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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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lich ist, daß aus der ältern Zeit weniger Lieder erhalten sind, als aus der
späteren, zumal in jener auch verhältnißmäßig weniger Gedichte entstanden,
welche in den Psalter paßten. Nun giebt es nicht wenige Lieder, welche ihrem
Stil nach ebenso gut in der spätern Königszeit, wie lange nach dem Exil ver¬
faßt sein können, und wir stehn bann oft rathlos da.

Allerdings ist diese Auffassung nicht die der meisten Ausleger. Abgesehn
von den ältern und altgläubigen, welche so ziemlich alles dem David und seinen
Zeitgenossen beilegen, hat die neuere Kritik oft auf das scharfsinnigste Zeit
und Veranlassung der einzelnen Lieder aufgefunden, leider aber immer nur zu
subjcciiver Befriedigung des Kritikers. Geht hierin schon Ewald sehr oft viel
zu weit, so übertrifft ihn doch Hitzig bei weitem durch seinen Scharfsinn, der
ihn dazu noch sehr häufig zu Resultaten führt, welche allen Andern unmöglich
oder doch sehr unwahrscheinlich vorkommen müssen. Ich hoffe, daß Hitzig bei
einer etwaigen spätern Ausgabe seines Psalmencommcntars bei den einzelnen
Psalmen jedesmal nicht blos Jahreszahl, sondern auch Datum der Abfassung
bemerkt. Aber freilich ist das alles eben nur zur Befriedigung seiner selbst
und etwa eines blinden Nachbeters. Ein kaltblütiger und besonnener Kritiker
wird auch in diesen Fragen, wie so häufig bei alttestamentlichen Dingen-, ein-
gestehn, wie vieles uns dunkel bleibt. Ich behaupte gradezu, es giebt Psalme,
von denen wir nicht mit Entschiedenheit sagen können , in welchem Theil des
Zeitraums von 800--160 vor Chr. sie gemacht seien. Und wenn die Ungewi߬
heit auch nicht oft so groß ist, so bleibt doch für die meisten die Möglichkeit
der Abfassung innerhalb einer ziemlich ausgedehnten Periode. Sprachliche
Gründe helfen uns hier weniger, als vielleicht der Laie meinen mag: unsre
Textüberlicserung. welche dem Lied der Debora genau dieselbe Aussprache giebt,
wie den zur Mattabäerzeit verfaßten literarischen Producten, und in welcher
ferner gar mancher Ausdruck, der den Späteren unverständlich war, durch einen
modernen ersetzt sein mag, läßt uns in dieser Hinsicht keine reiche Ausbeute
machen. Viel wichtiger ist die Beobachtung des Stils.

Immerhin ist aber doch eine nicht unbedeutende Zahl von Liedern, hin¬
sichtlich derer auch die vorsichtigste Kritik zu einer etwas genaueren Bestimmung
der Abfassungszeit gelangt. Hier leisten uns wieder die geschichtlichen Bücher
große Hilfe. Die in der Königszeit abgefaßten Werke, wie sie uns ganz oder
in Bearbeitungen vorliegen, schmücken sich gern mit Liedern, welche entweder
ältern Ursprungs oder von den Verfassern ihren Personen in den Mund gelegt sind,
wobei sie jedoch auch gern ältere Vorlagen benutzen. So haben wir den schönen,
schwungvollen und alterthümlich kräftigen Psalm 2. Mose 16, der ohne Zweifel
in die Zeit der frühsten Könige fällt, die mit Benutzung volksthümlicher Sprüche
zusammengetragene durch deutliche Fingerzeige in dieselbe Zeit weisende Ab¬
schiedsrede Jakobs (1. Mose 49) sind'Aehnliches. Für die in den 4 ersten


lich ist, daß aus der ältern Zeit weniger Lieder erhalten sind, als aus der
späteren, zumal in jener auch verhältnißmäßig weniger Gedichte entstanden,
welche in den Psalter paßten. Nun giebt es nicht wenige Lieder, welche ihrem
Stil nach ebenso gut in der spätern Königszeit, wie lange nach dem Exil ver¬
faßt sein können, und wir stehn bann oft rathlos da.

Allerdings ist diese Auffassung nicht die der meisten Ausleger. Abgesehn
von den ältern und altgläubigen, welche so ziemlich alles dem David und seinen
Zeitgenossen beilegen, hat die neuere Kritik oft auf das scharfsinnigste Zeit
und Veranlassung der einzelnen Lieder aufgefunden, leider aber immer nur zu
subjcciiver Befriedigung des Kritikers. Geht hierin schon Ewald sehr oft viel
zu weit, so übertrifft ihn doch Hitzig bei weitem durch seinen Scharfsinn, der
ihn dazu noch sehr häufig zu Resultaten führt, welche allen Andern unmöglich
oder doch sehr unwahrscheinlich vorkommen müssen. Ich hoffe, daß Hitzig bei
einer etwaigen spätern Ausgabe seines Psalmencommcntars bei den einzelnen
Psalmen jedesmal nicht blos Jahreszahl, sondern auch Datum der Abfassung
bemerkt. Aber freilich ist das alles eben nur zur Befriedigung seiner selbst
und etwa eines blinden Nachbeters. Ein kaltblütiger und besonnener Kritiker
wird auch in diesen Fragen, wie so häufig bei alttestamentlichen Dingen-, ein-
gestehn, wie vieles uns dunkel bleibt. Ich behaupte gradezu, es giebt Psalme,
von denen wir nicht mit Entschiedenheit sagen können , in welchem Theil des
Zeitraums von 800—160 vor Chr. sie gemacht seien. Und wenn die Ungewi߬
heit auch nicht oft so groß ist, so bleibt doch für die meisten die Möglichkeit
der Abfassung innerhalb einer ziemlich ausgedehnten Periode. Sprachliche
Gründe helfen uns hier weniger, als vielleicht der Laie meinen mag: unsre
Textüberlicserung. welche dem Lied der Debora genau dieselbe Aussprache giebt,
wie den zur Mattabäerzeit verfaßten literarischen Producten, und in welcher
ferner gar mancher Ausdruck, der den Späteren unverständlich war, durch einen
modernen ersetzt sein mag, läßt uns in dieser Hinsicht keine reiche Ausbeute
machen. Viel wichtiger ist die Beobachtung des Stils.

Immerhin ist aber doch eine nicht unbedeutende Zahl von Liedern, hin¬
sichtlich derer auch die vorsichtigste Kritik zu einer etwas genaueren Bestimmung
der Abfassungszeit gelangt. Hier leisten uns wieder die geschichtlichen Bücher
große Hilfe. Die in der Königszeit abgefaßten Werke, wie sie uns ganz oder
in Bearbeitungen vorliegen, schmücken sich gern mit Liedern, welche entweder
ältern Ursprungs oder von den Verfassern ihren Personen in den Mund gelegt sind,
wobei sie jedoch auch gern ältere Vorlagen benutzen. So haben wir den schönen,
schwungvollen und alterthümlich kräftigen Psalm 2. Mose 16, der ohne Zweifel
in die Zeit der frühsten Könige fällt, die mit Benutzung volksthümlicher Sprüche
zusammengetragene durch deutliche Fingerzeige in dieselbe Zeit weisende Ab¬
schiedsrede Jakobs (1. Mose 49) sind'Aehnliches. Für die in den 4 ersten


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[0146] lich ist, daß aus der ältern Zeit weniger Lieder erhalten sind, als aus der späteren, zumal in jener auch verhältnißmäßig weniger Gedichte entstanden, welche in den Psalter paßten. Nun giebt es nicht wenige Lieder, welche ihrem Stil nach ebenso gut in der spätern Königszeit, wie lange nach dem Exil ver¬ faßt sein können, und wir stehn bann oft rathlos da. Allerdings ist diese Auffassung nicht die der meisten Ausleger. Abgesehn von den ältern und altgläubigen, welche so ziemlich alles dem David und seinen Zeitgenossen beilegen, hat die neuere Kritik oft auf das scharfsinnigste Zeit und Veranlassung der einzelnen Lieder aufgefunden, leider aber immer nur zu subjcciiver Befriedigung des Kritikers. Geht hierin schon Ewald sehr oft viel zu weit, so übertrifft ihn doch Hitzig bei weitem durch seinen Scharfsinn, der ihn dazu noch sehr häufig zu Resultaten führt, welche allen Andern unmöglich oder doch sehr unwahrscheinlich vorkommen müssen. Ich hoffe, daß Hitzig bei einer etwaigen spätern Ausgabe seines Psalmencommcntars bei den einzelnen Psalmen jedesmal nicht blos Jahreszahl, sondern auch Datum der Abfassung bemerkt. Aber freilich ist das alles eben nur zur Befriedigung seiner selbst und etwa eines blinden Nachbeters. Ein kaltblütiger und besonnener Kritiker wird auch in diesen Fragen, wie so häufig bei alttestamentlichen Dingen-, ein- gestehn, wie vieles uns dunkel bleibt. Ich behaupte gradezu, es giebt Psalme, von denen wir nicht mit Entschiedenheit sagen können , in welchem Theil des Zeitraums von 800—160 vor Chr. sie gemacht seien. Und wenn die Ungewi߬ heit auch nicht oft so groß ist, so bleibt doch für die meisten die Möglichkeit der Abfassung innerhalb einer ziemlich ausgedehnten Periode. Sprachliche Gründe helfen uns hier weniger, als vielleicht der Laie meinen mag: unsre Textüberlicserung. welche dem Lied der Debora genau dieselbe Aussprache giebt, wie den zur Mattabäerzeit verfaßten literarischen Producten, und in welcher ferner gar mancher Ausdruck, der den Späteren unverständlich war, durch einen modernen ersetzt sein mag, läßt uns in dieser Hinsicht keine reiche Ausbeute machen. Viel wichtiger ist die Beobachtung des Stils. Immerhin ist aber doch eine nicht unbedeutende Zahl von Liedern, hin¬ sichtlich derer auch die vorsichtigste Kritik zu einer etwas genaueren Bestimmung der Abfassungszeit gelangt. Hier leisten uns wieder die geschichtlichen Bücher große Hilfe. Die in der Königszeit abgefaßten Werke, wie sie uns ganz oder in Bearbeitungen vorliegen, schmücken sich gern mit Liedern, welche entweder ältern Ursprungs oder von den Verfassern ihren Personen in den Mund gelegt sind, wobei sie jedoch auch gern ältere Vorlagen benutzen. So haben wir den schönen, schwungvollen und alterthümlich kräftigen Psalm 2. Mose 16, der ohne Zweifel in die Zeit der frühsten Könige fällt, die mit Benutzung volksthümlicher Sprüche zusammengetragene durch deutliche Fingerzeige in dieselbe Zeit weisende Ab¬ schiedsrede Jakobs (1. Mose 49) sind'Aehnliches. Für die in den 4 ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/146>, abgerufen am 01.09.2024.