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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Ohne Zweifel gab es schon bald nach der Wiederherstellung des Gottes¬
dienstes Sammlungen religiöser Lieder. Eine derartige Sammlung bildeten
Z. B. die kurzen, meist kräftigen, etwa dem fünften Jahrhundert vor Chr. an-
gehörigen Lieder Psalm 120--134. Wenn auch ohne officielle Autorität, konnten
solche Gesangbücher doch leicht zu einem besondern Ansehn gelangen. So bil¬
deten wohl die jetzt als Psalme der Söhne Korahs bezeichneten eigentlich ein
Gesangbuch für das levitische Sängergeschlecht dieses Namens, und vielleicht
verhielt es sich ähnlich mit denen, welche dem Asaf und andern etwas mythischen
Sängern zugeschrieben werden, obgleich schon die Chronik (II, 29, 30) den
Asaf als den Verfasser ansieht. Aus der Bestimmung dieser Bücher zum gottes¬
dienstlichen Gebrauch schreiben sich nun auch wohl die musikalischen Ueber¬
schriften her. Wenn auch die Lyrik ursprünglich bei den Hebräern, wie bei
andern Völkern, zunächst für den Gesang bestimmt war, zu dem sich leicht musi¬
kalische Begleitung und auch Wohl Reigentanz gesellte (vgl. 2. Mose 15, 20;
1. Sam. 18, 6; Amos 6. 5 u. s. w.). so ist doch nicht anzunehmen, daß bei
der spätern Entwickelung immer an den Gesang gedacht wurde; ich kann mir
wenigstens nicht vorstellen, daß die jammernden Klagelieder oder die im Lehrton
gehaltenen Psalme von den Dichtern zunächst zum Singen bestimmt seien.
Allein sobald diese Lieder liturgisch verwerthet werden sollten, ward eine musi¬
kalische Bearbeitung nöthig. Für den Kenner genügten ein paar Andeutungen,
Wie sie die Ueberschriften zum Theil geben; für uns, die durch keine Tradition
mit jener Tempelmusik in Verbindung stehn, sind sie sämmtlich fast ganz un¬
verständlich. Hatte sich doch schon im Anfang unsrer Aera das Verständniß
dieser Bezeichnungen bei den Juden selbst in Palästina gänzlich verloren. Auch
sonst enthalten diese zum Theil gewiß aus den ältern Psalmensammlungcn
übernommenen Ueberschriften für uns manches Dunkle.

Aus derartigen kleineren Sammlungen ist nun ohne Zweifel unser jetziges
Psalmenbuch zusammengestellt. Aus der Art der Ueber- und Beischriften, der
Anordnung der Lieder, dem Inhalt und selbst der Textbehandlung läßt sich
noch manches über den Umfang und die Art jener mehr oder weniger bestimmt
erkennen. Ich bemerke hier nur, daß der Psalter aus drei Hauptsammlungen
besteht, welche jetzt resp, das erste, das zweite und dritte, das vierte und fünfte
Buch bilden. Die beiden letzten Bücher, welche wahrscheinlich schon früher in
Zwei Abtheilungen zerfielen, bildeten eine Sammlung von Lobliedern, meistens
liturgischer Art und heben sich in ihrem Inhalt und ihrer äußern Behandlung
stark von den frühern Theilen ab; doch scheinen in sie. wohl noch vor der
Bereinigung mit diesen, verschiedene andere Lieder und Liedcrgruppen einge¬
schaltet zu sein, wie Psalm 119, die Sammlung Psalm 120--134, und der
wehmüthig klagende, gemüthvolle Psalm 90. welchen man an die Spitze stellte,
!veil man ihn nach einer schönen, wenn auch" durchaus ungeschichtlichen Fiction


Brenzboten II. 186S.18

Ohne Zweifel gab es schon bald nach der Wiederherstellung des Gottes¬
dienstes Sammlungen religiöser Lieder. Eine derartige Sammlung bildeten
Z. B. die kurzen, meist kräftigen, etwa dem fünften Jahrhundert vor Chr. an-
gehörigen Lieder Psalm 120—134. Wenn auch ohne officielle Autorität, konnten
solche Gesangbücher doch leicht zu einem besondern Ansehn gelangen. So bil¬
deten wohl die jetzt als Psalme der Söhne Korahs bezeichneten eigentlich ein
Gesangbuch für das levitische Sängergeschlecht dieses Namens, und vielleicht
verhielt es sich ähnlich mit denen, welche dem Asaf und andern etwas mythischen
Sängern zugeschrieben werden, obgleich schon die Chronik (II, 29, 30) den
Asaf als den Verfasser ansieht. Aus der Bestimmung dieser Bücher zum gottes¬
dienstlichen Gebrauch schreiben sich nun auch wohl die musikalischen Ueber¬
schriften her. Wenn auch die Lyrik ursprünglich bei den Hebräern, wie bei
andern Völkern, zunächst für den Gesang bestimmt war, zu dem sich leicht musi¬
kalische Begleitung und auch Wohl Reigentanz gesellte (vgl. 2. Mose 15, 20;
1. Sam. 18, 6; Amos 6. 5 u. s. w.). so ist doch nicht anzunehmen, daß bei
der spätern Entwickelung immer an den Gesang gedacht wurde; ich kann mir
wenigstens nicht vorstellen, daß die jammernden Klagelieder oder die im Lehrton
gehaltenen Psalme von den Dichtern zunächst zum Singen bestimmt seien.
Allein sobald diese Lieder liturgisch verwerthet werden sollten, ward eine musi¬
kalische Bearbeitung nöthig. Für den Kenner genügten ein paar Andeutungen,
Wie sie die Ueberschriften zum Theil geben; für uns, die durch keine Tradition
mit jener Tempelmusik in Verbindung stehn, sind sie sämmtlich fast ganz un¬
verständlich. Hatte sich doch schon im Anfang unsrer Aera das Verständniß
dieser Bezeichnungen bei den Juden selbst in Palästina gänzlich verloren. Auch
sonst enthalten diese zum Theil gewiß aus den ältern Psalmensammlungcn
übernommenen Ueberschriften für uns manches Dunkle.

Aus derartigen kleineren Sammlungen ist nun ohne Zweifel unser jetziges
Psalmenbuch zusammengestellt. Aus der Art der Ueber- und Beischriften, der
Anordnung der Lieder, dem Inhalt und selbst der Textbehandlung läßt sich
noch manches über den Umfang und die Art jener mehr oder weniger bestimmt
erkennen. Ich bemerke hier nur, daß der Psalter aus drei Hauptsammlungen
besteht, welche jetzt resp, das erste, das zweite und dritte, das vierte und fünfte
Buch bilden. Die beiden letzten Bücher, welche wahrscheinlich schon früher in
Zwei Abtheilungen zerfielen, bildeten eine Sammlung von Lobliedern, meistens
liturgischer Art und heben sich in ihrem Inhalt und ihrer äußern Behandlung
stark von den frühern Theilen ab; doch scheinen in sie. wohl noch vor der
Bereinigung mit diesen, verschiedene andere Lieder und Liedcrgruppen einge¬
schaltet zu sein, wie Psalm 119, die Sammlung Psalm 120—134, und der
wehmüthig klagende, gemüthvolle Psalm 90. welchen man an die Spitze stellte,
!veil man ihn nach einer schönen, wenn auch« durchaus ungeschichtlichen Fiction


Brenzboten II. 186S.18
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[0153] Ohne Zweifel gab es schon bald nach der Wiederherstellung des Gottes¬ dienstes Sammlungen religiöser Lieder. Eine derartige Sammlung bildeten Z. B. die kurzen, meist kräftigen, etwa dem fünften Jahrhundert vor Chr. an- gehörigen Lieder Psalm 120—134. Wenn auch ohne officielle Autorität, konnten solche Gesangbücher doch leicht zu einem besondern Ansehn gelangen. So bil¬ deten wohl die jetzt als Psalme der Söhne Korahs bezeichneten eigentlich ein Gesangbuch für das levitische Sängergeschlecht dieses Namens, und vielleicht verhielt es sich ähnlich mit denen, welche dem Asaf und andern etwas mythischen Sängern zugeschrieben werden, obgleich schon die Chronik (II, 29, 30) den Asaf als den Verfasser ansieht. Aus der Bestimmung dieser Bücher zum gottes¬ dienstlichen Gebrauch schreiben sich nun auch wohl die musikalischen Ueber¬ schriften her. Wenn auch die Lyrik ursprünglich bei den Hebräern, wie bei andern Völkern, zunächst für den Gesang bestimmt war, zu dem sich leicht musi¬ kalische Begleitung und auch Wohl Reigentanz gesellte (vgl. 2. Mose 15, 20; 1. Sam. 18, 6; Amos 6. 5 u. s. w.). so ist doch nicht anzunehmen, daß bei der spätern Entwickelung immer an den Gesang gedacht wurde; ich kann mir wenigstens nicht vorstellen, daß die jammernden Klagelieder oder die im Lehrton gehaltenen Psalme von den Dichtern zunächst zum Singen bestimmt seien. Allein sobald diese Lieder liturgisch verwerthet werden sollten, ward eine musi¬ kalische Bearbeitung nöthig. Für den Kenner genügten ein paar Andeutungen, Wie sie die Ueberschriften zum Theil geben; für uns, die durch keine Tradition mit jener Tempelmusik in Verbindung stehn, sind sie sämmtlich fast ganz un¬ verständlich. Hatte sich doch schon im Anfang unsrer Aera das Verständniß dieser Bezeichnungen bei den Juden selbst in Palästina gänzlich verloren. Auch sonst enthalten diese zum Theil gewiß aus den ältern Psalmensammlungcn übernommenen Ueberschriften für uns manches Dunkle. Aus derartigen kleineren Sammlungen ist nun ohne Zweifel unser jetziges Psalmenbuch zusammengestellt. Aus der Art der Ueber- und Beischriften, der Anordnung der Lieder, dem Inhalt und selbst der Textbehandlung läßt sich noch manches über den Umfang und die Art jener mehr oder weniger bestimmt erkennen. Ich bemerke hier nur, daß der Psalter aus drei Hauptsammlungen besteht, welche jetzt resp, das erste, das zweite und dritte, das vierte und fünfte Buch bilden. Die beiden letzten Bücher, welche wahrscheinlich schon früher in Zwei Abtheilungen zerfielen, bildeten eine Sammlung von Lobliedern, meistens liturgischer Art und heben sich in ihrem Inhalt und ihrer äußern Behandlung stark von den frühern Theilen ab; doch scheinen in sie. wohl noch vor der Bereinigung mit diesen, verschiedene andere Lieder und Liedcrgruppen einge¬ schaltet zu sein, wie Psalm 119, die Sammlung Psalm 120—134, und der wehmüthig klagende, gemüthvolle Psalm 90. welchen man an die Spitze stellte, !veil man ihn nach einer schönen, wenn auch« durchaus ungeschichtlichen Fiction Brenzboten II. 186S.18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/153>, abgerufen am 28.07.2024.