfe während seines Kampfes mit Rom, offenbar weil'sie, gegen ihn in-
tnguirten. für seine Feinde thätig waren. Diese Maßregeln schildert noch vor
dem Ende des Kampfes Sidonius Apollinaris, einer der hartnäckigsten Gegner


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Welche die pyrenäische Halbinsel verheerten, und erhielten im Jahr 419 das
Land westlich von Narbonne bis ans Meer zur Ansiedelung. Schon nach
wenigen Jahren sehen wir den Nachfolger Wallinö, Theodorich den Ersten
(419—451) siegreich aus einem Krieg mit Rom hervorgehen und auch später
in mannigfachen Kämpfen (namentlich 439) diese Selbständigkeit behaupten.
Zur Zeit, da Attila die christlichen Lande bedrohte, galten Westgothen und
Römer als die Herrn von Gallien. selbständig stand das tolosanische Reich
neben dem römischen Imperium, dem Heldenmuthe Theodorichs dankten die
Völker vorzugsweise den Sieg über die Hunnen. Die größte Blüthe erreichte
das Land unter König Eurich (467—83) und ward unter dessen Sohne 507
von Chlodwech vernichtet. Seitdem blieb der Schwerpunkt westgothischer Macht
in Spanien, und auch der schmale Strich Landes, der ihnen jenseit der Pyrenäen
belassen war, ging später an die Franken verloren.

Der Vertrag von 419 sicherte ohne Zweifel den Provincialen ein Drittel
ihres Grundbesitzes und damit die Grundlage ihrer politischen Bedeutung.
Die Abtretung der andern zwei Drittel war übrigens leichter möglich, als es
uns jetzt vielleicht scheinen mag, weil der Grundbesitz zum großen Theil in den
Händen des unendlich reichen Adels concentrirt war und von „Colonen" d. h.
hörigen, kaum sich über den Sklaven erhebenden Leuten bebaut ward. Jene
Reichen behielten auch mit ihrem Drittel noch einen ansehnlichen Bestand, die
Lage der Colonen aber besserte sich durch die Einwanderung der Westgothen
bedeutend, wie das Gesetzbuch derselben erweist. Sie mußte es schon dadurch,
daß die Arbeit überhaupt wieder zu Ehren kam. daß ein Mann, der im Schweiße
seines Angesichts seinen Acker pflügte, gleiches Recht hatte und auch wirkliche
gleiche Ansprüche in öffentlichen Dingen erhob wie die hohen Herrn, welche
auf ihren verschwenderisch ausgestatteten Villen die Zeit mit raffinirt-üppigem
oder geistreich-spielendem Nichtsthun verdarben.

Von entscheidender Wichtigkeit war es nun, daß die Gothen nicht auf
einem zusammenhängenden Bezirke siedelten, sondern gleich wie die Burgunder!
und Ostgothen die einzelnen Grundstücke mit den frühern Eigenthümern theilten.
In bunter Mischung wohnten Gothen und Römer neben und unter einander.

Freilich waren sie durch Religion, durch Recht und Sitte von einander
getrennt. Die Gothen waren Arianer, die Römer Katholiken, und es ist be.
kannt, wie heftig sich diese Bekenntnisse anfeindeten und verfolgten. Auch hat
man schreckliche Dinge zu erzählen gewußt von den Leiden, welche die Katholiken
namentlich von König Eurich zu erdulden hatten. Aber die Geschichte weiß
nur von allerdings durchgreifenden Maßregeln Eurichs gegen die katholischen
Bischöfe während seines Kampfes mit Rom, offenbar weil'sie, gegen ihn in-
tnguirten. für seine Feinde thätig waren. Diese Maßregeln schildert noch vor
dem Ende des Kampfes Sidonius Apollinaris, einer der hartnäckigsten Gegner


23*
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[0197] Welche die pyrenäische Halbinsel verheerten, und erhielten im Jahr 419 das Land westlich von Narbonne bis ans Meer zur Ansiedelung. Schon nach wenigen Jahren sehen wir den Nachfolger Wallinö, Theodorich den Ersten (419—451) siegreich aus einem Krieg mit Rom hervorgehen und auch später in mannigfachen Kämpfen (namentlich 439) diese Selbständigkeit behaupten. Zur Zeit, da Attila die christlichen Lande bedrohte, galten Westgothen und Römer als die Herrn von Gallien. selbständig stand das tolosanische Reich neben dem römischen Imperium, dem Heldenmuthe Theodorichs dankten die Völker vorzugsweise den Sieg über die Hunnen. Die größte Blüthe erreichte das Land unter König Eurich (467—83) und ward unter dessen Sohne 507 von Chlodwech vernichtet. Seitdem blieb der Schwerpunkt westgothischer Macht in Spanien, und auch der schmale Strich Landes, der ihnen jenseit der Pyrenäen belassen war, ging später an die Franken verloren. Der Vertrag von 419 sicherte ohne Zweifel den Provincialen ein Drittel ihres Grundbesitzes und damit die Grundlage ihrer politischen Bedeutung. Die Abtretung der andern zwei Drittel war übrigens leichter möglich, als es uns jetzt vielleicht scheinen mag, weil der Grundbesitz zum großen Theil in den Händen des unendlich reichen Adels concentrirt war und von „Colonen" d. h. hörigen, kaum sich über den Sklaven erhebenden Leuten bebaut ward. Jene Reichen behielten auch mit ihrem Drittel noch einen ansehnlichen Bestand, die Lage der Colonen aber besserte sich durch die Einwanderung der Westgothen bedeutend, wie das Gesetzbuch derselben erweist. Sie mußte es schon dadurch, daß die Arbeit überhaupt wieder zu Ehren kam. daß ein Mann, der im Schweiße seines Angesichts seinen Acker pflügte, gleiches Recht hatte und auch wirkliche gleiche Ansprüche in öffentlichen Dingen erhob wie die hohen Herrn, welche auf ihren verschwenderisch ausgestatteten Villen die Zeit mit raffinirt-üppigem oder geistreich-spielendem Nichtsthun verdarben. Von entscheidender Wichtigkeit war es nun, daß die Gothen nicht auf einem zusammenhängenden Bezirke siedelten, sondern gleich wie die Burgunder! und Ostgothen die einzelnen Grundstücke mit den frühern Eigenthümern theilten. In bunter Mischung wohnten Gothen und Römer neben und unter einander. Freilich waren sie durch Religion, durch Recht und Sitte von einander getrennt. Die Gothen waren Arianer, die Römer Katholiken, und es ist be. kannt, wie heftig sich diese Bekenntnisse anfeindeten und verfolgten. Auch hat man schreckliche Dinge zu erzählen gewußt von den Leiden, welche die Katholiken namentlich von König Eurich zu erdulden hatten. Aber die Geschichte weiß nur von allerdings durchgreifenden Maßregeln Eurichs gegen die katholischen Bischöfe während seines Kampfes mit Rom, offenbar weil'sie, gegen ihn in- tnguirten. für seine Feinde thätig waren. Diese Maßregeln schildert noch vor dem Ende des Kampfes Sidonius Apollinaris, einer der hartnäckigsten Gegner 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/197>, abgerufen am 28.07.2024.