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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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die nicht lesen und schreiben könnte.*) Beinahe jeder Knecht kann seine Rech¬
nung mit seinem Herrn selbst führen und ebenso jede Magd mit ihrer Herrin."

"Die heilige Schrift wird in Deutschland viel in den Schulen gebraucht.
Und auch die dortigen Papisten sind dort durch das Gesetz genöthigt, ihre
Kinder die heilige Schrift lesen zu lassen, wenn sie es auch nicht wollen." (Sie!)

"Auch Sonntagsschulen bestehen dort, welche von Kaufmannsdienern,
Knechten und andern Leuten, die alle Wochentage arbeiten und nicht siudiren
können, besucht werden dürfen, damit sie das in der Jugend Gelernte nicht
vergessen."

"Wie gesegnet ist ein Volk, dessen sämmtliche Mitglieder gelernt haben,
das heilige Wort Gottes zu lesen, zu schreiben und ihre Geschäfte zu ver¬
richten! Zwar giebt es auch unter den Deutschen Arme, wie in andern Län¬
dern, aber auch die Aermsten können zu der höchsten Stufe der Bildung ge¬
langen. O daß doch bald der Tag käme, an dem alle Syrer schreiben und lesen
könnten! Heil dem Volke, dessen Zustand ein solcher, Heil dem Volke, dessen
Gott der Herr ist!"

Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, die gottlosen Deutschen von
einem frommen Amerikaner so gepriesen zu sehn. Wir wollen den Theil deS
Lobes, der uns gebührt, mit Dank hinnehmen und im Uebrigen diesen Artikel
als ein Beispiel der Gleichsetzung europäischer Bildung und Frömmigkeit an-
sehn. welche in der Zeitschrift durchgängig erscheint.

Die Schriftsteller lieben es überhaupt, fremde Muster aufzustellen. So
Wird den Nestorianern, die als Christen geboren und doch so schwer zu Christus
und zur Bildung zu erziehen seien, immer wieder das Beispiel der Sandwich-
insulaner vorgehalten, welche aus scheußlichen Heiden in unglaublich kurzer Zeit
zu gebildeten Christen gemacht wären. Wir wollen nicht genauer untersuchen,
wie weit die hier angegebnen Thatsachen richtig sind; nur das ist zu bedenken,
wie viel leichter es ist, einem absolut bildungslosen und dabei leichtgläubigen
Volk eine neue Religions- und Bildungssorm aufzudrücken, als einem Volke,
das wenigstens eine Erinnerung an eine dereinstige höhere Bildung hat -- ich
verweise nur auf die schnelle Bekehrung der Türken zum Islam, der Mongolen
zum Buddhismus -- und ferner möchte ich zu bedenken geben, ob nicht der
scharfe Spruch Matth. 23, 15: ("Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern,
ihr Heuchler, die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr Einen Judengenossen
machet; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle,
zwiefältig mehr, denn ihr seid") nicht auch hier und da auf die Bekehrungen
in der Südsee Anwendung finde, wie ihn unsere Zeitschrift einmal gelegentlich
auf die Bekehrung durch päpstliche Sendboten anwendet.



') Frage deS Setzers: Gehört Mecklenburg auch zu Lämsistan?

die nicht lesen und schreiben könnte.*) Beinahe jeder Knecht kann seine Rech¬
nung mit seinem Herrn selbst führen und ebenso jede Magd mit ihrer Herrin."

„Die heilige Schrift wird in Deutschland viel in den Schulen gebraucht.
Und auch die dortigen Papisten sind dort durch das Gesetz genöthigt, ihre
Kinder die heilige Schrift lesen zu lassen, wenn sie es auch nicht wollen." (Sie!)

„Auch Sonntagsschulen bestehen dort, welche von Kaufmannsdienern,
Knechten und andern Leuten, die alle Wochentage arbeiten und nicht siudiren
können, besucht werden dürfen, damit sie das in der Jugend Gelernte nicht
vergessen."

„Wie gesegnet ist ein Volk, dessen sämmtliche Mitglieder gelernt haben,
das heilige Wort Gottes zu lesen, zu schreiben und ihre Geschäfte zu ver¬
richten! Zwar giebt es auch unter den Deutschen Arme, wie in andern Län¬
dern, aber auch die Aermsten können zu der höchsten Stufe der Bildung ge¬
langen. O daß doch bald der Tag käme, an dem alle Syrer schreiben und lesen
könnten! Heil dem Volke, dessen Zustand ein solcher, Heil dem Volke, dessen
Gott der Herr ist!"

Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, die gottlosen Deutschen von
einem frommen Amerikaner so gepriesen zu sehn. Wir wollen den Theil deS
Lobes, der uns gebührt, mit Dank hinnehmen und im Uebrigen diesen Artikel
als ein Beispiel der Gleichsetzung europäischer Bildung und Frömmigkeit an-
sehn. welche in der Zeitschrift durchgängig erscheint.

Die Schriftsteller lieben es überhaupt, fremde Muster aufzustellen. So
Wird den Nestorianern, die als Christen geboren und doch so schwer zu Christus
und zur Bildung zu erziehen seien, immer wieder das Beispiel der Sandwich-
insulaner vorgehalten, welche aus scheußlichen Heiden in unglaublich kurzer Zeit
zu gebildeten Christen gemacht wären. Wir wollen nicht genauer untersuchen,
wie weit die hier angegebnen Thatsachen richtig sind; nur das ist zu bedenken,
wie viel leichter es ist, einem absolut bildungslosen und dabei leichtgläubigen
Volk eine neue Religions- und Bildungssorm aufzudrücken, als einem Volke,
das wenigstens eine Erinnerung an eine dereinstige höhere Bildung hat — ich
verweise nur auf die schnelle Bekehrung der Türken zum Islam, der Mongolen
zum Buddhismus — und ferner möchte ich zu bedenken geben, ob nicht der
scharfe Spruch Matth. 23, 15: („Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern,
ihr Heuchler, die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr Einen Judengenossen
machet; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle,
zwiefältig mehr, denn ihr seid") nicht auch hier und da auf die Bekehrungen
in der Südsee Anwendung finde, wie ihn unsere Zeitschrift einmal gelegentlich
auf die Bekehrung durch päpstliche Sendboten anwendet.



') Frage deS Setzers: Gehört Mecklenburg auch zu Lämsistan?
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[0499] die nicht lesen und schreiben könnte.*) Beinahe jeder Knecht kann seine Rech¬ nung mit seinem Herrn selbst führen und ebenso jede Magd mit ihrer Herrin." „Die heilige Schrift wird in Deutschland viel in den Schulen gebraucht. Und auch die dortigen Papisten sind dort durch das Gesetz genöthigt, ihre Kinder die heilige Schrift lesen zu lassen, wenn sie es auch nicht wollen." (Sie!) „Auch Sonntagsschulen bestehen dort, welche von Kaufmannsdienern, Knechten und andern Leuten, die alle Wochentage arbeiten und nicht siudiren können, besucht werden dürfen, damit sie das in der Jugend Gelernte nicht vergessen." „Wie gesegnet ist ein Volk, dessen sämmtliche Mitglieder gelernt haben, das heilige Wort Gottes zu lesen, zu schreiben und ihre Geschäfte zu ver¬ richten! Zwar giebt es auch unter den Deutschen Arme, wie in andern Län¬ dern, aber auch die Aermsten können zu der höchsten Stufe der Bildung ge¬ langen. O daß doch bald der Tag käme, an dem alle Syrer schreiben und lesen könnten! Heil dem Volke, dessen Zustand ein solcher, Heil dem Volke, dessen Gott der Herr ist!" Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, die gottlosen Deutschen von einem frommen Amerikaner so gepriesen zu sehn. Wir wollen den Theil deS Lobes, der uns gebührt, mit Dank hinnehmen und im Uebrigen diesen Artikel als ein Beispiel der Gleichsetzung europäischer Bildung und Frömmigkeit an- sehn. welche in der Zeitschrift durchgängig erscheint. Die Schriftsteller lieben es überhaupt, fremde Muster aufzustellen. So Wird den Nestorianern, die als Christen geboren und doch so schwer zu Christus und zur Bildung zu erziehen seien, immer wieder das Beispiel der Sandwich- insulaner vorgehalten, welche aus scheußlichen Heiden in unglaublich kurzer Zeit zu gebildeten Christen gemacht wären. Wir wollen nicht genauer untersuchen, wie weit die hier angegebnen Thatsachen richtig sind; nur das ist zu bedenken, wie viel leichter es ist, einem absolut bildungslosen und dabei leichtgläubigen Volk eine neue Religions- und Bildungssorm aufzudrücken, als einem Volke, das wenigstens eine Erinnerung an eine dereinstige höhere Bildung hat — ich verweise nur auf die schnelle Bekehrung der Türken zum Islam, der Mongolen zum Buddhismus — und ferner möchte ich zu bedenken geben, ob nicht der scharfe Spruch Matth. 23, 15: („Wehe euch Schriftgelehrten und Pharisäern, ihr Heuchler, die ihr Land und Wasser umziehet, daß ihr Einen Judengenossen machet; und wenn er es geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zwiefältig mehr, denn ihr seid") nicht auch hier und da auf die Bekehrungen in der Südsee Anwendung finde, wie ihn unsere Zeitschrift einmal gelegentlich auf die Bekehrung durch päpstliche Sendboten anwendet. ') Frage deS Setzers: Gehört Mecklenburg auch zu Lämsistan?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/499>, abgerufen am 22.12.2024.