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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Jurisprudenz, in Salerno die Medicin in den Vordergrund, und die Phy'
siognomie dieser Hochschulen wurde dadurch von vornherein eine mehr weltliche.

Auf einen andern Unterschied zwischen den beiden Urtypcn der Universitäten
bringt uns die nähere Betrachtung der Organisation der hohen Schulen
des Mittelalters. Hier begegnet uns im Allgemeinen sofort dieselbe Eigen¬
thümlichkeit, welche mehr oder minder alle andern gesellschaftlichen wie alle
staatlichen Bildungen dieser Periode charakterisier: das Bestreben, einerseits
alles ideell zu begründen, andrerseits jeder Idee sinnliche Form, symbolische
Verkörperung zu verleihen. In der Verfassungsgeschichte der meisten uns ge¬
nauer bekannten ältesten Universitäten sehen wir*) in erster Linie die Tendenz
sich kundgeben, die beiden Bedeutungen des Wortes univsrsiws, welches ur¬
sprünglich durchaus nichts mit der Universalität der gelehrten Disciplinen gemein
hatte, sondern einfach die Gesammtheit, die Körperschaft, die Gemeinde be¬
zeichnete, zum Ausdruck zu bringen. Eine Universität war hier einmal eine
lehrende Corporation, und nach dieser Seite ihres Wesens hatte sie den
Trieb, sich in Facultäten zu entfalten. Eine Universität war aber sodann
zugleich eine mit bestimmten Rechten begabte, sich selbst regierende und richtende,
Eigenthum besitzende politische Gemeinde, und als solche gliederte sie sich,
wo dies möglich, in Nationen.

Von den oben angeführten italienischen Hochschulen gilt diese doppelte
Gliederung nicht; sie nannten sich zwar Universitäten und nach dem soeben
Gesagten nicht unbefugt, waren aber, wie bemerkt, ihrem Wesen nach blos
große Fachschulen, und so zerfielen sie nur als politische Körperschaften in Ab¬
theilungen, also nur in Nationen. Bei der pariser dagegen und den nach ihrem
Muster organisirten Universitäten finden wir fast ohne Ausnahme die Verzweigung
der ursprünglichen Gestalt sowohl nach Facultäten wie nach Nationen.

Ferner aber kam bei der pariser Hochschule wie bei deren Töchtern, soweit
letztere sich der Mutter nachgestalten konnten, noch das Weitere hinzu, daß bei
ihrer Organisation als lehrende Körperschaft die Auffassung der allgemein bil¬
denden Wissenschaften als der Basis der drei Fachdisciplinen maßgebend zur
Geltung gelangte oder doch zu gelangen suchte. Endlich trat hierzu noch, daß
bei diesen Anstalten gewöhnlich nur die Lehrenden als Vollberechtigte, wenn
man will, als Aristokratie, richtiger als Meisterschaft, die Universität ausmachten,
während sie in Bologna nur als besoldete Beamte der die universitas bildenden,
aus sich den Rector und die übrigen Regenten, Richter und Verwalter der
Corporation wählenden Studenten betrachtet wurden/*)




') Vgl. Fr. Zarncke: Die urkundlichen Quellen zur Geschichte der Universität Leipzig
in den ersten ISO Jahren ihres Bestehens. Abhandlungen der Philologisch.historischen Classe
°" k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 2. Bd. Leipzig, 18S7.
"
) In Padua mußten sich die Professoren um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
sogar alle Jahre neu wählen lassen.
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Jurisprudenz, in Salerno die Medicin in den Vordergrund, und die Phy'
siognomie dieser Hochschulen wurde dadurch von vornherein eine mehr weltliche.

Auf einen andern Unterschied zwischen den beiden Urtypcn der Universitäten
bringt uns die nähere Betrachtung der Organisation der hohen Schulen
des Mittelalters. Hier begegnet uns im Allgemeinen sofort dieselbe Eigen¬
thümlichkeit, welche mehr oder minder alle andern gesellschaftlichen wie alle
staatlichen Bildungen dieser Periode charakterisier: das Bestreben, einerseits
alles ideell zu begründen, andrerseits jeder Idee sinnliche Form, symbolische
Verkörperung zu verleihen. In der Verfassungsgeschichte der meisten uns ge¬
nauer bekannten ältesten Universitäten sehen wir*) in erster Linie die Tendenz
sich kundgeben, die beiden Bedeutungen des Wortes univsrsiws, welches ur¬
sprünglich durchaus nichts mit der Universalität der gelehrten Disciplinen gemein
hatte, sondern einfach die Gesammtheit, die Körperschaft, die Gemeinde be¬
zeichnete, zum Ausdruck zu bringen. Eine Universität war hier einmal eine
lehrende Corporation, und nach dieser Seite ihres Wesens hatte sie den
Trieb, sich in Facultäten zu entfalten. Eine Universität war aber sodann
zugleich eine mit bestimmten Rechten begabte, sich selbst regierende und richtende,
Eigenthum besitzende politische Gemeinde, und als solche gliederte sie sich,
wo dies möglich, in Nationen.

Von den oben angeführten italienischen Hochschulen gilt diese doppelte
Gliederung nicht; sie nannten sich zwar Universitäten und nach dem soeben
Gesagten nicht unbefugt, waren aber, wie bemerkt, ihrem Wesen nach blos
große Fachschulen, und so zerfielen sie nur als politische Körperschaften in Ab¬
theilungen, also nur in Nationen. Bei der pariser dagegen und den nach ihrem
Muster organisirten Universitäten finden wir fast ohne Ausnahme die Verzweigung
der ursprünglichen Gestalt sowohl nach Facultäten wie nach Nationen.

Ferner aber kam bei der pariser Hochschule wie bei deren Töchtern, soweit
letztere sich der Mutter nachgestalten konnten, noch das Weitere hinzu, daß bei
ihrer Organisation als lehrende Körperschaft die Auffassung der allgemein bil¬
denden Wissenschaften als der Basis der drei Fachdisciplinen maßgebend zur
Geltung gelangte oder doch zu gelangen suchte. Endlich trat hierzu noch, daß
bei diesen Anstalten gewöhnlich nur die Lehrenden als Vollberechtigte, wenn
man will, als Aristokratie, richtiger als Meisterschaft, die Universität ausmachten,
während sie in Bologna nur als besoldete Beamte der die universitas bildenden,
aus sich den Rector und die übrigen Regenten, Richter und Verwalter der
Corporation wählenden Studenten betrachtet wurden/*)




') Vgl. Fr. Zarncke: Die urkundlichen Quellen zur Geschichte der Universität Leipzig
in den ersten ISO Jahren ihres Bestehens. Abhandlungen der Philologisch.historischen Classe
°« k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 2. Bd. Leipzig, 18S7.
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) In Padua mußten sich die Professoren um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
sogar alle Jahre neu wählen lassen.
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[0471] Jurisprudenz, in Salerno die Medicin in den Vordergrund, und die Phy' siognomie dieser Hochschulen wurde dadurch von vornherein eine mehr weltliche. Auf einen andern Unterschied zwischen den beiden Urtypcn der Universitäten bringt uns die nähere Betrachtung der Organisation der hohen Schulen des Mittelalters. Hier begegnet uns im Allgemeinen sofort dieselbe Eigen¬ thümlichkeit, welche mehr oder minder alle andern gesellschaftlichen wie alle staatlichen Bildungen dieser Periode charakterisier: das Bestreben, einerseits alles ideell zu begründen, andrerseits jeder Idee sinnliche Form, symbolische Verkörperung zu verleihen. In der Verfassungsgeschichte der meisten uns ge¬ nauer bekannten ältesten Universitäten sehen wir*) in erster Linie die Tendenz sich kundgeben, die beiden Bedeutungen des Wortes univsrsiws, welches ur¬ sprünglich durchaus nichts mit der Universalität der gelehrten Disciplinen gemein hatte, sondern einfach die Gesammtheit, die Körperschaft, die Gemeinde be¬ zeichnete, zum Ausdruck zu bringen. Eine Universität war hier einmal eine lehrende Corporation, und nach dieser Seite ihres Wesens hatte sie den Trieb, sich in Facultäten zu entfalten. Eine Universität war aber sodann zugleich eine mit bestimmten Rechten begabte, sich selbst regierende und richtende, Eigenthum besitzende politische Gemeinde, und als solche gliederte sie sich, wo dies möglich, in Nationen. Von den oben angeführten italienischen Hochschulen gilt diese doppelte Gliederung nicht; sie nannten sich zwar Universitäten und nach dem soeben Gesagten nicht unbefugt, waren aber, wie bemerkt, ihrem Wesen nach blos große Fachschulen, und so zerfielen sie nur als politische Körperschaften in Ab¬ theilungen, also nur in Nationen. Bei der pariser dagegen und den nach ihrem Muster organisirten Universitäten finden wir fast ohne Ausnahme die Verzweigung der ursprünglichen Gestalt sowohl nach Facultäten wie nach Nationen. Ferner aber kam bei der pariser Hochschule wie bei deren Töchtern, soweit letztere sich der Mutter nachgestalten konnten, noch das Weitere hinzu, daß bei ihrer Organisation als lehrende Körperschaft die Auffassung der allgemein bil¬ denden Wissenschaften als der Basis der drei Fachdisciplinen maßgebend zur Geltung gelangte oder doch zu gelangen suchte. Endlich trat hierzu noch, daß bei diesen Anstalten gewöhnlich nur die Lehrenden als Vollberechtigte, wenn man will, als Aristokratie, richtiger als Meisterschaft, die Universität ausmachten, während sie in Bologna nur als besoldete Beamte der die universitas bildenden, aus sich den Rector und die übrigen Regenten, Richter und Verwalter der Corporation wählenden Studenten betrachtet wurden/*) ') Vgl. Fr. Zarncke: Die urkundlichen Quellen zur Geschichte der Universität Leipzig in den ersten ISO Jahren ihres Bestehens. Abhandlungen der Philologisch.historischen Classe °« k. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 2. Bd. Leipzig, 18S7. " ) In Padua mußten sich die Professoren um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts sogar alle Jahre neu wählen lassen. 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/471>, abgerufen am 22.12.2024.