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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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aus dieser allgemeinen Fluth ein edleres Theil zu retten. Ehrgeiz und eigner
Vortheil drangen die Photographen von selbst in solche bessere Richtung. Denn
gegen die Thatsache kann man sich auch nicht mehr verschließen, daß die Ueber¬
sättigung an dem gewöhnlich Gewordnen, wie es auf allen Gebieten geschehn
wird, die Menschen grade zur Schätzung, zur Liebe, zum Begehren des durch
jenes vordem in den Hintergrund Gedrängten zurückgeführt hat: selten hat die
große Porträtmalerei sich einer solchen Gunst zu erfreuen gehabt, wie seit etwa
zwei Jahren. Das kleine Gewürm der mit geringem Talent, mit bescheidner
Kunst sich ehedem ganz erträglich durchs Leben, ja sogar zu Geld, Titel und
Namen durchstümpernden Porträtisten ist von der photographischen Fabrik¬
industrie, so scheint es, fast verschlungen und absorbirt worden; es ist wirklich
kein Schade, und wir freuen uns, daß unsre Enkel mit solchen Zerrbildern
ihrer Großväter und Väter verschont bleiben werden, wie die, welche uns das
interessante Geschlecht des gemeinen deutschen Porträtmalers der ersten vierzig
Jahre dieses Jahrhunderts von den unsern geschaffen und überliefert hat. Aber
jeder wirklich tüchtige Meister mit Talent, Geist und -- Farbe ausgerüstet,
weiß die Fülle der Aufträge zu Bildnissen, welche ihn gegenwärtig heimsuchen,
kaum zu bewältigen, trotz der Millionen von Porträts, welche so viel unaus¬
gesetzt arbeitende photographische Maschinen fort und fort in die Welt werfen.
Neben den bereits für diese Erscheinung angeführten Gründen wirkt noch ein
andrer mächtiger Factor mit, um sie hervorzurufen: das natürliche Verlangen
nach der Farbe und die Unfähigkeit der Photographie diese zu geben, ja sogar
sie auch nur genau richtig, wirklichen Tonverhältnissen und Werthen entsprechend
zu übersetzen. Ob das Problem des farbigen Lichtbildes je gelöst wird, ob es
überhaupt zu lösen ist, wollen wir weder bejahen noch verneinen. Sind doch
selbst unter den kundigsten und gelehrtesten Chemikern und Optikern die Meinungen
darüber direct widersprechend. Daß die Photographie die Farbe nicht richtig
übersetzt, ist bekanntlich nicht ein zeitliches, sondern ein unüversteigliches natur-
geseßlich begründetes Hinderniß ihres sonst so Unbegrenzten Reproductions-
vermögens. Die chemische Wirkung der farbigen Strahlen ist nicht ihrer optischen
entsprechend. Das leuchtendste Goldgelb, das flammendste Roth erzeugt im
photographischen Bilde immer und unter allen Umständen tief dunkle Töne,
das tiefste Blau und Violet dagegen noch hellweißliche. nachherige künstliche .
Netouchen, Nachhilfe durch die künstlerische Hand, sei es auf der negativen
Platte, sei es auf dem positiven Bilde, kluge Mittelchen, auf das zu copirende
Object selbst angewandt (z. B. das beliebte "Pudern" der gelblichen Haare, der
braunen und röthlichen Töne der Haut) vermögen diesen Mangel doch nur
theilweis abzuwehren oder zu verbergen. Er wird nicht minder fühlbar da,
wo die Photographie als Reproductionsmittel des malerischen Kunstwerks
auftritt. --


aus dieser allgemeinen Fluth ein edleres Theil zu retten. Ehrgeiz und eigner
Vortheil drangen die Photographen von selbst in solche bessere Richtung. Denn
gegen die Thatsache kann man sich auch nicht mehr verschließen, daß die Ueber¬
sättigung an dem gewöhnlich Gewordnen, wie es auf allen Gebieten geschehn
wird, die Menschen grade zur Schätzung, zur Liebe, zum Begehren des durch
jenes vordem in den Hintergrund Gedrängten zurückgeführt hat: selten hat die
große Porträtmalerei sich einer solchen Gunst zu erfreuen gehabt, wie seit etwa
zwei Jahren. Das kleine Gewürm der mit geringem Talent, mit bescheidner
Kunst sich ehedem ganz erträglich durchs Leben, ja sogar zu Geld, Titel und
Namen durchstümpernden Porträtisten ist von der photographischen Fabrik¬
industrie, so scheint es, fast verschlungen und absorbirt worden; es ist wirklich
kein Schade, und wir freuen uns, daß unsre Enkel mit solchen Zerrbildern
ihrer Großväter und Väter verschont bleiben werden, wie die, welche uns das
interessante Geschlecht des gemeinen deutschen Porträtmalers der ersten vierzig
Jahre dieses Jahrhunderts von den unsern geschaffen und überliefert hat. Aber
jeder wirklich tüchtige Meister mit Talent, Geist und — Farbe ausgerüstet,
weiß die Fülle der Aufträge zu Bildnissen, welche ihn gegenwärtig heimsuchen,
kaum zu bewältigen, trotz der Millionen von Porträts, welche so viel unaus¬
gesetzt arbeitende photographische Maschinen fort und fort in die Welt werfen.
Neben den bereits für diese Erscheinung angeführten Gründen wirkt noch ein
andrer mächtiger Factor mit, um sie hervorzurufen: das natürliche Verlangen
nach der Farbe und die Unfähigkeit der Photographie diese zu geben, ja sogar
sie auch nur genau richtig, wirklichen Tonverhältnissen und Werthen entsprechend
zu übersetzen. Ob das Problem des farbigen Lichtbildes je gelöst wird, ob es
überhaupt zu lösen ist, wollen wir weder bejahen noch verneinen. Sind doch
selbst unter den kundigsten und gelehrtesten Chemikern und Optikern die Meinungen
darüber direct widersprechend. Daß die Photographie die Farbe nicht richtig
übersetzt, ist bekanntlich nicht ein zeitliches, sondern ein unüversteigliches natur-
geseßlich begründetes Hinderniß ihres sonst so Unbegrenzten Reproductions-
vermögens. Die chemische Wirkung der farbigen Strahlen ist nicht ihrer optischen
entsprechend. Das leuchtendste Goldgelb, das flammendste Roth erzeugt im
photographischen Bilde immer und unter allen Umständen tief dunkle Töne,
das tiefste Blau und Violet dagegen noch hellweißliche. nachherige künstliche .
Netouchen, Nachhilfe durch die künstlerische Hand, sei es auf der negativen
Platte, sei es auf dem positiven Bilde, kluge Mittelchen, auf das zu copirende
Object selbst angewandt (z. B. das beliebte „Pudern" der gelblichen Haare, der
braunen und röthlichen Töne der Haut) vermögen diesen Mangel doch nur
theilweis abzuwehren oder zu verbergen. Er wird nicht minder fühlbar da,
wo die Photographie als Reproductionsmittel des malerischen Kunstwerks
auftritt. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/188>, abgerufen am 28.07.2024.