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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und treu sie in Zeichnung und Ausdruck gerathen mögen, -- von der wirklichen
Tonstimmung des Bildes erhalten wir durch sie einen falschen Begriff. Oft
genug einen viel zu günstigen. Bei kalt und flau gemalten Bildern schmeichelt
die Photographie in der merkwürdigsten Weise; erweckt Vorstellungen von dem
Original, welche dieses, wenn wir es dann selbst sehn, keineswegs erfüllt-
Aber andrerseits ist sie den meisterlichsten tief und warmtönig gemalten Bildern
feindlich; die Gemälde der großen Heroen der Farbe werden nur ausnahmsweise
und durch besondre Nach- und Aushilfen photographisch möglich. Rembrandts
und Tizians Goldton wird zur trüben Schwärze. Und da die Photographie
ohne Wahl als blinde Naturkraft auch copirend arbeitet, so bleibt sie nicht bei
dem, was des Malers Hand auf die Fläche brachte, stehen, sondern giebt mit
derselben gleichgiltigen Objectivität auch daS ebenso genaue Bild dieser Fläche
selbst, die wirklichen Streifschatten und Glanzlichter der starken Leinwandfaser,
die Flecken und Risse des Alters, die Sprünge der Wand, die höher und tiefer
stark impastirten Stellen, die materielle Spur eines derben Farbenauftrags, wie
sie mit unerreichbarer Treue das wiederspiegelt, was inmitten all dieser endlichen
Zufälligkeiten als des Malers eigentliches Werk heraustritt. Grade diese
Eigenschaft, welche die Photographien unmittelbar nach Gemälden dem Künstler
so interessant und lehrreich macht, wird immer verhindern, daß sie in der Gunst
und Schätzung des Publikums den Kupferstich verdrängen, wenn jenem sich
auch oft genug die Frage aufdrängt, ob eine reproducirende Kunst, wie die
des letztern, überhaupt noch Lebensfähigkeit und Berechtigung habe, welche mit
einem Aufwands unsäglicher Mühe, Zeit und Arbeit schließlich ein Resultat er¬
reicht, das sich auch im besten Fall in Bezug aus das Wesentlichste, auf die
volle Bewahrung und Wiedergabe des undefinirbaren Hauchs des Originals,
nicht entfernt mit einer Technik messen kann, welche grade das ohne jede Ab"
sorbirung von Menschen- und Geisteskraft und Arbeit durch einen mechanischen
Proceß von wenigen Minuten Dauer aufs vollkommenste erzielt.

Wenn trotz solcher Künstlermeinungen der Kupfer- und Schwarzkunststich
noch immer so hoch wie nur je in der öffentlichen Schätzung steht (ich erinnere
nur an den neulichen glänzenden Erfolg des mandelschen Blattes der Madonna
della Sedia), so macht sich in Bezug auf die schöne Kunst der Steinzeichnung
die sieghafte Ueberlegenheit der Photographie desto fühlbarer geltend. Grade
auf der vor einigen Jahren in Frankreich durch Mouilleron, in Deutschland
durch Feckert und Milster erreichten höchsten Stufe ihrer Ausbildung sieht sich
die Steinzeichnung durch diese Mitbewerberin so überflüssig gemacht, daß ihre
besten Meister entweder ins Lager dieser übergehn oder sich spät noch zur Malerei
wenden. Eine andre Aussicht, die Photographie auch zum Ersatz der dritten
der reproducirenden und vervielfältigenden Künste, des Holzschnitts, werden zu
sehn, gewinnt durch die Erfindung der Photolithographie entschieden an Wahr-


und treu sie in Zeichnung und Ausdruck gerathen mögen, — von der wirklichen
Tonstimmung des Bildes erhalten wir durch sie einen falschen Begriff. Oft
genug einen viel zu günstigen. Bei kalt und flau gemalten Bildern schmeichelt
die Photographie in der merkwürdigsten Weise; erweckt Vorstellungen von dem
Original, welche dieses, wenn wir es dann selbst sehn, keineswegs erfüllt-
Aber andrerseits ist sie den meisterlichsten tief und warmtönig gemalten Bildern
feindlich; die Gemälde der großen Heroen der Farbe werden nur ausnahmsweise
und durch besondre Nach- und Aushilfen photographisch möglich. Rembrandts
und Tizians Goldton wird zur trüben Schwärze. Und da die Photographie
ohne Wahl als blinde Naturkraft auch copirend arbeitet, so bleibt sie nicht bei
dem, was des Malers Hand auf die Fläche brachte, stehen, sondern giebt mit
derselben gleichgiltigen Objectivität auch daS ebenso genaue Bild dieser Fläche
selbst, die wirklichen Streifschatten und Glanzlichter der starken Leinwandfaser,
die Flecken und Risse des Alters, die Sprünge der Wand, die höher und tiefer
stark impastirten Stellen, die materielle Spur eines derben Farbenauftrags, wie
sie mit unerreichbarer Treue das wiederspiegelt, was inmitten all dieser endlichen
Zufälligkeiten als des Malers eigentliches Werk heraustritt. Grade diese
Eigenschaft, welche die Photographien unmittelbar nach Gemälden dem Künstler
so interessant und lehrreich macht, wird immer verhindern, daß sie in der Gunst
und Schätzung des Publikums den Kupferstich verdrängen, wenn jenem sich
auch oft genug die Frage aufdrängt, ob eine reproducirende Kunst, wie die
des letztern, überhaupt noch Lebensfähigkeit und Berechtigung habe, welche mit
einem Aufwands unsäglicher Mühe, Zeit und Arbeit schließlich ein Resultat er¬
reicht, das sich auch im besten Fall in Bezug aus das Wesentlichste, auf die
volle Bewahrung und Wiedergabe des undefinirbaren Hauchs des Originals,
nicht entfernt mit einer Technik messen kann, welche grade das ohne jede Ab»
sorbirung von Menschen- und Geisteskraft und Arbeit durch einen mechanischen
Proceß von wenigen Minuten Dauer aufs vollkommenste erzielt.

Wenn trotz solcher Künstlermeinungen der Kupfer- und Schwarzkunststich
noch immer so hoch wie nur je in der öffentlichen Schätzung steht (ich erinnere
nur an den neulichen glänzenden Erfolg des mandelschen Blattes der Madonna
della Sedia), so macht sich in Bezug auf die schöne Kunst der Steinzeichnung
die sieghafte Ueberlegenheit der Photographie desto fühlbarer geltend. Grade
auf der vor einigen Jahren in Frankreich durch Mouilleron, in Deutschland
durch Feckert und Milster erreichten höchsten Stufe ihrer Ausbildung sieht sich
die Steinzeichnung durch diese Mitbewerberin so überflüssig gemacht, daß ihre
besten Meister entweder ins Lager dieser übergehn oder sich spät noch zur Malerei
wenden. Eine andre Aussicht, die Photographie auch zum Ersatz der dritten
der reproducirenden und vervielfältigenden Künste, des Holzschnitts, werden zu
sehn, gewinnt durch die Erfindung der Photolithographie entschieden an Wahr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/190>, abgerufen am 28.07.2024.