Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.hier die Charakteristik eines Mannes, der schon längst eine eingehende Würdigung hier die Charakteristik eines Mannes, der schon längst eine eingehende Würdigung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284893"/> <p xml:id="ID_1385" prev="#ID_1384" next="#ID_1386"> hier die Charakteristik eines Mannes, der schon längst eine eingehende Würdigung<lb/> seiner vielfachen Verdienste nicht blos um Baden, sondern um die Entwicklung der<lb/> deutschen Zustände überhaupt verdient hätte, und er war als Freund des Verewigten<lb/> zu dieser Arbeit besonders berufen. Seine Darstellung dieses bedeutenden Lebens,<lb/> selbstverständlich eine kurze Geschichte zugleich der Entwicklung Badens, wo Nebenius<lb/> zunächst als höherer Finanzbeamtcr, dann dreimal als Minister wirkte, ist klar,<lb/> einfach, vom Geiste eines gemäßigten Liberalismus getragen und reich an neuen<lb/> Notizen, namentlich in Betreff der Entstehung der badischen Verfassung und der<lb/> ersten Periode ihrer Wirksamkeit. Von besonderem Interesse ist, was über die Thä¬<lb/> tigkeit mitgetheilt wird, die Nebenius für das Zustandekommen einer commerziellen<lb/> Einheit Deutschlands entwickelte, obwohl der Verfasser, wenn er Acgidis Schrift über<lb/> die Vorgeschichte des Zollvereins gekannt Hütte, seine Meinung über Preußens Stel¬<lb/> lung zu dieser Angelegenheit vermuthlich einigermaßen modificirt haben würde.<lb/> Dagegen müsse» wir ihm vollständig beipflichten, wenn er List und seinen Verehrern<lb/> gegenüber die intellectuelle Urheberschaft des Gedankens eines allgemeinen deutschen<lb/> Handels- und Zollvereins dem Gegenstände seiner Darstellung vindicirt. Nebenius<lb/> war es, der 1818 schon, in der bekannten Denkschrift (einer Privatarbeit beiläufig,<lb/> nicht, wie Hauffer irrthümlich sagt, einem amtlichen Gutachten) diese Idee aus¬<lb/> führlich entwickelte. Nicht die Spur ist vorhanden, daß in jenen Tagen außer Ne¬<lb/> benius irgend jemand in Süddeutschland einen praktischen Vorschlag zur Abstellung<lb/> der bezüglichen Mißstände zu machen gewußt hätte. Auch List wußte in dieser Rück¬<lb/> sicht nur den Nath zu ertheilen: man solle „einen Kongreß von Kaufleuten und<lb/> Fabrikanten berufen, um einen gründlichen Plan über ein Bundesdouanensystcm zu<lb/> entwerfen, das die inländische Industrie sichere und den Ausfall in den Finanzen<lb/> der einzelnen Staaten decke" — eine Meinung, die nicht zu vertheidigen war, weil<lb/> einem solchen Congreß einerseits höhere staatswirthschaftliche Kenntnisse, andrer¬<lb/> seits ein nicht durch eigne Betheiligung getrübtes Urtheil mangeln mußten. Im<lb/> November 1819 noch bekannte List in einem Brief an Nebenius seine völlige Rat¬<lb/> losigkeit in der Sache, indem er sich selbst sagen mußte, wie jede, auch die energischeste<lb/> Darstellung des nirgends in Abrede gestellten Nothstandes und der Dringlichkeit der<lb/> Abhilfe durch ein gemeinschaftliches Zollsystem so lange erfolglos bleiben mußte, als<lb/> nicht nachgewiesen wurde, auf welche Weise eine solche Maßregel wirklich ausführbar<lb/> sei. Mitte Februar 1820 machte er in einer Eingabe des Handclsvereins, dessen<lb/> Consulent er war, den wunderlichen Vorschlag, „daß die Zolleinkünftc entweder vom<lb/> ganzen Bunde oder von den einzelnen Staaten an eine Actiengesellschaft verpachtet<lb/> werden sollen, die sich dann verbindlich machen müßte, den bisherigen Zollertrag als<lb/> Pachtzins zu entrichten." Mit dem bloßen lauten Rufen, es müsse anders werden,<lb/> ists in politischen Dingen nicht gethan, sondern wer das Wie zu sagen weiß, schießt den<lb/> Vogel ab. Nicht wer unter Tausenden, welche die Verwirklichung eines Gedankens<lb/> verlangen, seine Stimme am lautesten erhebt, sondern wer bei entstandenen Zweifel<lb/> über die Möglichkeit seiner Verwirklichung die Art und Weise, wie die entgegen¬<lb/> stehenden Schwierigkeiten zu besiegen und die Ausführung zu sichern, auf befrie¬<lb/> digende Weise entwickelt, bringt das El des Columbus zum Stehen. List ist nicht<lb/> ohne Verdienst um die Entstehung des Zollvereins, aber wenn seine enthusiastischen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0423]
hier die Charakteristik eines Mannes, der schon längst eine eingehende Würdigung
seiner vielfachen Verdienste nicht blos um Baden, sondern um die Entwicklung der
deutschen Zustände überhaupt verdient hätte, und er war als Freund des Verewigten
zu dieser Arbeit besonders berufen. Seine Darstellung dieses bedeutenden Lebens,
selbstverständlich eine kurze Geschichte zugleich der Entwicklung Badens, wo Nebenius
zunächst als höherer Finanzbeamtcr, dann dreimal als Minister wirkte, ist klar,
einfach, vom Geiste eines gemäßigten Liberalismus getragen und reich an neuen
Notizen, namentlich in Betreff der Entstehung der badischen Verfassung und der
ersten Periode ihrer Wirksamkeit. Von besonderem Interesse ist, was über die Thä¬
tigkeit mitgetheilt wird, die Nebenius für das Zustandekommen einer commerziellen
Einheit Deutschlands entwickelte, obwohl der Verfasser, wenn er Acgidis Schrift über
die Vorgeschichte des Zollvereins gekannt Hütte, seine Meinung über Preußens Stel¬
lung zu dieser Angelegenheit vermuthlich einigermaßen modificirt haben würde.
Dagegen müsse» wir ihm vollständig beipflichten, wenn er List und seinen Verehrern
gegenüber die intellectuelle Urheberschaft des Gedankens eines allgemeinen deutschen
Handels- und Zollvereins dem Gegenstände seiner Darstellung vindicirt. Nebenius
war es, der 1818 schon, in der bekannten Denkschrift (einer Privatarbeit beiläufig,
nicht, wie Hauffer irrthümlich sagt, einem amtlichen Gutachten) diese Idee aus¬
führlich entwickelte. Nicht die Spur ist vorhanden, daß in jenen Tagen außer Ne¬
benius irgend jemand in Süddeutschland einen praktischen Vorschlag zur Abstellung
der bezüglichen Mißstände zu machen gewußt hätte. Auch List wußte in dieser Rück¬
sicht nur den Nath zu ertheilen: man solle „einen Kongreß von Kaufleuten und
Fabrikanten berufen, um einen gründlichen Plan über ein Bundesdouanensystcm zu
entwerfen, das die inländische Industrie sichere und den Ausfall in den Finanzen
der einzelnen Staaten decke" — eine Meinung, die nicht zu vertheidigen war, weil
einem solchen Congreß einerseits höhere staatswirthschaftliche Kenntnisse, andrer¬
seits ein nicht durch eigne Betheiligung getrübtes Urtheil mangeln mußten. Im
November 1819 noch bekannte List in einem Brief an Nebenius seine völlige Rat¬
losigkeit in der Sache, indem er sich selbst sagen mußte, wie jede, auch die energischeste
Darstellung des nirgends in Abrede gestellten Nothstandes und der Dringlichkeit der
Abhilfe durch ein gemeinschaftliches Zollsystem so lange erfolglos bleiben mußte, als
nicht nachgewiesen wurde, auf welche Weise eine solche Maßregel wirklich ausführbar
sei. Mitte Februar 1820 machte er in einer Eingabe des Handclsvereins, dessen
Consulent er war, den wunderlichen Vorschlag, „daß die Zolleinkünftc entweder vom
ganzen Bunde oder von den einzelnen Staaten an eine Actiengesellschaft verpachtet
werden sollen, die sich dann verbindlich machen müßte, den bisherigen Zollertrag als
Pachtzins zu entrichten." Mit dem bloßen lauten Rufen, es müsse anders werden,
ists in politischen Dingen nicht gethan, sondern wer das Wie zu sagen weiß, schießt den
Vogel ab. Nicht wer unter Tausenden, welche die Verwirklichung eines Gedankens
verlangen, seine Stimme am lautesten erhebt, sondern wer bei entstandenen Zweifel
über die Möglichkeit seiner Verwirklichung die Art und Weise, wie die entgegen¬
stehenden Schwierigkeiten zu besiegen und die Ausführung zu sichern, auf befrie¬
digende Weise entwickelt, bringt das El des Columbus zum Stehen. List ist nicht
ohne Verdienst um die Entstehung des Zollvereins, aber wenn seine enthusiastischen
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