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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Ferner aber zierten die deutschen Humanisten zwei andere Vorzüge: sie
latinisirten oder gräcisirten ihre Namen, aber sie hatten ein Herz für Deutsch¬
land und die Tugenden ihrer Landsleute; sie ehrten die römische Wissenschaft,
aber sie haßten und bekämpften die Verderbniß der römischen Kirche und des
ganzen welschen Lebens, weiche durch die Kanäle der Hierarchie auch den Deutschen
zugekommen war und alle Welt sittlich zu Grunde zu richten drohte. Sie
waren die Ersten, die wieder auf die Nothwendigkeit einer Reformation auf¬
merksam machten, die Ersten auch, die mit feurigen Worten patriotische Ge¬
danken unter die Gebildeten warfen. Viele freilich waren (wie heutzutage
nicht wenige sonst Treffliche auf politischem Felde) nicht stark und kühn genug,
viele zu weichlich und rücksichtsvoll, um, als ihre Saat mit andern Saaten des
Jahrhunderts im zweiten Decennium des folgenden mächtig aufging, sich treu
und consequent den Bekennern der vollen Wahrheit anzureihen. Einige können
gradezu als Belege für ein bekanntes Kraftwort Schlossers angeführt werden,
nach welchem Gelehrsamkeit und mannhafte Gesinnung sich nicht vertrügen.
Aber das Verdienst, Vorarbeiter rüstigster Art gewesen zu sein, wird diesen
Männern, die mit ihrer Kritik die ersten vorsichtigen Versuche zur Zerstörung
der Grundlagen päpstlicher Macht unternahmen, die der mittelalterlichen Dogmatik
jene Axt an die Wurzel legten, welche dann von Luther und Zwingli ge¬
schwungen wurde, und die das Werkzeug zur Entsiegelung der Bibel schufen,
für alle Zeiten bleiben. Vom jetzigen Standpunkte der Alterthumswissenschaft
serner erscheint vieles dilettantisch und phantastisch an ihnen; aber wenn sie
den realen Inhalt der classischen Welt nur unvollkommen kannten, so wurden
sie doch durch Ahnung des noch Unklaren weit über ihre Gegner gehoben. Mit
einem Fleiß und einer Geduld ohne Gleichen arbeiteten sie sich, durch den Geist
der Zeit nächst der Philologie vorzüglich auf theologische Untersuchungen hin¬
gewiesen, mit den armseligen Hilfsmitteln eines Geschlechts ohne griechische
und hebräische Grammatiker und Wörterbücher zu sehr achtbarer Kenntniß der
Sprachen des Alten und Neuen Testaments empor. Ja Manche gingen weiter
und bildeten sich schon aus den Resultaten ihrer Studien eine neue Dogmatik
und Religionsphilosophie, die neben manchem nebelhaften, neuplatonischen, ja
Kabbalistischen auch manchen klaren Blick enthielt.

"Die Religion Christi," schreibt Mullan, einer der feinsten Köpfe der
Humanistenbruderschast. an seinen Freund Spalatin, "hat nicht erst mit seiner
Menschwerdung begonnen, sondern sie war vor allen Dingen, wie Christi erste
Geburt (aus Gott dem Vater). Denn was ist der wahre Christus, der wahre
Sohn Gottes Anderes, als. wie Paulus sagt, die Weisheit Gottes, welche
nicht blos bei den Juden in einer engen Landschaft Syriens, sondern auch bei
den Griechen, den Jtalern und Germanen war, wie verschieden auch deren
Religionsgebräuche waren."


Ferner aber zierten die deutschen Humanisten zwei andere Vorzüge: sie
latinisirten oder gräcisirten ihre Namen, aber sie hatten ein Herz für Deutsch¬
land und die Tugenden ihrer Landsleute; sie ehrten die römische Wissenschaft,
aber sie haßten und bekämpften die Verderbniß der römischen Kirche und des
ganzen welschen Lebens, weiche durch die Kanäle der Hierarchie auch den Deutschen
zugekommen war und alle Welt sittlich zu Grunde zu richten drohte. Sie
waren die Ersten, die wieder auf die Nothwendigkeit einer Reformation auf¬
merksam machten, die Ersten auch, die mit feurigen Worten patriotische Ge¬
danken unter die Gebildeten warfen. Viele freilich waren (wie heutzutage
nicht wenige sonst Treffliche auf politischem Felde) nicht stark und kühn genug,
viele zu weichlich und rücksichtsvoll, um, als ihre Saat mit andern Saaten des
Jahrhunderts im zweiten Decennium des folgenden mächtig aufging, sich treu
und consequent den Bekennern der vollen Wahrheit anzureihen. Einige können
gradezu als Belege für ein bekanntes Kraftwort Schlossers angeführt werden,
nach welchem Gelehrsamkeit und mannhafte Gesinnung sich nicht vertrügen.
Aber das Verdienst, Vorarbeiter rüstigster Art gewesen zu sein, wird diesen
Männern, die mit ihrer Kritik die ersten vorsichtigen Versuche zur Zerstörung
der Grundlagen päpstlicher Macht unternahmen, die der mittelalterlichen Dogmatik
jene Axt an die Wurzel legten, welche dann von Luther und Zwingli ge¬
schwungen wurde, und die das Werkzeug zur Entsiegelung der Bibel schufen,
für alle Zeiten bleiben. Vom jetzigen Standpunkte der Alterthumswissenschaft
serner erscheint vieles dilettantisch und phantastisch an ihnen; aber wenn sie
den realen Inhalt der classischen Welt nur unvollkommen kannten, so wurden
sie doch durch Ahnung des noch Unklaren weit über ihre Gegner gehoben. Mit
einem Fleiß und einer Geduld ohne Gleichen arbeiteten sie sich, durch den Geist
der Zeit nächst der Philologie vorzüglich auf theologische Untersuchungen hin¬
gewiesen, mit den armseligen Hilfsmitteln eines Geschlechts ohne griechische
und hebräische Grammatiker und Wörterbücher zu sehr achtbarer Kenntniß der
Sprachen des Alten und Neuen Testaments empor. Ja Manche gingen weiter
und bildeten sich schon aus den Resultaten ihrer Studien eine neue Dogmatik
und Religionsphilosophie, die neben manchem nebelhaften, neuplatonischen, ja
Kabbalistischen auch manchen klaren Blick enthielt.

„Die Religion Christi," schreibt Mullan, einer der feinsten Köpfe der
Humanistenbruderschast. an seinen Freund Spalatin, „hat nicht erst mit seiner
Menschwerdung begonnen, sondern sie war vor allen Dingen, wie Christi erste
Geburt (aus Gott dem Vater). Denn was ist der wahre Christus, der wahre
Sohn Gottes Anderes, als. wie Paulus sagt, die Weisheit Gottes, welche
nicht blos bei den Juden in einer engen Landschaft Syriens, sondern auch bei
den Griechen, den Jtalern und Germanen war, wie verschieden auch deren
Religionsgebräuche waren."


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[0516] Ferner aber zierten die deutschen Humanisten zwei andere Vorzüge: sie latinisirten oder gräcisirten ihre Namen, aber sie hatten ein Herz für Deutsch¬ land und die Tugenden ihrer Landsleute; sie ehrten die römische Wissenschaft, aber sie haßten und bekämpften die Verderbniß der römischen Kirche und des ganzen welschen Lebens, weiche durch die Kanäle der Hierarchie auch den Deutschen zugekommen war und alle Welt sittlich zu Grunde zu richten drohte. Sie waren die Ersten, die wieder auf die Nothwendigkeit einer Reformation auf¬ merksam machten, die Ersten auch, die mit feurigen Worten patriotische Ge¬ danken unter die Gebildeten warfen. Viele freilich waren (wie heutzutage nicht wenige sonst Treffliche auf politischem Felde) nicht stark und kühn genug, viele zu weichlich und rücksichtsvoll, um, als ihre Saat mit andern Saaten des Jahrhunderts im zweiten Decennium des folgenden mächtig aufging, sich treu und consequent den Bekennern der vollen Wahrheit anzureihen. Einige können gradezu als Belege für ein bekanntes Kraftwort Schlossers angeführt werden, nach welchem Gelehrsamkeit und mannhafte Gesinnung sich nicht vertrügen. Aber das Verdienst, Vorarbeiter rüstigster Art gewesen zu sein, wird diesen Männern, die mit ihrer Kritik die ersten vorsichtigen Versuche zur Zerstörung der Grundlagen päpstlicher Macht unternahmen, die der mittelalterlichen Dogmatik jene Axt an die Wurzel legten, welche dann von Luther und Zwingli ge¬ schwungen wurde, und die das Werkzeug zur Entsiegelung der Bibel schufen, für alle Zeiten bleiben. Vom jetzigen Standpunkte der Alterthumswissenschaft serner erscheint vieles dilettantisch und phantastisch an ihnen; aber wenn sie den realen Inhalt der classischen Welt nur unvollkommen kannten, so wurden sie doch durch Ahnung des noch Unklaren weit über ihre Gegner gehoben. Mit einem Fleiß und einer Geduld ohne Gleichen arbeiteten sie sich, durch den Geist der Zeit nächst der Philologie vorzüglich auf theologische Untersuchungen hin¬ gewiesen, mit den armseligen Hilfsmitteln eines Geschlechts ohne griechische und hebräische Grammatiker und Wörterbücher zu sehr achtbarer Kenntniß der Sprachen des Alten und Neuen Testaments empor. Ja Manche gingen weiter und bildeten sich schon aus den Resultaten ihrer Studien eine neue Dogmatik und Religionsphilosophie, die neben manchem nebelhaften, neuplatonischen, ja Kabbalistischen auch manchen klaren Blick enthielt. „Die Religion Christi," schreibt Mullan, einer der feinsten Köpfe der Humanistenbruderschast. an seinen Freund Spalatin, „hat nicht erst mit seiner Menschwerdung begonnen, sondern sie war vor allen Dingen, wie Christi erste Geburt (aus Gott dem Vater). Denn was ist der wahre Christus, der wahre Sohn Gottes Anderes, als. wie Paulus sagt, die Weisheit Gottes, welche nicht blos bei den Juden in einer engen Landschaft Syriens, sondern auch bei den Griechen, den Jtalern und Germanen war, wie verschieden auch deren Religionsgebräuche waren."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/516>, abgerufen am 23.12.2024.