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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Aehnlichkeit in Sprache, Auffassung und Situation aufgefallen, welche, zwischen
einer Reihe klagender Psalmen und den Reden Jeremias herrscht (vgl. z. B.
Jer. 11. 20; 12. 1 ff.; 15, 13--18; 16, 19 und besonders 17. 7--18); aber
ich glaube doch nicht, daß er darum ein Recht hat. mehre Psalme mit Ent¬
schiedenheit dem großen Propheten beizulegen. Nur das ist auch mir so gut
wie sicher, daß eine große Anzahl der Klagepsalmc aus ähnlichen Umständen
zu erklären ist. wie denen, unter welchen er leiden mußte, und daß sein Zeit¬
alter uns einen großen Theil der Psalmen, namentlich des ersten und zweiten
Buntes geliefert hat. Für möglich halte ich es allerdings auch, daß z. B. der
innig klagende und doch wieder zur frohen Hoffnung sich aufraffende Psalm 22
von Jeremia ist, aber es ist eben nur eine Möglichkeit.

Ganz im prophetischen Geiste der vorcxilischcn Zeit gehalten sind einige
Psalmen, wie Psalm 80; umgekehrt werden zuweilen auch die Propheten in
ihren Orakeln selbst ganz lyrisch. Ich erinnere hier namentlich an das prächtige
Lied des Habakuk (Cap. 3), welches den besten alten Gesängen würdig an die
Seite tritt.

Mit Ausnahme der s. g. Klagelieder Jeremiae, die wir demnächst für sich
zu besprechen gedenken, sührt uns kein lyrisches Lied mit Sicherheit in das
Exil selbst hinein, während einige tiefempfundene Psalmen uns die Zeit der
ersten Befreiung aus demselben deutlich vor Augen stellen (Ps. 137 und 126).
Den Wiederaufbau der Stadt und der Befestigung, wahrscheinlich unter Nehemia,
erwähnen die Psalmen 122 und 147. Eine große Menge, namentlich liturgischer
Psalme, wie sie besonders in den beiden letzten Psalmbüchern vorherrschen, ist
mit Sicherheit in die Periode zwischen dem Aufbau des Tempels und die
makkabäische Zeit zu versehen.

Sicheren geschichtlichen Boden betreten wir erst wieder mit einigen Psalmen
aus der Zeit der Bedrückungen der Judäer durch den Seleuciden Antiochus
Epiphanes, welche die makkabäischen Aufstände hervorriefen. Man hat sich
allerdings vielfach gegen die Annahme von makkabäischen Psalmen gesträubt,
und es läßt sich nicht leugnen, daß zwar einige der dagegen angeführten Ar¬
gumente sehr nichtssagend sind, daß jedoch auch sehr gewichtige Münde aus
der allgemeinen Geschichte des Kanons und dem Verhältniß unseres Psalm¬
textes zum Buch der Chronik und zur griechischen Uebersetzung dagegen sprechen;
dennoch sind die exegetischen Gründe bei einigen Psalmen so zwingend, daß
wir uns mit jenen Gegengründen, von denen keiner absolut entscheidend ist,
abfinden müssen. Namentlich die Psalmen 44, 74 und 83 erklären sich nur
aus jener Zeit. Zu keiner früheren Periode paßt so die hier gemachte Schil¬
derung religiöser Bedrückung des ganzen Volks, welches sich selbst seiner
strengen G esetzes erfüllung bewußt ist (ganz im Gegensatz zu den frü¬
heren Zeiten der Noth). Es ließe sich noch eine Menge von Einzelheiten an-


Aehnlichkeit in Sprache, Auffassung und Situation aufgefallen, welche, zwischen
einer Reihe klagender Psalmen und den Reden Jeremias herrscht (vgl. z. B.
Jer. 11. 20; 12. 1 ff.; 15, 13—18; 16, 19 und besonders 17. 7—18); aber
ich glaube doch nicht, daß er darum ein Recht hat. mehre Psalme mit Ent¬
schiedenheit dem großen Propheten beizulegen. Nur das ist auch mir so gut
wie sicher, daß eine große Anzahl der Klagepsalmc aus ähnlichen Umständen
zu erklären ist. wie denen, unter welchen er leiden mußte, und daß sein Zeit¬
alter uns einen großen Theil der Psalmen, namentlich des ersten und zweiten
Buntes geliefert hat. Für möglich halte ich es allerdings auch, daß z. B. der
innig klagende und doch wieder zur frohen Hoffnung sich aufraffende Psalm 22
von Jeremia ist, aber es ist eben nur eine Möglichkeit.

Ganz im prophetischen Geiste der vorcxilischcn Zeit gehalten sind einige
Psalmen, wie Psalm 80; umgekehrt werden zuweilen auch die Propheten in
ihren Orakeln selbst ganz lyrisch. Ich erinnere hier namentlich an das prächtige
Lied des Habakuk (Cap. 3), welches den besten alten Gesängen würdig an die
Seite tritt.

Mit Ausnahme der s. g. Klagelieder Jeremiae, die wir demnächst für sich
zu besprechen gedenken, sührt uns kein lyrisches Lied mit Sicherheit in das
Exil selbst hinein, während einige tiefempfundene Psalmen uns die Zeit der
ersten Befreiung aus demselben deutlich vor Augen stellen (Ps. 137 und 126).
Den Wiederaufbau der Stadt und der Befestigung, wahrscheinlich unter Nehemia,
erwähnen die Psalmen 122 und 147. Eine große Menge, namentlich liturgischer
Psalme, wie sie besonders in den beiden letzten Psalmbüchern vorherrschen, ist
mit Sicherheit in die Periode zwischen dem Aufbau des Tempels und die
makkabäische Zeit zu versehen.

Sicheren geschichtlichen Boden betreten wir erst wieder mit einigen Psalmen
aus der Zeit der Bedrückungen der Judäer durch den Seleuciden Antiochus
Epiphanes, welche die makkabäischen Aufstände hervorriefen. Man hat sich
allerdings vielfach gegen die Annahme von makkabäischen Psalmen gesträubt,
und es läßt sich nicht leugnen, daß zwar einige der dagegen angeführten Ar¬
gumente sehr nichtssagend sind, daß jedoch auch sehr gewichtige Münde aus
der allgemeinen Geschichte des Kanons und dem Verhältniß unseres Psalm¬
textes zum Buch der Chronik und zur griechischen Uebersetzung dagegen sprechen;
dennoch sind die exegetischen Gründe bei einigen Psalmen so zwingend, daß
wir uns mit jenen Gegengründen, von denen keiner absolut entscheidend ist,
abfinden müssen. Namentlich die Psalmen 44, 74 und 83 erklären sich nur
aus jener Zeit. Zu keiner früheren Periode paßt so die hier gemachte Schil¬
derung religiöser Bedrückung des ganzen Volks, welches sich selbst seiner
strengen G esetzes erfüllung bewußt ist (ganz im Gegensatz zu den frü¬
heren Zeiten der Noth). Es ließe sich noch eine Menge von Einzelheiten an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/148>, abgerufen am 01.09.2024.