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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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und begeisterten Künstler lieb. Die Publication sämmtlicher Briefe aber finden
wir an sich unpassend, und um so unzeitiger, als wir noch keine genügende
und abschließende Biographie Beethovens besitzen. In wie weit nun durch den
einmal ausgeführten Versuch einer Briefsammlung unsere Kenntniß bereichert
werde, und in welcher Weise Herr Rost diesmal seine Ausgabe gelöst habe,
bleibt zu fragen.

Zunächst schickt er denselben eine Vorrede voraus, angefüllt wieder mit den
bekannten, unklar verschwommenen und hochtrabenden Phrasen, die uns schon
in seinen früheren Arbeiten so störten; dabei in einer Selbstgefälligkeit einher¬
gehend, die nur von seiner Oberflächlichkeit übertroffen wird. Mit keinem
Worte erklärt er dem Leser, warum er seine angefangene Biographie vorerst
liegen lasse und die Briefsammlung vorausschicke. Er spricht von seinen For¬
schungsreisen; wie weit sich diese erstreckt haben müssen, wird uns bald klar
werden. Freundlich herablassend erkennt er das Verdienst des "chronologischen
Verzeichnisses" von Thayer an, welches zwar für ihn wenig neue Daten biete;
natürlich, da er es kaum angesehen, und z. B. von der darin erwähnten thomp-
sonschen Korrespondenz nichts gefunden hat. Wenn er aber einen seiner Irr¬
thümer aus Thayer sofort verbessern muß (112), so nimmt es sich um so naiver
aus, wenn er meint, Thayer könne auch von ihm Berichtigungen und Ergän-
zungen erfahren. Nach der umfassenden und weitschichtigen Forschung, von wel¬
cher Thayers Buch Zeugniß giebt, glauben wir kaum, daß letzteres aus Rost
auch nur a" einer einzigen Stelle ergänzt oder gar berichtigt werden könnte.

Daß seine Sammlung nicht vollständig sei, sieht er ein, findet aber.doch
seine Ausbeute diiueicbend. um mit dem schon früher Vorhandenen einen festen
Kern zu bilden. Unter seine" neue" Quelle" scheint ihm der schindlersche Nach¬
laß in erster Linie zu stehen; doch ist dieser auch frühern Sammlern schon
wohlbekannt gewesen; und man erstaunt über den geringen Gewinn an wirk¬
lich interessantem Neuen, was nicht Schindler selbst schon veröffentlicht hätte.
Außerdem beschränkt sich, wie man leicht sieht, nobis Forschung so ziemlich
auf die wiener Bibliothek und das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde da¬
selbst, und auf das, was ihm glücklicher Zufall dort auf privatem Wege in die
Hand spielte; ein paar Briefe in Zürich hat er wohl auf der letzten Reise, wovon
er in der Vorrede erzählt, gefunden; dagegen hat er z. B. nach Prag, nach Leipzig,
nach Berlin, wo sich überall Originalbriefe finden, keine "Forschungsreisen" ge¬
macht, und citirt die dort befindlichen Briefe.nur nach Copien oder Drucken.
Ueberhaupt erkennt man sehr bald, daß Rost von sehr wenig Briefen die Ori¬
ginale gesehen hat. auch wenn er wußte, wo dieselben sich befanden, daß er
aber in Fällen, wo ihm gedruckte Quellen vorlagen, wie z. B. bei den Briefen
a" Ries, an Hofmeister, an Giannatasio del Rio u. a. sich nach den Originalen,
wie es scheint, meist gar nicht umgethan hat, U"d wenn er in der Porrede


und begeisterten Künstler lieb. Die Publication sämmtlicher Briefe aber finden
wir an sich unpassend, und um so unzeitiger, als wir noch keine genügende
und abschließende Biographie Beethovens besitzen. In wie weit nun durch den
einmal ausgeführten Versuch einer Briefsammlung unsere Kenntniß bereichert
werde, und in welcher Weise Herr Rost diesmal seine Ausgabe gelöst habe,
bleibt zu fragen.

Zunächst schickt er denselben eine Vorrede voraus, angefüllt wieder mit den
bekannten, unklar verschwommenen und hochtrabenden Phrasen, die uns schon
in seinen früheren Arbeiten so störten; dabei in einer Selbstgefälligkeit einher¬
gehend, die nur von seiner Oberflächlichkeit übertroffen wird. Mit keinem
Worte erklärt er dem Leser, warum er seine angefangene Biographie vorerst
liegen lasse und die Briefsammlung vorausschicke. Er spricht von seinen For¬
schungsreisen; wie weit sich diese erstreckt haben müssen, wird uns bald klar
werden. Freundlich herablassend erkennt er das Verdienst des „chronologischen
Verzeichnisses" von Thayer an, welches zwar für ihn wenig neue Daten biete;
natürlich, da er es kaum angesehen, und z. B. von der darin erwähnten thomp-
sonschen Korrespondenz nichts gefunden hat. Wenn er aber einen seiner Irr¬
thümer aus Thayer sofort verbessern muß (112), so nimmt es sich um so naiver
aus, wenn er meint, Thayer könne auch von ihm Berichtigungen und Ergän-
zungen erfahren. Nach der umfassenden und weitschichtigen Forschung, von wel¬
cher Thayers Buch Zeugniß giebt, glauben wir kaum, daß letzteres aus Rost
auch nur a» einer einzigen Stelle ergänzt oder gar berichtigt werden könnte.

Daß seine Sammlung nicht vollständig sei, sieht er ein, findet aber.doch
seine Ausbeute diiueicbend. um mit dem schon früher Vorhandenen einen festen
Kern zu bilden. Unter seine» neue» Quelle» scheint ihm der schindlersche Nach¬
laß in erster Linie zu stehen; doch ist dieser auch frühern Sammlern schon
wohlbekannt gewesen; und man erstaunt über den geringen Gewinn an wirk¬
lich interessantem Neuen, was nicht Schindler selbst schon veröffentlicht hätte.
Außerdem beschränkt sich, wie man leicht sieht, nobis Forschung so ziemlich
auf die wiener Bibliothek und das Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde da¬
selbst, und auf das, was ihm glücklicher Zufall dort auf privatem Wege in die
Hand spielte; ein paar Briefe in Zürich hat er wohl auf der letzten Reise, wovon
er in der Vorrede erzählt, gefunden; dagegen hat er z. B. nach Prag, nach Leipzig,
nach Berlin, wo sich überall Originalbriefe finden, keine „Forschungsreisen" ge¬
macht, und citirt die dort befindlichen Briefe.nur nach Copien oder Drucken.
Ueberhaupt erkennt man sehr bald, daß Rost von sehr wenig Briefen die Ori¬
ginale gesehen hat. auch wenn er wußte, wo dieselben sich befanden, daß er
aber in Fällen, wo ihm gedruckte Quellen vorlagen, wie z. B. bei den Briefen
a» Ries, an Hofmeister, an Giannatasio del Rio u. a. sich nach den Originalen,
wie es scheint, meist gar nicht umgethan hat, U"d wenn er in der Porrede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/388>, abgerufen am 22.07.2024.