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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Capitel sündigt; denn er hat Eile, er lebt ja nur ein Ephemerenleben. Will
es hier mit einem Ruhm nicht recht vorwärts, so greift man ihm wohl mit
der einen oder der andern kleinen Modification der Wahrheit unter die Arme,
und die blinde Welt erfährt plötzlich, wem sie künftig Beifall zu klatschen
hat. "Der allerliebsten Soubrette N. in N. N.," so liest man da wohl in
einer gefälligen Zeitung, "soll der russische Fürst Upsilonsky seine Hand sammt
seinen Millionen und Diamanten angeboten haben, doch mit der Bedingung,
daß sie der Bühne entsage und mit ihm nach Italien gehe. Glücklicherweise
aber war ihre Liebe zur Kunst wärmer als ihre Neigung zu dem moskowiti¬
schen Krähen und seinen Rubeln, und so haben wir die Freude" u. s. w.
Oder: "Wie wir erfahren, hatte unser Heldentcnor X. vorige Woche eine
Meinungsdifferenz mit Capitän v. Z,, dem ersten Pistolenschützen der Residenz
und schon war die Stunde des Duells festgesetzt. Zu unsrer größten Befrie¬
digung ist indeß der Ehrenhandel noch im letzten Augenblick geschlichtet worden.
Welchen Verlust würde die Kunst zu beklagen haben, wenn" u. s. w. Heiraths-
antrag und Duell sind R^clamen, wir wissen es ohne viel Nachdenken; aber
wir sind nicht böse, wir lächeln nur über das Bedürfniß der Betreffenden, von
sich reden zu hören, und wir lächeln noch ein wenig länger, daß sie es nicht
ungeschickt zu befriedigen versuchten.

Am wenigsten anstößig erscheint die Reclame da, wo sie am häusigsten vor¬
kommt, aus dem Gebiet des Handels und der Industrie, ja man darf ihr hier
eine gewisse Berechtigung zuerkennen. Stört es das Behagen, einen Thron-
candidaten mit Ausruserkünstcn poussirt zu sehen, sträuben wir uns gegen markt¬
schreierische Anpreisung eines neuausgefundcnen Bibelcodcx, verdrießt es, zu
hören, daß ein Poet seine Stücke selbst lobt, so passen die Leistungen der Ge-
werbtreibenden wirtlich ans den Markt, auf den Markt wieder paßt Geschrei,
und wer am lautesten schreit unter den Kleinen und Neuen, zu denen die
Käufer nicht wie zu den großen und alten Firmen ungeladen kommen, der lockt
die meisten Kunden an. Klappern gehört zum Handwerk, lehrt das Sprich¬
wort.

Die Reclame ist eine demokratische Kunst -- viele Amerika! Nichten wir
den Blick aus die geographische Verbreitung derselben, so finden wir. daß sie
vor allem kräftig unter den Uankees gedeiht, wo das industrielle Leben auf
neuem Boden das rascheste Wachsthum zeigt und die Gegensätze raffinirter
Speculation und leichtgläubiger Urthümlichkeit am schroffsten sich gegenüberstehen.
England mit seinen großen Pillenfabrckanten und seiner im riesigsten Maßstab
annoncirendcn Schneiderfirma Moses und Sohn, Paris mit seiner "Llague"
und der förmlich in Compagnien und Bataillone organisirten Claque seiner
Theater stehen in einigen Branchen des Geschäfts nicht weit dahinter zurück.
Deutschland hat endlich in den letzten Jahrzehnten die Kunst ebenfalls zu cul-


Capitel sündigt; denn er hat Eile, er lebt ja nur ein Ephemerenleben. Will
es hier mit einem Ruhm nicht recht vorwärts, so greift man ihm wohl mit
der einen oder der andern kleinen Modification der Wahrheit unter die Arme,
und die blinde Welt erfährt plötzlich, wem sie künftig Beifall zu klatschen
hat. „Der allerliebsten Soubrette N. in N. N.," so liest man da wohl in
einer gefälligen Zeitung, „soll der russische Fürst Upsilonsky seine Hand sammt
seinen Millionen und Diamanten angeboten haben, doch mit der Bedingung,
daß sie der Bühne entsage und mit ihm nach Italien gehe. Glücklicherweise
aber war ihre Liebe zur Kunst wärmer als ihre Neigung zu dem moskowiti¬
schen Krähen und seinen Rubeln, und so haben wir die Freude" u. s. w.
Oder: „Wie wir erfahren, hatte unser Heldentcnor X. vorige Woche eine
Meinungsdifferenz mit Capitän v. Z,, dem ersten Pistolenschützen der Residenz
und schon war die Stunde des Duells festgesetzt. Zu unsrer größten Befrie¬
digung ist indeß der Ehrenhandel noch im letzten Augenblick geschlichtet worden.
Welchen Verlust würde die Kunst zu beklagen haben, wenn" u. s. w. Heiraths-
antrag und Duell sind R^clamen, wir wissen es ohne viel Nachdenken; aber
wir sind nicht böse, wir lächeln nur über das Bedürfniß der Betreffenden, von
sich reden zu hören, und wir lächeln noch ein wenig länger, daß sie es nicht
ungeschickt zu befriedigen versuchten.

Am wenigsten anstößig erscheint die Reclame da, wo sie am häusigsten vor¬
kommt, aus dem Gebiet des Handels und der Industrie, ja man darf ihr hier
eine gewisse Berechtigung zuerkennen. Stört es das Behagen, einen Thron-
candidaten mit Ausruserkünstcn poussirt zu sehen, sträuben wir uns gegen markt¬
schreierische Anpreisung eines neuausgefundcnen Bibelcodcx, verdrießt es, zu
hören, daß ein Poet seine Stücke selbst lobt, so passen die Leistungen der Ge-
werbtreibenden wirtlich ans den Markt, auf den Markt wieder paßt Geschrei,
und wer am lautesten schreit unter den Kleinen und Neuen, zu denen die
Käufer nicht wie zu den großen und alten Firmen ungeladen kommen, der lockt
die meisten Kunden an. Klappern gehört zum Handwerk, lehrt das Sprich¬
wort.

Die Reclame ist eine demokratische Kunst — viele Amerika! Nichten wir
den Blick aus die geographische Verbreitung derselben, so finden wir. daß sie
vor allem kräftig unter den Uankees gedeiht, wo das industrielle Leben auf
neuem Boden das rascheste Wachsthum zeigt und die Gegensätze raffinirter
Speculation und leichtgläubiger Urthümlichkeit am schroffsten sich gegenüberstehen.
England mit seinen großen Pillenfabrckanten und seiner im riesigsten Maßstab
annoncirendcn Schneiderfirma Moses und Sohn, Paris mit seiner „Llague"
und der förmlich in Compagnien und Bataillone organisirten Claque seiner
Theater stehen in einigen Branchen des Geschäfts nicht weit dahinter zurück.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/120>, abgerufen am 01.09.2024.