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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Plage, daß er ihre ohnehin schon geringe Selbständigkeit mit allen denkbaren
büreaukratischen Mitteln noch ferner einzuschnüren suchte. Die Nichtbestätigung
liberaler Magistratsmitglieder, der Versuch gewaltsamer Einführung des bekannten
neuen Katechismus -- der auf Pastor Baurschmidts mannhafte Weigerung hin
den denkwürdigen und folgenreichen Katechismussturm hervorrief --, das ge¬
heime Agitiren durch vertrauliche Drohbriefe an Staatsdiener u.tgi., gegen
das Turnwesen und andre Bestrebungen der Zeit, welche die Selbständigkeit des
Bürgers zu entwickeln dienen, machten den in einzelnen Kreisen entzündeten
Haß und Zorn mit der Zeit zu einer allgemeinen Erscheinung.

Vergebens bot Landdrost Bacmeister hiergegen sein seltnes Maß von Ver¬
stand und Thätigkeit auf. Es gelang ihm nicht, die städtischen Wahlen zur
Ständeversammlung dauernd regierungsfreundlich ausfallen zu machen; Emden
z. B., das unter Graf Borries servil gewählt hatte, läßt sich jetzt durch seinen
wackeren Bürgermeister Hantelmann vertreten, und den Sitz einer anderen ost¬
friesischen Stadt hat der ausgeschiedene Minister Windthorst inne, der sich schwer¬
lich unter das kleine bacmeistersche Gefolge in der zweiten Kammer einreihen
lassen wird. Es half dem Landdrosten auch nichts, daß er den verstorbenen
Landrath Vissering, einen durch Ehrgeiz und Eitelkeit mehr als billig getriebenen
Mann, bestimmte, ihm den Vorsitz im landwirthschaftlichen Provinzialverein zu
überlassen: die ländlichen Wahlen sielen stets ebenmäßig liberal und oppositionell
aus. Ob er auch dem weder sehr zahlreichen noch sonst bedeutenden Adel Ost¬
frieslands lästig geworden ist, bleibe dahingestellt. Gewiß scheint, daß der
Graf Knvphauscn zu Lütetsvurg bei Norden den letzten Ausenthalt des Königs
auf Norderney benutzte, um demselben vorzustellen, der Landdrost sei zu unbe¬
liebt, als daß auf eine schwungvolle Jubelfeier zu rechnen sei, so lange er im
Amte bleibe, und daß daraufhin die Erhöhung des brauchbaren, aber nicht an
den rechten Platz gestellten Dieners erfolgte. Weislich wurde auch mit der Er¬
nennung des Nachfolgers so lange gewartet, daß die Ostfriesen keine Zeit be¬
hielten, sich noch vor dem Feste über den Werth der Ernennung zu verständigen.
Sie traf den vormaligen hannoverschen Bundescommissär für Holstein, Geheimen
Nath Nieder. Minister Bacmeister aber mußte den König auf der Hulbigungs-
fahrt begleiten, um den Ostfriesen gleichzeitig zwei Dinge vor Augen zu führen:
erstens, daß der König ihnen den Willen gethan, und dann, daß er damit ihr
Urtheil über den Mann nicht im mindesten unterschrieben haben wolle, denn er
halte ihn für noch weit wichtigeren Geschäften gewachsen als der Verwaltung
einer bloßen Provinz.

Trotz der gemachten Zugeständnisse aber fehlte viel, daß Ostfriesland sich
auf die Jubelfeier freudig gerüstet hätte. Vielmehr hat der Provinziallandtag,
der am 1. December der Vorbereitungen halber zusammenkam, die Einladungen


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Plage, daß er ihre ohnehin schon geringe Selbständigkeit mit allen denkbaren
büreaukratischen Mitteln noch ferner einzuschnüren suchte. Die Nichtbestätigung
liberaler Magistratsmitglieder, der Versuch gewaltsamer Einführung des bekannten
neuen Katechismus — der auf Pastor Baurschmidts mannhafte Weigerung hin
den denkwürdigen und folgenreichen Katechismussturm hervorrief —, das ge¬
heime Agitiren durch vertrauliche Drohbriefe an Staatsdiener u.tgi., gegen
das Turnwesen und andre Bestrebungen der Zeit, welche die Selbständigkeit des
Bürgers zu entwickeln dienen, machten den in einzelnen Kreisen entzündeten
Haß und Zorn mit der Zeit zu einer allgemeinen Erscheinung.

Vergebens bot Landdrost Bacmeister hiergegen sein seltnes Maß von Ver¬
stand und Thätigkeit auf. Es gelang ihm nicht, die städtischen Wahlen zur
Ständeversammlung dauernd regierungsfreundlich ausfallen zu machen; Emden
z. B., das unter Graf Borries servil gewählt hatte, läßt sich jetzt durch seinen
wackeren Bürgermeister Hantelmann vertreten, und den Sitz einer anderen ost¬
friesischen Stadt hat der ausgeschiedene Minister Windthorst inne, der sich schwer¬
lich unter das kleine bacmeistersche Gefolge in der zweiten Kammer einreihen
lassen wird. Es half dem Landdrosten auch nichts, daß er den verstorbenen
Landrath Vissering, einen durch Ehrgeiz und Eitelkeit mehr als billig getriebenen
Mann, bestimmte, ihm den Vorsitz im landwirthschaftlichen Provinzialverein zu
überlassen: die ländlichen Wahlen sielen stets ebenmäßig liberal und oppositionell
aus. Ob er auch dem weder sehr zahlreichen noch sonst bedeutenden Adel Ost¬
frieslands lästig geworden ist, bleibe dahingestellt. Gewiß scheint, daß der
Graf Knvphauscn zu Lütetsvurg bei Norden den letzten Ausenthalt des Königs
auf Norderney benutzte, um demselben vorzustellen, der Landdrost sei zu unbe¬
liebt, als daß auf eine schwungvolle Jubelfeier zu rechnen sei, so lange er im
Amte bleibe, und daß daraufhin die Erhöhung des brauchbaren, aber nicht an
den rechten Platz gestellten Dieners erfolgte. Weislich wurde auch mit der Er¬
nennung des Nachfolgers so lange gewartet, daß die Ostfriesen keine Zeit be¬
hielten, sich noch vor dem Feste über den Werth der Ernennung zu verständigen.
Sie traf den vormaligen hannoverschen Bundescommissär für Holstein, Geheimen
Nath Nieder. Minister Bacmeister aber mußte den König auf der Hulbigungs-
fahrt begleiten, um den Ostfriesen gleichzeitig zwei Dinge vor Augen zu führen:
erstens, daß der König ihnen den Willen gethan, und dann, daß er damit ihr
Urtheil über den Mann nicht im mindesten unterschrieben haben wolle, denn er
halte ihn für noch weit wichtigeren Geschäften gewachsen als der Verwaltung
einer bloßen Provinz.

Trotz der gemachten Zugeständnisse aber fehlte viel, daß Ostfriesland sich
auf die Jubelfeier freudig gerüstet hätte. Vielmehr hat der Provinziallandtag,
der am 1. December der Vorbereitungen halber zusammenkam, die Einladungen


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[0009] Plage, daß er ihre ohnehin schon geringe Selbständigkeit mit allen denkbaren büreaukratischen Mitteln noch ferner einzuschnüren suchte. Die Nichtbestätigung liberaler Magistratsmitglieder, der Versuch gewaltsamer Einführung des bekannten neuen Katechismus — der auf Pastor Baurschmidts mannhafte Weigerung hin den denkwürdigen und folgenreichen Katechismussturm hervorrief —, das ge¬ heime Agitiren durch vertrauliche Drohbriefe an Staatsdiener u.tgi., gegen das Turnwesen und andre Bestrebungen der Zeit, welche die Selbständigkeit des Bürgers zu entwickeln dienen, machten den in einzelnen Kreisen entzündeten Haß und Zorn mit der Zeit zu einer allgemeinen Erscheinung. Vergebens bot Landdrost Bacmeister hiergegen sein seltnes Maß von Ver¬ stand und Thätigkeit auf. Es gelang ihm nicht, die städtischen Wahlen zur Ständeversammlung dauernd regierungsfreundlich ausfallen zu machen; Emden z. B., das unter Graf Borries servil gewählt hatte, läßt sich jetzt durch seinen wackeren Bürgermeister Hantelmann vertreten, und den Sitz einer anderen ost¬ friesischen Stadt hat der ausgeschiedene Minister Windthorst inne, der sich schwer¬ lich unter das kleine bacmeistersche Gefolge in der zweiten Kammer einreihen lassen wird. Es half dem Landdrosten auch nichts, daß er den verstorbenen Landrath Vissering, einen durch Ehrgeiz und Eitelkeit mehr als billig getriebenen Mann, bestimmte, ihm den Vorsitz im landwirthschaftlichen Provinzialverein zu überlassen: die ländlichen Wahlen sielen stets ebenmäßig liberal und oppositionell aus. Ob er auch dem weder sehr zahlreichen noch sonst bedeutenden Adel Ost¬ frieslands lästig geworden ist, bleibe dahingestellt. Gewiß scheint, daß der Graf Knvphauscn zu Lütetsvurg bei Norden den letzten Ausenthalt des Königs auf Norderney benutzte, um demselben vorzustellen, der Landdrost sei zu unbe¬ liebt, als daß auf eine schwungvolle Jubelfeier zu rechnen sei, so lange er im Amte bleibe, und daß daraufhin die Erhöhung des brauchbaren, aber nicht an den rechten Platz gestellten Dieners erfolgte. Weislich wurde auch mit der Er¬ nennung des Nachfolgers so lange gewartet, daß die Ostfriesen keine Zeit be¬ hielten, sich noch vor dem Feste über den Werth der Ernennung zu verständigen. Sie traf den vormaligen hannoverschen Bundescommissär für Holstein, Geheimen Nath Nieder. Minister Bacmeister aber mußte den König auf der Hulbigungs- fahrt begleiten, um den Ostfriesen gleichzeitig zwei Dinge vor Augen zu führen: erstens, daß der König ihnen den Willen gethan, und dann, daß er damit ihr Urtheil über den Mann nicht im mindesten unterschrieben haben wolle, denn er halte ihn für noch weit wichtigeren Geschäften gewachsen als der Verwaltung einer bloßen Provinz. Trotz der gemachten Zugeständnisse aber fehlte viel, daß Ostfriesland sich auf die Jubelfeier freudig gerüstet hätte. Vielmehr hat der Provinziallandtag, der am 1. December der Vorbereitungen halber zusammenkam, die Einladungen 1*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/9>, abgerufen am 22.12.2024.