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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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tiviren begonnen und die fremden Muster nicht nur mit Glück nachgeahmt, son¬
dern auch einige neue Methoden erfunden. Namentlich die großen Städte
Norddeutschlands leisten darin schon Erhebliches, vor allen Berlin, das sich
in Sitte und Habitus immer mehr neben die alten Welthandels- und Weltindustrie-
Plätze stellt, dann Hamburg, endlich -- mit Maß nach sächsischer Art -- auch
Leipzig. Nur in dem durchaus soliden, stillgeschästigen Bremen suchten wir auf
den Straßen und in den Zeitungsspalten die Reclame bis jetzt noch ver¬
geblich.

Betrachtet man die industrielle Reclame, mit der wir uns nunmehr vor¬
wiegend beschäftigen, und die wir besonders da, wo sie sich hauptsächlich zeigt,
in der Presse, aufsuche" wollen, nach de" Erwerbszweigen, die sich ihrer
vorzüglich bedienen, so bemerkt man sofort, daß in Amerika ziemlich alle Clas¬
sen der Kaufleute und Fabrikanten sich auf das "Auspuffen" ihrer Waare ver¬
stehen, daß die Kunst aber nur vollendetsten, schwunghaftesten und graciösesten
von Arzneimittclvcrkäufern und Kleidermachern geübt wird. Nur der Metall¬
arbeiter und der Fußbekleidungskünstler scheint sich hier reservirt zu halten,
jener vermuthlich, weil er ohnehin Lärm und Qualm zur.Genüge macht,
dieser wahrscheinlich, weil Schuster notorisch stillsinnigc, beschauliche, in sich ge¬
kehrte Naturen zu sein Pflegen. Aehnlich verhält sichs, soweit die Erfahrung des
Verfassers reicht, mit England. Vielseitiger ist die pariser Reclcnne. In
Deutschland machen wir dann wieder die Beobachtung, daß vorzüglich der
Volksapotheker und der Klciderlicfcrant höheren Stils, der Schneider, der über
die "Logik" eines Frackschvßes grübelt, die Putzmacherin, die "wildromantische"
Hauben aufsteckt, an Famas Altar zu opfern sich gedrungen fühlen.

Daß die Reclcnne nie anders als in Superlativen und Hyperbeln spricht,
daß sie das Ausrufungszeichen liebt, daß sie gern gcneralisirt, gehört zu ihrem
Wesen. Im Uebrigen nimmt sie die verschiedensten Masken vor, häusig die
komische, bisweilen die des Philosophen, besonders oft die des Menschenfreundes,
gar nicht selten selbst die der sittlichen Entrüstung. Manchmal ists, bevor sie
sich demaskirt, ein Politiker, das andere Mal ein Chemiker, dann wieder ein
Arzt oder ein Soldat, der zu uns redet. Bildende Kunst, Geographie, Welt¬
geschichte, selbst die Theologie muß ihr Devisen und Mäntelchen leihen. Manche
Neclamen sind bloße Wegweiser, auffallend angestrichen, aber stiller Natur, andere
verblüffende und lang in den Ohren nachhallende Karthauncnschüsse, eine Gat¬
tung, auf die sich vorzüglich Amerika versteht, wo man ja auch die größten
Kanonen baut.

Sehr geläufig sind den Jnserirenden Worte wie "dringendstes Bedürfniß",
"glücklichster Gelegcnheitskauf", "unerhört wohlfeil", "bis jetzt unerreicht",
"unbestritten das Beste", "große Preisherabsetzung", "nothwendige Geschäfts¬
aufgabe", "gänzlicher Ausverkauf" u. d. Jedes Aufsehen erregende Ereignis),


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tiviren begonnen und die fremden Muster nicht nur mit Glück nachgeahmt, son¬
dern auch einige neue Methoden erfunden. Namentlich die großen Städte
Norddeutschlands leisten darin schon Erhebliches, vor allen Berlin, das sich
in Sitte und Habitus immer mehr neben die alten Welthandels- und Weltindustrie-
Plätze stellt, dann Hamburg, endlich — mit Maß nach sächsischer Art — auch
Leipzig. Nur in dem durchaus soliden, stillgeschästigen Bremen suchten wir auf
den Straßen und in den Zeitungsspalten die Reclame bis jetzt noch ver¬
geblich.

Betrachtet man die industrielle Reclame, mit der wir uns nunmehr vor¬
wiegend beschäftigen, und die wir besonders da, wo sie sich hauptsächlich zeigt,
in der Presse, aufsuche» wollen, nach de» Erwerbszweigen, die sich ihrer
vorzüglich bedienen, so bemerkt man sofort, daß in Amerika ziemlich alle Clas¬
sen der Kaufleute und Fabrikanten sich auf das „Auspuffen" ihrer Waare ver¬
stehen, daß die Kunst aber nur vollendetsten, schwunghaftesten und graciösesten
von Arzneimittclvcrkäufern und Kleidermachern geübt wird. Nur der Metall¬
arbeiter und der Fußbekleidungskünstler scheint sich hier reservirt zu halten,
jener vermuthlich, weil er ohnehin Lärm und Qualm zur.Genüge macht,
dieser wahrscheinlich, weil Schuster notorisch stillsinnigc, beschauliche, in sich ge¬
kehrte Naturen zu sein Pflegen. Aehnlich verhält sichs, soweit die Erfahrung des
Verfassers reicht, mit England. Vielseitiger ist die pariser Reclcnne. In
Deutschland machen wir dann wieder die Beobachtung, daß vorzüglich der
Volksapotheker und der Klciderlicfcrant höheren Stils, der Schneider, der über
die „Logik" eines Frackschvßes grübelt, die Putzmacherin, die „wildromantische"
Hauben aufsteckt, an Famas Altar zu opfern sich gedrungen fühlen.

Daß die Reclcnne nie anders als in Superlativen und Hyperbeln spricht,
daß sie das Ausrufungszeichen liebt, daß sie gern gcneralisirt, gehört zu ihrem
Wesen. Im Uebrigen nimmt sie die verschiedensten Masken vor, häusig die
komische, bisweilen die des Philosophen, besonders oft die des Menschenfreundes,
gar nicht selten selbst die der sittlichen Entrüstung. Manchmal ists, bevor sie
sich demaskirt, ein Politiker, das andere Mal ein Chemiker, dann wieder ein
Arzt oder ein Soldat, der zu uns redet. Bildende Kunst, Geographie, Welt¬
geschichte, selbst die Theologie muß ihr Devisen und Mäntelchen leihen. Manche
Neclamen sind bloße Wegweiser, auffallend angestrichen, aber stiller Natur, andere
verblüffende und lang in den Ohren nachhallende Karthauncnschüsse, eine Gat¬
tung, auf die sich vorzüglich Amerika versteht, wo man ja auch die größten
Kanonen baut.

Sehr geläufig sind den Jnserirenden Worte wie „dringendstes Bedürfniß",
„glücklichster Gelegcnheitskauf", „unerhört wohlfeil", „bis jetzt unerreicht",
»unbestritten das Beste", „große Preisherabsetzung", „nothwendige Geschäfts¬
aufgabe", „gänzlicher Ausverkauf" u. d. Jedes Aufsehen erregende Ereignis),


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/121>, abgerufen am 28.07.2024.