Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geben die unbeschreiblich geistvollen Zeichnungen dazu von Holbeins Hand einen
rechten Begriff von diesen Wunderwerken phantasiereicher Erfindung, Schönheits¬
fülle und künstlerisch weiser Rclumbenutzung. Als eine der dankenswerthesten
Bildbeilagen des Albums bringt dasselbe deren getreue Photographie. Beson¬
ders angelegen hat Herr Weltmann sich es sein lassen, uns, so weit es die
spärlichen Reste, die Entwürfe und Copien überhaupt noch gestatten, eine Vor¬
stellung von einer andern und eigenthümlichen Gattung von Kunstschöpfungen
zu verschaffen, in welchen Holbeins Genie einen ganz vorzüglich imposanten
und durchaus originellen Ausdruck fand. Es sind dies die von ihm in Luzern
und Basel gemalten Hciuserfayaden. Die schöne Sitte eines solchen Schmucks
war während der Renaissance in den reichen süddeutschen und schweizer Städten
so allgemein, wie in denen Norditaliens. Aber je Bedeutenderes hier wie dort
diesem Gebrauch entsprang, um so beklagenswerther ist die Vergänglichkeit,
welche grade solcher Arbeiten sichres Schicksal sein mußte, auch wenn die Bar-
barei der Menschen dem natürlichen zerstörenden Gang der Dinge nicht zu
Hilfe gekommen wäre, wie es z. B. bei dem Hause des Schultheiß von
Hartenstein zu Luzern der Fall gewesen ijt, dessen sämmtlicher äußerer und
innerer Wandbilderschmuck von Holbeins Hand bis zu Anfang dieses Jahrhunderts
erhalten war, wo er durch einen neuen Besitzer des Hauses seinen Untergang
fand. Als das Schönste in dieser Art preist der Verfasser die Fayadenmalerei
des dahier Hauses zum Tanz. Nach seiner auf Holbeins Originalskizzen im
dortigen Museum, die ich nicht kenne, gegründeten eingehenden Schilderung
muß hier freilich in der Kunst architektonischer Composition, in der prächtig
strömenden Fülle poetischer Erfindung, üppig-heitrer und großartiger Gestalten-
biidung ein Außerordentliches geleistet worden sein. -- Die 1523 von Holbein
ausgeführten Wandmalereien im dahier Rathhaus, gleichfalls längst der Zer-
störung verfallen, lernen wir wenigstens ihrem Inhalt und ihrer allgemeinen
Anordnung nach kennen, soweit die geringen Reste und Skizzen von diesen
svmbolisch.historischen Compositionen großen Stils eine Anschauung gewähren.
Glücklichere Geschicke, als über diesen Werken monumentaler Malerei, haben
über dem herrlichsten Tafelbilde gewaltet, das Holbein in Basel geschaffen, über
der Madonna mit der Familie des Bürgermeisters Meyer. So
sehr, daß wir sogar zwei vollkommen erhaltne Exemplare von diesem Meister¬
werk seines ganzen Lebens besitzen, das in der dresdner Galerie und das im
Besitz der Prinzessin Karl von Hessen zu Darmstadt befindliche. Keines ist
eine Copie des andern. Nach gewissenhafter Prüfung glaubt Herr Weltmann
letzteres als das erste und ursprüngliche, ersteres als eine hier und da verän-
derte Wiederholung von Holbeins Hand erklären zu können. Daß er sich die
Mühe giebt, die vielverbreitete thörichte Sage aus innern Gründen zu wider¬
legen, welche in dem Kinde auf dem Arm der Gottesmutter das kranke, von


Grenzboten I. 1866. ^

geben die unbeschreiblich geistvollen Zeichnungen dazu von Holbeins Hand einen
rechten Begriff von diesen Wunderwerken phantasiereicher Erfindung, Schönheits¬
fülle und künstlerisch weiser Rclumbenutzung. Als eine der dankenswerthesten
Bildbeilagen des Albums bringt dasselbe deren getreue Photographie. Beson¬
ders angelegen hat Herr Weltmann sich es sein lassen, uns, so weit es die
spärlichen Reste, die Entwürfe und Copien überhaupt noch gestatten, eine Vor¬
stellung von einer andern und eigenthümlichen Gattung von Kunstschöpfungen
zu verschaffen, in welchen Holbeins Genie einen ganz vorzüglich imposanten
und durchaus originellen Ausdruck fand. Es sind dies die von ihm in Luzern
und Basel gemalten Hciuserfayaden. Die schöne Sitte eines solchen Schmucks
war während der Renaissance in den reichen süddeutschen und schweizer Städten
so allgemein, wie in denen Norditaliens. Aber je Bedeutenderes hier wie dort
diesem Gebrauch entsprang, um so beklagenswerther ist die Vergänglichkeit,
welche grade solcher Arbeiten sichres Schicksal sein mußte, auch wenn die Bar-
barei der Menschen dem natürlichen zerstörenden Gang der Dinge nicht zu
Hilfe gekommen wäre, wie es z. B. bei dem Hause des Schultheiß von
Hartenstein zu Luzern der Fall gewesen ijt, dessen sämmtlicher äußerer und
innerer Wandbilderschmuck von Holbeins Hand bis zu Anfang dieses Jahrhunderts
erhalten war, wo er durch einen neuen Besitzer des Hauses seinen Untergang
fand. Als das Schönste in dieser Art preist der Verfasser die Fayadenmalerei
des dahier Hauses zum Tanz. Nach seiner auf Holbeins Originalskizzen im
dortigen Museum, die ich nicht kenne, gegründeten eingehenden Schilderung
muß hier freilich in der Kunst architektonischer Composition, in der prächtig
strömenden Fülle poetischer Erfindung, üppig-heitrer und großartiger Gestalten-
biidung ein Außerordentliches geleistet worden sein. — Die 1523 von Holbein
ausgeführten Wandmalereien im dahier Rathhaus, gleichfalls längst der Zer-
störung verfallen, lernen wir wenigstens ihrem Inhalt und ihrer allgemeinen
Anordnung nach kennen, soweit die geringen Reste und Skizzen von diesen
svmbolisch.historischen Compositionen großen Stils eine Anschauung gewähren.
Glücklichere Geschicke, als über diesen Werken monumentaler Malerei, haben
über dem herrlichsten Tafelbilde gewaltet, das Holbein in Basel geschaffen, über
der Madonna mit der Familie des Bürgermeisters Meyer. So
sehr, daß wir sogar zwei vollkommen erhaltne Exemplare von diesem Meister¬
werk seines ganzen Lebens besitzen, das in der dresdner Galerie und das im
Besitz der Prinzessin Karl von Hessen zu Darmstadt befindliche. Keines ist
eine Copie des andern. Nach gewissenhafter Prüfung glaubt Herr Weltmann
letzteres als das erste und ursprüngliche, ersteres als eine hier und da verän-
derte Wiederholung von Holbeins Hand erklären zu können. Daß er sich die
Mühe giebt, die vielverbreitete thörichte Sage aus innern Gründen zu wider¬
legen, welche in dem Kinde auf dem Arm der Gottesmutter das kranke, von


Grenzboten I. 1866. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284569"/>
          <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278" next="#ID_280"> geben die unbeschreiblich geistvollen Zeichnungen dazu von Holbeins Hand einen<lb/>
rechten Begriff von diesen Wunderwerken phantasiereicher Erfindung, Schönheits¬<lb/>
fülle und künstlerisch weiser Rclumbenutzung.  Als eine der dankenswerthesten<lb/>
Bildbeilagen des Albums bringt dasselbe deren getreue Photographie. Beson¬<lb/>
ders angelegen hat Herr Weltmann sich es sein lassen, uns, so weit es die<lb/>
spärlichen Reste, die Entwürfe und Copien überhaupt noch gestatten, eine Vor¬<lb/>
stellung von einer andern und eigenthümlichen Gattung von Kunstschöpfungen<lb/>
zu verschaffen, in welchen Holbeins Genie einen ganz vorzüglich imposanten<lb/>
und durchaus originellen Ausdruck fand. Es sind dies die von ihm in Luzern<lb/>
und Basel gemalten Hciuserfayaden. Die schöne Sitte eines solchen Schmucks<lb/>
war während der Renaissance in den reichen süddeutschen und schweizer Städten<lb/>
so allgemein, wie in denen Norditaliens. Aber je Bedeutenderes hier wie dort<lb/>
diesem Gebrauch entsprang, um so beklagenswerther ist die Vergänglichkeit,<lb/>
welche grade solcher Arbeiten sichres Schicksal sein mußte, auch wenn die Bar-<lb/>
barei der Menschen dem natürlichen zerstörenden Gang der Dinge nicht zu<lb/>
Hilfe gekommen wäre, wie es z. B. bei dem Hause des Schultheiß von<lb/>
Hartenstein zu Luzern der Fall gewesen ijt, dessen sämmtlicher äußerer und<lb/>
innerer Wandbilderschmuck von Holbeins Hand bis zu Anfang dieses Jahrhunderts<lb/>
erhalten war, wo er durch einen neuen Besitzer des Hauses seinen Untergang<lb/>
fand. Als das Schönste in dieser Art preist der Verfasser die Fayadenmalerei<lb/>
des dahier Hauses zum Tanz. Nach seiner auf Holbeins Originalskizzen im<lb/>
dortigen Museum, die ich nicht kenne, gegründeten eingehenden Schilderung<lb/>
muß hier freilich in der Kunst architektonischer Composition, in der prächtig<lb/>
strömenden Fülle poetischer Erfindung, üppig-heitrer und großartiger Gestalten-<lb/>
biidung ein Außerordentliches geleistet worden sein. &#x2014; Die 1523 von Holbein<lb/>
ausgeführten Wandmalereien im dahier Rathhaus, gleichfalls längst der Zer-<lb/>
störung verfallen, lernen wir wenigstens ihrem Inhalt und ihrer allgemeinen<lb/>
Anordnung nach kennen, soweit die geringen Reste und Skizzen von diesen<lb/>
svmbolisch.historischen Compositionen großen Stils eine Anschauung gewähren.<lb/>
Glücklichere Geschicke, als über diesen Werken monumentaler Malerei, haben<lb/>
über dem herrlichsten Tafelbilde gewaltet, das Holbein in Basel geschaffen, über<lb/>
der Madonna mit der Familie des Bürgermeisters Meyer. So<lb/>
sehr, daß wir sogar zwei vollkommen erhaltne Exemplare von diesem Meister¬<lb/>
werk seines ganzen Lebens besitzen, das in der dresdner Galerie und das im<lb/>
Besitz der Prinzessin Karl von Hessen zu Darmstadt befindliche.  Keines ist<lb/>
eine Copie des andern. Nach gewissenhafter Prüfung glaubt Herr Weltmann<lb/>
letzteres als das erste und ursprüngliche, ersteres als eine hier und da verän-<lb/>
derte Wiederholung von Holbeins Hand erklären zu können.  Daß er sich die<lb/>
Mühe giebt, die vielverbreitete thörichte Sage aus innern Gründen zu wider¬<lb/>
legen, welche in dem Kinde auf dem Arm der Gottesmutter das kranke, von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1866. ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] geben die unbeschreiblich geistvollen Zeichnungen dazu von Holbeins Hand einen rechten Begriff von diesen Wunderwerken phantasiereicher Erfindung, Schönheits¬ fülle und künstlerisch weiser Rclumbenutzung. Als eine der dankenswerthesten Bildbeilagen des Albums bringt dasselbe deren getreue Photographie. Beson¬ ders angelegen hat Herr Weltmann sich es sein lassen, uns, so weit es die spärlichen Reste, die Entwürfe und Copien überhaupt noch gestatten, eine Vor¬ stellung von einer andern und eigenthümlichen Gattung von Kunstschöpfungen zu verschaffen, in welchen Holbeins Genie einen ganz vorzüglich imposanten und durchaus originellen Ausdruck fand. Es sind dies die von ihm in Luzern und Basel gemalten Hciuserfayaden. Die schöne Sitte eines solchen Schmucks war während der Renaissance in den reichen süddeutschen und schweizer Städten so allgemein, wie in denen Norditaliens. Aber je Bedeutenderes hier wie dort diesem Gebrauch entsprang, um so beklagenswerther ist die Vergänglichkeit, welche grade solcher Arbeiten sichres Schicksal sein mußte, auch wenn die Bar- barei der Menschen dem natürlichen zerstörenden Gang der Dinge nicht zu Hilfe gekommen wäre, wie es z. B. bei dem Hause des Schultheiß von Hartenstein zu Luzern der Fall gewesen ijt, dessen sämmtlicher äußerer und innerer Wandbilderschmuck von Holbeins Hand bis zu Anfang dieses Jahrhunderts erhalten war, wo er durch einen neuen Besitzer des Hauses seinen Untergang fand. Als das Schönste in dieser Art preist der Verfasser die Fayadenmalerei des dahier Hauses zum Tanz. Nach seiner auf Holbeins Originalskizzen im dortigen Museum, die ich nicht kenne, gegründeten eingehenden Schilderung muß hier freilich in der Kunst architektonischer Composition, in der prächtig strömenden Fülle poetischer Erfindung, üppig-heitrer und großartiger Gestalten- biidung ein Außerordentliches geleistet worden sein. — Die 1523 von Holbein ausgeführten Wandmalereien im dahier Rathhaus, gleichfalls längst der Zer- störung verfallen, lernen wir wenigstens ihrem Inhalt und ihrer allgemeinen Anordnung nach kennen, soweit die geringen Reste und Skizzen von diesen svmbolisch.historischen Compositionen großen Stils eine Anschauung gewähren. Glücklichere Geschicke, als über diesen Werken monumentaler Malerei, haben über dem herrlichsten Tafelbilde gewaltet, das Holbein in Basel geschaffen, über der Madonna mit der Familie des Bürgermeisters Meyer. So sehr, daß wir sogar zwei vollkommen erhaltne Exemplare von diesem Meister¬ werk seines ganzen Lebens besitzen, das in der dresdner Galerie und das im Besitz der Prinzessin Karl von Hessen zu Darmstadt befindliche. Keines ist eine Copie des andern. Nach gewissenhafter Prüfung glaubt Herr Weltmann letzteres als das erste und ursprüngliche, ersteres als eine hier und da verän- derte Wiederholung von Holbeins Hand erklären zu können. Daß er sich die Mühe giebt, die vielverbreitete thörichte Sage aus innern Gründen zu wider¬ legen, welche in dem Kinde auf dem Arm der Gottesmutter das kranke, von Grenzboten I. 1866. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/99>, abgerufen am 29.09.2024.