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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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dein David retten wollen, aber ich kann mich durchaus nicht überzeugen, daß
ihre Gründe schlagend sind. Allerdings leugne ich nicht die Möglichkeit, daß
wir noch einige davidische Lieder haben, wie denn z. B. das kräftige, dramatisch
gegliederte Liedchen Psalm 24, 7--10 (welche Verse schlecht mit B. 1--6 ver¬
bunden sind) oder der ruhige, spruchmcißige mit 2. Sam. 23, 1 ff. verwandte
Psalm 101, der jedenfalls einem alten König angehört, zu jenen gehören
können, aber einen sichern Beweis haben wir hier durchaus nicht. Ganz zu
verwerfen ist die rein ästhetische Kritik, welche ein Lied blos deshalb für davidisch
erklärt, weil es für einen andern Dichter zu schön sei. Auf alle Fälle ist die
Zahl der Gedichte, welche außer den genannten von David sein können,
sehr gering.

Aber mit Gedichten wie Psalm 18 war jedenfalls die Bahn gebrochen,
aus der die religiöse Lyrik'fortschreiten konnte, wenn auch daneben sicher noch
das weltliche Lied bis zur ersten Zerstörung Jerusalems in reicher Fülle blühte.
Rein weltliche Lieder aus dieser Epoche besitzen wir allerdings keine mehr, da
selbst in das schon besprochene Lied zur Feier einer königlichen Vermählung,
Psalm 43, ein gewisses religiöses Interesse, wenn auch nur oberflächlich, hinein¬
spielt. Und es ist auch sonst wahrscheinlich, daß die religiöse Lyrik der welt¬
lichen nach und nach immer mehr Boden abgewonnen hat. Aber dies wird
sehr allmälig geschehen sein, und wir können nicht zweifeln, daß die Hauptmasse
des Erhaltne", soweit es überhaupt vorexilisch ist, doch der spätern Königszeit
angehört.

Wir kommen hier zu der großen Schwierigkeit, diese Lieder chronologisch
zu bestimmen. Nur wenige Psalme und psalmartige Lieder weisen mit solcher
Entschiedenheit auf ein bekanntes geschichtliches Ereigniß hin, daß wir in dieser
Hinsicht klar sind. Bei weitem die meisten sind so allgemein gehalten, daß sie
ihrem Inhalt nach für ganz verschiedene Jahrhunderte passen. Freilich ergiebt
sich zuweilen aus gelegentlichen Bemerkungen, wie Erwähnung des Königthums
oder deutlicher Hinweis auf nachexilische Zustände, wenigstens die Periode im
Allgemeinen, aber bei den meisten Liedern sind wir ganz auf Beobachtung der
Sprache und des Stils angewiesen, und hier betreten wir ein sehr schwieriges
Gebiet, auf dem Man leicht in die Irre geführt wird, da die Gefahr so nahe
liegt, nach rein subjectiver Auffassung zu entscheiden. Allerdings lassen sich
namentlich aus der Beobachtung der Stilentwicklung, wie wir sie bei den Pro¬
pheten vor uns haben, gewisse allgemeine Gesetze aufstellen. Wir müssen im
Allgemeinen sagen, daß die ältere Poesie sich gedrungener, schwerer, bilderreicher
Und schwungvoller ausdrückt als die spätere, und können mit diesen Kriterien
einige Lieder mit ziemlicher Sicherheit in eine sehr alte Zeit versetzen; aber
erstlich umfaßt diese alte Periode doch einen Raum von einigen Jahrhunderten,
und dann bleibt bei weitem die größere Anzahl übrig, wie es denn ja natür-


Grcnzl'oder II. 186K, 17

dein David retten wollen, aber ich kann mich durchaus nicht überzeugen, daß
ihre Gründe schlagend sind. Allerdings leugne ich nicht die Möglichkeit, daß
wir noch einige davidische Lieder haben, wie denn z. B. das kräftige, dramatisch
gegliederte Liedchen Psalm 24, 7—10 (welche Verse schlecht mit B. 1—6 ver¬
bunden sind) oder der ruhige, spruchmcißige mit 2. Sam. 23, 1 ff. verwandte
Psalm 101, der jedenfalls einem alten König angehört, zu jenen gehören
können, aber einen sichern Beweis haben wir hier durchaus nicht. Ganz zu
verwerfen ist die rein ästhetische Kritik, welche ein Lied blos deshalb für davidisch
erklärt, weil es für einen andern Dichter zu schön sei. Auf alle Fälle ist die
Zahl der Gedichte, welche außer den genannten von David sein können,
sehr gering.

Aber mit Gedichten wie Psalm 18 war jedenfalls die Bahn gebrochen,
aus der die religiöse Lyrik'fortschreiten konnte, wenn auch daneben sicher noch
das weltliche Lied bis zur ersten Zerstörung Jerusalems in reicher Fülle blühte.
Rein weltliche Lieder aus dieser Epoche besitzen wir allerdings keine mehr, da
selbst in das schon besprochene Lied zur Feier einer königlichen Vermählung,
Psalm 43, ein gewisses religiöses Interesse, wenn auch nur oberflächlich, hinein¬
spielt. Und es ist auch sonst wahrscheinlich, daß die religiöse Lyrik der welt¬
lichen nach und nach immer mehr Boden abgewonnen hat. Aber dies wird
sehr allmälig geschehen sein, und wir können nicht zweifeln, daß die Hauptmasse
des Erhaltne», soweit es überhaupt vorexilisch ist, doch der spätern Königszeit
angehört.

Wir kommen hier zu der großen Schwierigkeit, diese Lieder chronologisch
zu bestimmen. Nur wenige Psalme und psalmartige Lieder weisen mit solcher
Entschiedenheit auf ein bekanntes geschichtliches Ereigniß hin, daß wir in dieser
Hinsicht klar sind. Bei weitem die meisten sind so allgemein gehalten, daß sie
ihrem Inhalt nach für ganz verschiedene Jahrhunderte passen. Freilich ergiebt
sich zuweilen aus gelegentlichen Bemerkungen, wie Erwähnung des Königthums
oder deutlicher Hinweis auf nachexilische Zustände, wenigstens die Periode im
Allgemeinen, aber bei den meisten Liedern sind wir ganz auf Beobachtung der
Sprache und des Stils angewiesen, und hier betreten wir ein sehr schwieriges
Gebiet, auf dem Man leicht in die Irre geführt wird, da die Gefahr so nahe
liegt, nach rein subjectiver Auffassung zu entscheiden. Allerdings lassen sich
namentlich aus der Beobachtung der Stilentwicklung, wie wir sie bei den Pro¬
pheten vor uns haben, gewisse allgemeine Gesetze aufstellen. Wir müssen im
Allgemeinen sagen, daß die ältere Poesie sich gedrungener, schwerer, bilderreicher
Und schwungvoller ausdrückt als die spätere, und können mit diesen Kriterien
einige Lieder mit ziemlicher Sicherheit in eine sehr alte Zeit versetzen; aber
erstlich umfaßt diese alte Periode doch einen Raum von einigen Jahrhunderten,
und dann bleibt bei weitem die größere Anzahl übrig, wie es denn ja natür-


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[0145] dein David retten wollen, aber ich kann mich durchaus nicht überzeugen, daß ihre Gründe schlagend sind. Allerdings leugne ich nicht die Möglichkeit, daß wir noch einige davidische Lieder haben, wie denn z. B. das kräftige, dramatisch gegliederte Liedchen Psalm 24, 7—10 (welche Verse schlecht mit B. 1—6 ver¬ bunden sind) oder der ruhige, spruchmcißige mit 2. Sam. 23, 1 ff. verwandte Psalm 101, der jedenfalls einem alten König angehört, zu jenen gehören können, aber einen sichern Beweis haben wir hier durchaus nicht. Ganz zu verwerfen ist die rein ästhetische Kritik, welche ein Lied blos deshalb für davidisch erklärt, weil es für einen andern Dichter zu schön sei. Auf alle Fälle ist die Zahl der Gedichte, welche außer den genannten von David sein können, sehr gering. Aber mit Gedichten wie Psalm 18 war jedenfalls die Bahn gebrochen, aus der die religiöse Lyrik'fortschreiten konnte, wenn auch daneben sicher noch das weltliche Lied bis zur ersten Zerstörung Jerusalems in reicher Fülle blühte. Rein weltliche Lieder aus dieser Epoche besitzen wir allerdings keine mehr, da selbst in das schon besprochene Lied zur Feier einer königlichen Vermählung, Psalm 43, ein gewisses religiöses Interesse, wenn auch nur oberflächlich, hinein¬ spielt. Und es ist auch sonst wahrscheinlich, daß die religiöse Lyrik der welt¬ lichen nach und nach immer mehr Boden abgewonnen hat. Aber dies wird sehr allmälig geschehen sein, und wir können nicht zweifeln, daß die Hauptmasse des Erhaltne», soweit es überhaupt vorexilisch ist, doch der spätern Königszeit angehört. Wir kommen hier zu der großen Schwierigkeit, diese Lieder chronologisch zu bestimmen. Nur wenige Psalme und psalmartige Lieder weisen mit solcher Entschiedenheit auf ein bekanntes geschichtliches Ereigniß hin, daß wir in dieser Hinsicht klar sind. Bei weitem die meisten sind so allgemein gehalten, daß sie ihrem Inhalt nach für ganz verschiedene Jahrhunderte passen. Freilich ergiebt sich zuweilen aus gelegentlichen Bemerkungen, wie Erwähnung des Königthums oder deutlicher Hinweis auf nachexilische Zustände, wenigstens die Periode im Allgemeinen, aber bei den meisten Liedern sind wir ganz auf Beobachtung der Sprache und des Stils angewiesen, und hier betreten wir ein sehr schwieriges Gebiet, auf dem Man leicht in die Irre geführt wird, da die Gefahr so nahe liegt, nach rein subjectiver Auffassung zu entscheiden. Allerdings lassen sich namentlich aus der Beobachtung der Stilentwicklung, wie wir sie bei den Pro¬ pheten vor uns haben, gewisse allgemeine Gesetze aufstellen. Wir müssen im Allgemeinen sagen, daß die ältere Poesie sich gedrungener, schwerer, bilderreicher Und schwungvoller ausdrückt als die spätere, und können mit diesen Kriterien einige Lieder mit ziemlicher Sicherheit in eine sehr alte Zeit versetzen; aber erstlich umfaßt diese alte Periode doch einen Raum von einigen Jahrhunderten, und dann bleibt bei weitem die größere Anzahl übrig, wie es denn ja natür- Grcnzl'oder II. 186K, 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/145>, abgerufen am 28.07.2024.