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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Umfaßt habe. Freilich werde", wie bei vielen alten Völkern, so ganz besonders
bei den Jsraeliten die weltlichen Gegenstände sehr leicht zu dem Dienste der
Gottheit in Beziehung gebracht. Zuweilen ist eine solche mir ganz beiläufig
wie in Psalm 45 (einem Liede zu Ehren eines Königs bei Gelegenheit seiner
Vermählung), oft verschmilzt sie sich dagegen innig mit dem Hauptgegenstand.
Nach und nach tritt das religiöse Interesse immer stärker hervor, und es ist
kaum zu bezweifeln, daß die weltliche Lyrik nach dem Exil höchstens noch in
kümmerlichen Resten fortgelebt hat.

Aus der ältesten Zeit bis zur festen Gründung des Königthums haben
wir nur noch wenige Proben lyrische, Poesie, welche fast alle einen ganz volks¬
tümlichen Geist zeigen. Es sind meistens Lieder kriegerischen Sinnes, zum
Ruhm oder Tadel des Volks oder einzelner Stämme, vielfach verwandt mit
der allerdings kunstvoller ausgebildeten Poesie der alten Wüstcnarabcr. Freilich
dürfen wir aus diesem Charakter der erhaltenen Lieder und Liederfragmcnte
noch keinen Schluß auf den Charakter der ältesten Lyrik im Allgemeinen machen,
da jene uns ja eben zur Illustration der Thaten und Leiden Israels in den
geschichtlichen Büchern erhalten sind. Aber es ist allerdings anzunehmen, daß
der wilde Sinn jener heroischen Zeiten sich durchgängig auch in ihren Gesängen
ausgedrückt habe.

Die ältesten Liedcrfragmente führen uns in die Zeit der ersten Besitznahme
Palästinas hinauf. Daß die dem Mose (2. Mose Is; ö. Mose 32 und 33 sowie
Psalm 90) beigelegten Lieder spätere Compositionen sind, leidet keinen Zweifel;
dasselbe gilt von den Liedern des Bileam (4. Mose 22 ff.), und selbstverständ¬
lich von denen, welche ganz mythischen Personen, wie dem Jakob (1. Mose 49),
der Sara (1. Mose 21, 7) und gar dem Lamech (1. Mose 4, 23 f.) beigelegt
werden. Es ist ausfällig, daß man Lieder, wie die letzten beiden, auch wenn
man ganz von ihrer Echtheit absah, doch in uralte Zeiten glaubte hinaus¬
schieben zu müsse". Dagegen sind uns im 21. Capitel des 4. Buchs Mose
einige sehr alte, leider start abgerissene und aus Mangel an Kunde der Zeit
und Umstände nur theilweise verständliche lyrische Lieder erhalte". Am deut¬
lichsten ist "och das kurze Lied Vers 26--30, welches in großer Lebendigkeit
und prägnanter Kürze den Sieg der Jsrcic>.neu über die Amvniter feiert. Fast
unverständlich ist dagegen das fast nur aus Ortsangaben bestehende Bruchstück
Vers 14 f., und auch der eigentliche Sinn des sehr einfachen Brunnenliedes
Vers 17 f. ist uns nicht deutlich.

Bei weitem wichtiger als diese Stücke ist der große Siegesgcsang der
Debora (Richter S). Wir haben in ihm nicht blos eins der schönsten und kräf¬
tigsten Lieder, sondern auch eine der wichtigste" Urkunden zur Erkenntniß der
Geschichte dieser so sehr dunkeln Periode. Das lebendige, schwungvolle Lied
stellt uns den gewaltigen Kampf und die Ermordung des feindlichen Feldherrn


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Umfaßt habe. Freilich werde», wie bei vielen alten Völkern, so ganz besonders
bei den Jsraeliten die weltlichen Gegenstände sehr leicht zu dem Dienste der
Gottheit in Beziehung gebracht. Zuweilen ist eine solche mir ganz beiläufig
wie in Psalm 45 (einem Liede zu Ehren eines Königs bei Gelegenheit seiner
Vermählung), oft verschmilzt sie sich dagegen innig mit dem Hauptgegenstand.
Nach und nach tritt das religiöse Interesse immer stärker hervor, und es ist
kaum zu bezweifeln, daß die weltliche Lyrik nach dem Exil höchstens noch in
kümmerlichen Resten fortgelebt hat.

Aus der ältesten Zeit bis zur festen Gründung des Königthums haben
wir nur noch wenige Proben lyrische, Poesie, welche fast alle einen ganz volks¬
tümlichen Geist zeigen. Es sind meistens Lieder kriegerischen Sinnes, zum
Ruhm oder Tadel des Volks oder einzelner Stämme, vielfach verwandt mit
der allerdings kunstvoller ausgebildeten Poesie der alten Wüstcnarabcr. Freilich
dürfen wir aus diesem Charakter der erhaltenen Lieder und Liederfragmcnte
noch keinen Schluß auf den Charakter der ältesten Lyrik im Allgemeinen machen,
da jene uns ja eben zur Illustration der Thaten und Leiden Israels in den
geschichtlichen Büchern erhalten sind. Aber es ist allerdings anzunehmen, daß
der wilde Sinn jener heroischen Zeiten sich durchgängig auch in ihren Gesängen
ausgedrückt habe.

Die ältesten Liedcrfragmente führen uns in die Zeit der ersten Besitznahme
Palästinas hinauf. Daß die dem Mose (2. Mose Is; ö. Mose 32 und 33 sowie
Psalm 90) beigelegten Lieder spätere Compositionen sind, leidet keinen Zweifel;
dasselbe gilt von den Liedern des Bileam (4. Mose 22 ff.), und selbstverständ¬
lich von denen, welche ganz mythischen Personen, wie dem Jakob (1. Mose 49),
der Sara (1. Mose 21, 7) und gar dem Lamech (1. Mose 4, 23 f.) beigelegt
werden. Es ist ausfällig, daß man Lieder, wie die letzten beiden, auch wenn
man ganz von ihrer Echtheit absah, doch in uralte Zeiten glaubte hinaus¬
schieben zu müsse». Dagegen sind uns im 21. Capitel des 4. Buchs Mose
einige sehr alte, leider start abgerissene und aus Mangel an Kunde der Zeit
und Umstände nur theilweise verständliche lyrische Lieder erhalte». Am deut¬
lichsten ist »och das kurze Lied Vers 26—30, welches in großer Lebendigkeit
und prägnanter Kürze den Sieg der Jsrcic>.neu über die Amvniter feiert. Fast
unverständlich ist dagegen das fast nur aus Ortsangaben bestehende Bruchstück
Vers 14 f., und auch der eigentliche Sinn des sehr einfachen Brunnenliedes
Vers 17 f. ist uns nicht deutlich.

Bei weitem wichtiger als diese Stücke ist der große Siegesgcsang der
Debora (Richter S). Wir haben in ihm nicht blos eins der schönsten und kräf¬
tigsten Lieder, sondern auch eine der wichtigste» Urkunden zur Erkenntniß der
Geschichte dieser so sehr dunkeln Periode. Das lebendige, schwungvolle Lied
stellt uns den gewaltigen Kampf und die Ermordung des feindlichen Feldherrn


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[0139] Umfaßt habe. Freilich werde», wie bei vielen alten Völkern, so ganz besonders bei den Jsraeliten die weltlichen Gegenstände sehr leicht zu dem Dienste der Gottheit in Beziehung gebracht. Zuweilen ist eine solche mir ganz beiläufig wie in Psalm 45 (einem Liede zu Ehren eines Königs bei Gelegenheit seiner Vermählung), oft verschmilzt sie sich dagegen innig mit dem Hauptgegenstand. Nach und nach tritt das religiöse Interesse immer stärker hervor, und es ist kaum zu bezweifeln, daß die weltliche Lyrik nach dem Exil höchstens noch in kümmerlichen Resten fortgelebt hat. Aus der ältesten Zeit bis zur festen Gründung des Königthums haben wir nur noch wenige Proben lyrische, Poesie, welche fast alle einen ganz volks¬ tümlichen Geist zeigen. Es sind meistens Lieder kriegerischen Sinnes, zum Ruhm oder Tadel des Volks oder einzelner Stämme, vielfach verwandt mit der allerdings kunstvoller ausgebildeten Poesie der alten Wüstcnarabcr. Freilich dürfen wir aus diesem Charakter der erhaltenen Lieder und Liederfragmcnte noch keinen Schluß auf den Charakter der ältesten Lyrik im Allgemeinen machen, da jene uns ja eben zur Illustration der Thaten und Leiden Israels in den geschichtlichen Büchern erhalten sind. Aber es ist allerdings anzunehmen, daß der wilde Sinn jener heroischen Zeiten sich durchgängig auch in ihren Gesängen ausgedrückt habe. Die ältesten Liedcrfragmente führen uns in die Zeit der ersten Besitznahme Palästinas hinauf. Daß die dem Mose (2. Mose Is; ö. Mose 32 und 33 sowie Psalm 90) beigelegten Lieder spätere Compositionen sind, leidet keinen Zweifel; dasselbe gilt von den Liedern des Bileam (4. Mose 22 ff.), und selbstverständ¬ lich von denen, welche ganz mythischen Personen, wie dem Jakob (1. Mose 49), der Sara (1. Mose 21, 7) und gar dem Lamech (1. Mose 4, 23 f.) beigelegt werden. Es ist ausfällig, daß man Lieder, wie die letzten beiden, auch wenn man ganz von ihrer Echtheit absah, doch in uralte Zeiten glaubte hinaus¬ schieben zu müsse». Dagegen sind uns im 21. Capitel des 4. Buchs Mose einige sehr alte, leider start abgerissene und aus Mangel an Kunde der Zeit und Umstände nur theilweise verständliche lyrische Lieder erhalte». Am deut¬ lichsten ist »och das kurze Lied Vers 26—30, welches in großer Lebendigkeit und prägnanter Kürze den Sieg der Jsrcic>.neu über die Amvniter feiert. Fast unverständlich ist dagegen das fast nur aus Ortsangaben bestehende Bruchstück Vers 14 f., und auch der eigentliche Sinn des sehr einfachen Brunnenliedes Vers 17 f. ist uns nicht deutlich. Bei weitem wichtiger als diese Stücke ist der große Siegesgcsang der Debora (Richter S). Wir haben in ihm nicht blos eins der schönsten und kräf¬ tigsten Lieder, sondern auch eine der wichtigste» Urkunden zur Erkenntniß der Geschichte dieser so sehr dunkeln Periode. Das lebendige, schwungvolle Lied stellt uns den gewaltigen Kampf und die Ermordung des feindlichen Feldherrn 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/139>, abgerufen am 28.07.2024.